Blick zurück:Frauenberuf Kranführer

Emanzipation in der einstigen DDR.

Von Annette Ramelsberger

Wer einst die DDR besuchte, wusste, dass er sich auf allerlei Erstaunliches einzustellen hatte. Dennoch gab es Augenblicke, in denen dem West-Besucher trotz Vorbereitung der Mund offen stehen blieb. Einer dieser Augenblicke war, als der Betriebsleiter der Matthias-Thesen-Werft in Wismar im Frühjahr 1989 auf die riesigen Kräne der Werft zeigte, die mit millimetergenauer Präzision ihre tonnenschweren Lasten bewegten. Der Chef warf wie nebenbei hin: "Das sind die Kranführer - typischer Frauenberuf." Was im Westen als Domäne des Männlichen und Technischen galt, hatten die DDR-Frauen längst für sich erobert, auch wenn ihre Leistungen von den Kollegen dort genauso verächtlich abgetan wurden wie die Leistungen der Frauen im Westen - sozialistisches Weltbild hin oder her.

Äußerlich waren die Frauen in der DDR sehr viel gleichberechtigter als in der Bundesrepublik. Fast alle Frauen waren berufstätig, und fast alle Frauen hatten gleichzeitig Kinder. Es gab Kombinatsleiterinnen von 45 Jahren, die ganz selbstverständlich neben der Arbeit drei Töchter großziehen konnten. Es gab Krippen und Kindergärten, die schon aufmachten, wenn die Mütter um 6 Uhr morgens zur Schicht antreten mussten. Und es gab einmal im Monat einen arbeitsfreien Haushaltstag, an dem die Mütter ihre Familienangelegenheiten regeln konnten. Der Haushaltstag war Programm: Es gab ihn nur für Frauen. Die "Muttis" waren auch im Sozialismus für die Familie zuständig, den Beruf hatten sie nebenher zu erledigen, fanden die sozialistischen "Vatis".

Einmal im Jahr jedoch gab's Anerkennung für den Doppel-Job. Am Frauentag am 8. März, der im Sozialismus groß und offiziell gefeiert wurde, servierten die Herren Kollegen den Damen Kaffee und Kuchen, manche Betriebe hatten sogar ein eigenes "Kontingent" für den Frauentag: Geld für Ausflüge und Blümchen. Das musste reichen: Die Karriere der Frauenmehrheit verlief auch in der DDR auf unterer und mittlerer Ebene. Oben blieben die Genossen gerne unter sich. Wenigstens in diesem Punkt mussten sie sich nach der Wende nicht umstellen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: