Bildungsreform:"Eine neue Lebenslüge"

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Gegen den Vorschlag von Krista Sager, das dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen, ist bei CDU und FDP eine breite Ablehnungsfront entstanden. Gleichmacherei helfe weder den schwächeren noch den überdurchschnittlich begabten Schülern.

Die CSU hat entschiedenen Widerstand gegen die von Rot-Grün geforderte Abkehr vom dreigliedrigen Schulsystem angekündigt. Die bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier (CSU) sagte am Donnnerstag im Bayerischen Rundfunk: "Eine Einheitsschule wird es mit der CSU nicht geben." Richtig sei vielmehr "eine klare Dreigliederung mit einer großen Durchlässigkeit für alle Kinder".

"Vierzig Prozent der Eltern haben kein Interesse am Lernfortschritt ihrer Kinder." (Foto: Foto: dpa)

Die jetzt angestoßene Strukturdebatte sei veraltet. "Man drückt sich jetzt wieder vor dem, was man eigentlich diskutieren müsste, nämlich Qualität von Unterricht, individuelle Förderung von Kindern, Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund." Gesamtschulen seien keine Lösung der Probleme.

Henkel: Ganztagesschulen kein Allheilmittel

Der Präsident der Wissensgemeinschaft Leibniz, Hans-Olaf Henkel, sagte im ZDF-Morgenmagazin, der von Rot-Grün und CDU befürwortete Ausbau von Ganztagsschulen sei kein "Allheilmittel". Es sei keine Seltenheit, dass Jugendliche nicht richtig schreiben und lesen können. Hier müsse noch viel geschehen. Für die Anbieter von Lehrstellen sei "die OECD-Studie keine Überraschung".

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hatte am Dienstag eine Studie vorgestellt, nach der der Wirtschaftsstandort Deutschland bedroht ist, weil das Land zu wenig für Bildung ausgibt, seine Schüler unzureichend fördert und zu wenig Akademiker hervorbringt.

Krista Sager, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, hatte daraufhin die Diskussion um eine radikale Schulreform angestoßen. "Wir wollen zu einem Schulsystem kommen, wo die Kinder neun bis zehn Jahre zusammenbleiben, aber in diesem Rahmen stärker individuell gefördert werden", sagte sie der Berliner Zeitung. Weitere Politiker von SPD und Grünen schlossen sich an.

"Gefahr einer neuen Lebenslüge"

Auch Niedersachsens Kultusminister Bernd Busemann (CDU) hat die Vorschläge scharf kritisiert. "Die politische Linke läuft Gefahr, nach dem inzwischen eindeutig gescheiterten Gesamtschulkonzept einer neuen Lebenslüge zu erliegen", sagte Busemann am Donnerstag in Hannover. "Ob Einheitsschule, Schule für alle oder gar Pisa-Schule, lediglich strukturelle und dazu unbezahlbar teure und langwierige Veränderungen des Schulsystems lösen die Probleme nicht."

Busemann meinte, es sei "geradezu unerträglich", wie mit jeder Veröffentlichung einer neuen Studie zur Bildung versucht werde, "angebliche wissenschaftliche Belege für einen eindeutig nicht herstellbaren Zusammenhang zwischen Schulstruktur und Bildungserfolg herzustellen". Entscheidend sei, was innerhalb der Schule passiere, etwa die Qualität des Unterrichts.

Auch die Schüler Union (SU) Niedersachsen kritisierte den Vorschlag für eine "Einheitsschule". Die Vergangenheit habe gezeigt, dass mit solcher Gleichmacherei weder den schwächeren noch den überdurchschnittlich begabten Schülern geholfen sei.

CDU gibt Eltern Mitschuld

Karin Wolff (CDU) hat an die Eltern appelliert, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. "Vierzig Prozent der Eltern haben kein Interesse am Lernfortschritt ihrer Kinder", sagte die hessische Bildungsministerin der Zeitung Bild. "Das darf nicht so bleiben."

Der CDU-Bildungsexperte Uwe Schummer sagte der Zeitung, in deutschen Schulen fehle es an der "Vermittlung von Werten wie Disziplin, Ordnung und sozialer Kompetenz."

Die baden-württembergische Kulturministerin und stellvertretende CDU-Chefin Annette Schavan verlangte in der Financial Times Deutschland eine Reform derartiger Studien. "Wir müssen weg von den nationalen Durchschnittnoten", sagte sie. Künftig müsse die OECD die 16 Bundesländer einzeln in ihren Statistiken aufführen.

FDP: Mehr Geld für die Bildung

Die FDP will mit Kürzungen von Subventionen Milliardenbeträge für die Bildungspolitik freimachen. Ihre Partei habe vorgeschlagen, alle staatlichen Subventionen nach dem Rasenmäher-Prinzip pauschal um 10 bis 15 Prozent zu kürzen, sagte die Vorsitzende des Bildungsausschusses im Bundestag, Ulrike Flach, der Berliner Zeitung. "Wir brauchen in den meisten Bundesländern Tausende von zusätzlichen Lehrern." Damit widersprach Flach der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel, die sich gegen eine Kürzung der Eigenheimpauschale gewehrt hatte.

Weiter sagte Flach, dass in unteren Klassen jeweils zwei Lehrer arbeiten sollten, um gute wie schlechte Schüler besser fördern zu können. Wenn dies gelungen sei, könne man auch die Frage beantworten, ob man beim dreigliedrigen Schulsystem bleiben könne, oder ob eine Gemeinschaftsschule bis zur neunten Klasse besser sei.

Sie selbst sei nicht prinzipiell für das dreigliedrige Schulsystem. Es stimme, dass nach der vierten Klasse zu viele Schüler auf die falsche Schule geschickt würden. Die Zeugnisse und Empfehlungen der Lehrer seien oft fehlerhaft. Dies liege aber vor allem daran, dass es zu wenig Grundschullehrer gebe und die Klassen zu groß seien.

"Nicht wieder die alten Schützengräben aufmachen"

Der Deutschland-Chef der Unternehmensberatung McKinsey, Jürgen Kluge, fordert eine Umschichtung der Gelder hin zu Grundschulen und Kindergärten. "Wenn wir jetzt wieder die alten Schützengräben aufmachen und die Schulform diskutieren, schießen wir zu kurz", sagte Kluge im ZDF-heute-Journal. "Wir müssen früh investieren, statt später dann die Fehler aus dem System heraus zu operieren."

Man könne niemandem erklären, "warum Kindergärten unglaublich teuer sind, das Studium für die paar Privilegierten aber dann frei", kritisierte Kluge. Nötig seien ein Bildungsauftrag für Kindergärten und zentrale Bildungsstandards. "Wir haben 20 Jahre zugesehen, wie unser Bildungssystem den Anschluss an die Welt langsam und graduell verloren hat."

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