Bildungspolitik in Deutschland:Schluss mit den Extrawürsten!

Die Bildungs-Experimente der 16 Landesregierungen gehen zu Lasten der Kinder. Eine bessere Bildungspolitik lässt sich nur dann durchsetzen, wenn die Zahl der Bundesländer auf acht reduziert wird.

Edmund Stoiber

Der Rohstoff Geist ist unser deutsches Kapital. Seine Veredelung gehört zu den wichtigsten nationalen Aufgaben. Mit guten Gründen wurde diese nationale Aufgabe in der Föderalismusreform I vollständig auf die Länder übertragen. Denn Deutschland ist kein Zentralstaat und sollte es auch nicht werden. Regionale Unterschiede und Traditionen sind keine Schwächen, sondern Stärken, um die uns viele in der Welt beneiden. Die Kraft Deutschlands gründet ganz wesentlich in seiner Vielfalt. Föderalismus heißt auch Wettbewerb, Austausch und Anstrengung für die bestmöglichen Ergebnisse.

Der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber warnt vor bildungspolitischen Experimenten in den Bundesländern.

Der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber warnt vor bildungspolitischen Experimenten in den Bundesländern.

(Foto: dpa)

Unsere Verfassung gibt den Ländern mit der nationalen Bildungsaufgabe oder der Kulturhoheit einen enormen Vertrauensvorschuss. Als einer der Väter der Föderalismusreform kann ich allerdings aus zwei Gründen nicht ganz zufrieden sein mit dem, was manche Länder aus ihren neuen Chancen machen. Erstens: Zu gerne werden Lockrufe des Bundes gehört, mehr auf dessen Geld zu setzen (als auf die eigene Kompetenz). Vorsicht! Wer zahlt, schafft früher oder später auch an.

Zweitens: Wettbewerb in der Bildung darf nicht mit einem Wettbewerb in Kleinstaaterei und Ideologie verwechselt werden. Föderalismus in der Bildung setzt immer auch Bundestreue voraus. Mit der Souveränität der Länder muss auch eine Selbstbeschränkung im gesamtstaatlichen Interesse verbunden sein. Hier ist vor allem auch die Kultusministerkonferenz künftig noch stärker gefragt: Bildungspolitik muss einen gemeinsamen Nenner haben, der auch Deutschland heißt.

Im Hamburger Bürgerentscheid haben Fehlentwicklungen jetzt zu einem bürgerlichen Aufstand geführt. Von Hamburg geht ein klares Signal aus: Schluss mit Bildungsideologie! Schluss mit der ewigen Strukturdebatte! Es muss in der Bildungspolitik ein Stück Kontinuität geben und - auch mit Blick auf die Freizügigkeit von Familien mit Kindern - nicht immer neue Hürden. Die Botschaft heißt: Kinder dürfen nicht Opfer von Machtoptionen oder Koalitionsaussichten in einzelnen Ländern werden. Und: Kinder dürfen nicht Opfer von Ideologen werden, nur weil eine Partei einmal für ein paar Jahre Zugriff auf eine Kultusbehörde hat. Die Politik sollte diesen Warnschuss sehr ernst nehmen. Das nunmehrige Überdenken der fünfjährigen Grundschule im Saarland ist ein erstes positives Anzeichen nach dem Motto: Wir haben verstanden!

Eine unserer größten Errungenschaften, zum Beispiel im Gegensatz zum angelsächsischen Bildungssystem, ist die soziale Integration: Kinder aus allen sozialen Schichten lernen an öffentlichen Schulen gemeinsam und werden gemeinsam erwachsen. Diese Errungenschaft ist dort in Gefahr, wo die Balance zwischen dem Leistungsgedanken und der Rücksicht auf Schwächere nicht mehr gewahrt wird. Das führt dort dazu, dass begüterte, bildungsorientierte Eliten ihre Kinder aus den öffentlichen Schulen zurückziehen und verstärkt auf Privatschulen schicken. Das führt zu mehr sozialer Desintegration, nicht zu mehr sozialer Integration.

Ein Schuldenverbot muss her

Dabei sage ich nicht, dass sich nichts ändern muss. Im Gegenteil: Der richtige Bildungsansatz liegt in einer Optimierung der gewachsenen und entgegen mancher Bildungspropaganda auch bewährten Strukturen. Man muss dazu nicht das Erfolgsmodell Gymnasium beschneiden. Fast alle Kinder sind heute in der Regel bereits vom vierten bis zum zehnten Lebensjahr zusammen, vom Kindergarten bis zum Ende der vierklassigen Grundschule. Wenn gemeinsames Lernen soziale Unterschiede ausgleichen soll, dann doch besser früh als spät! Im Kindergarten, in der Vorschule sollte mit Innovationen und Investitionen angesetzt werden, um gerade auch Kinder aus bildungsfernen Familien optimal zu fördern.

Schule in Remshalden

An einer Reform der Bundesländer kommt man auf dem Weg zu einer besseren Schulpolitik nicht vorbei.

(Foto: dpa)

Das Ergebnis des Hamburger Volksentscheids ist auch eine Absage an die Legende, Kinder würden in Deutschland frühzeitig "aussortiert". Mehr als 50 Wege führen in Deutschland zum Erwerb einer Berechtigung zum Studieren. Je nach Bundesland erwerben zwischen 43 und 50 Prozent ihren Hochschulzugang außerhalb des Gymnasiums. Das ist Ausdruck begabungsgerechter, individueller Förderung. Entscheidend ist der Bildungsgrundsatz: Kein Abschluss ohne Anschluss. Wer sich weiter qualifizieren will, muss das tun können. Generell ist wieder mehr Respekt notwendig vor unterschiedlichen Leistungen und Begabungen. Der Mensch beginnt nicht beim Abitur oder mit der Hochschule. Wir können auch nicht ein Volk von Geisteswissenschaftlern sein, davon allein können wir nicht leben. Manche haben ihre Begabung mehr im kognitiven Bereich, andere sind geschickter mit ihren Händen. Wer als Akademiker heute in einer modernen Autowerkstätte bei der Inspektion seines Fahrzeugs zusieht, wird sehr schnell bescheiden angesichts dieser hochwertigen Arbeit.

Allzu oft vergessen in der Bildungsdebatte werden die Familien. Eltern haben Rechte, aber auch Pflichten. Es gibt auch eine Verantwortung von Eltern für die Bildung und Förderung ihrer Kinder, die ihnen der Staat nicht allzu bereitwillig abnehmen sollte. Sich seinen Kindern zu widmen, zum Beispiel mit ihnen einmal in eine Bücherei zu gehen und ihnen vorzulesen, ist weniger eine Frage des Geldbeutels als des Willens.

Ich bin davon überzeugt, dass schon in wenigen Jahren ein Reformschritt erfolgen wird, der bisher immer wieder vertagt wurde: die Neugliederung der Bundesländer. So schön es ist, dass das Saarland selbständig ist, so schön es ist, dass wir die Stadtstaaten haben, und so eindringlich Brandenburg und Berlin erklärt haben, nicht zusammengehen zu wollen - diese verständlichen Emotionen werden eine föderale Neuordnung Deutschlands nicht mehr aufhalten.

Eine historische Änderung des Grundgesetzes wird diese Neuordnung erzwingen: die Schuldenbremse, also das Verfassungsprinzip, dass der Bund und auch jedes Land künftig mit seinen Einnahmen auskommen muss. Aus Gründen der Generationengerechtigkeit und zur Stabilisierung des Euro ist dieses Schuldenverbot ohne Alternative. Finanzschwächere Länder werden zu Fusionen gezwungen sein, um diese Schuldenbremse einzuhalten und die notwendige Leistungsfähigkeit zu erreichen. Sieben oder acht Bundesländer auf Augenhöhe würden die Bildungsideale der Föderalismusreform vielleicht besser mit Leben erfüllen. Zum Wohl der Kinder und in Verantwortung für ganz Deutschland.

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