Bildung:Gesucht: 371.000 Lehrer

Eigentlich wollten die Schulbehörden den "Schweinezyklus" - mal Lehrerschwemme, mal Lehrermangel - durchbrechen. Doch aus vollmundigen Versprechungen wurde nichts.

Von Jeanne Rubner

Wer in Zukunft einen sicheren Job will, sollte Lehrer werden. Sagt zumindest die Konferenz der Kultusminister (KMK). 371.000 Pädagogen werden bis 2015 eingestellt, so die KMK-Prognose, die aber mit nur knapp 300.000 Bewerbern rechnet. Es fehlen also mindestens 70.000.

Mit einer Imagekampagne, die nächste Woche in Berlin vorgestellt wird, will die KMK mehr Abiturienten verleiten, ein Lehramtsstudium zu beginnen. Mit Postkarten, einer Broschüre und Spots im Fernsehen mit Prominenten sollen die Deutschen wieder vom Wert der Bildung im Allgemeinen und des Lehrers im Besonderen überzeugt werden.

Unter dem Titel "Bildung - unser Ticket in die Zukunft" hat eine Kölner Agentur eine Kampagne entworfen, deren tatsächliche Kosten im Mainzer Kultusministerium auf 20 Millionen Euro geschätzt werden. So tief hat die KMK freilich nicht in die Tasche gegriffen. Sie zahlt dafür 250.000 Euro, der Rest soll durch Sponsoring gedeckt werden.

Den drohenden Mangel hätten die Kultusminister freilich schon länger vorhersehen können. Bereits Mitte der neunziger Jahre hatten die Experten in den Schulbehörden Strategien überlegt, mit dem Problem des "Schweinezyklus" fertig zu werden.

In den siebziger Jahren, als die geburtenstarken Jahrgänge zur Schule kamen, wurden viele Pädagogen eingestellt. Sie sind jetzt im Rentenalter und müssen innerhalb weniger Jahre ersetzt werden.

Gehandelt haben die Kultusminister damals freilich nicht; noch 1997 warnten sie vor einer Lehrer-Schwemme. Dabei zeigte sich bereits wenig später, dass Lehrer fehlten: Zum einen wegen der steigenden Pensionierungszahlen, zum anderen, weil Absolventen der naturwissenschaftlichen Fächer sich lieber von prosperierenden Internet-Firmen anheuern ließen als in den Staatsdienst zu gehen.

Fraglich ist, wie verlockend die Rufe der KMK für Abiturienten sein werden. Bei ihrer Studien-Entscheidung lassen sie sich weniger von Prognosen leiten als vom aktuellen Arbeitsmarkt. Und in diesem Punkt sind die Botschaften der Politiker eher widersprüchlich.

Denn derzeit werden in praktisch allen Bundesländern den Lehrern mehr Stunden aufgehalst. Eine zusätzliche Arbeitsstunde pro Woche spart schätzungsweise 3000 Stellen.

In Hessen, wo die Union mit dem Versprechen einer besseren Unterrichtsversorgung die SPD-Regierung 1999 abgelöst hatte, wurden von den 6000 versprochenen Pädagogen nur 2000 eingestellt; die Fehlenden dürfte das Kultusministerium durch zusätzliche Arbeitszeit einbringen.

Von den angeblich mindestens 70.000 fehlenden Pädagogen könne man, prognostiziert der Essener Erziehungswissenschaftler Klaus Klemm, wegen der Arbeitszeitverlängerung und des steigenden Pensionsalters gleich wieder 25.000 abziehen.

Als "nicht sehr glaubwürdig" bezeichnet der Vorsitzende des Philologenverbands, Peter Heesen, denn auch die Kampagne, zumal das jetzt schriftlich verbreitete Versprechen der KMK, "bis 2015 werden 371.000 Lehrer eingestellt", ohnehin "nicht einklagefähig" sei.

Und der Chef des Verbands Bildung und Erziehung, Ludwig Eckinger, sagt voraus, dass jene Abiturienten, die erst in ein paar Jahren mit dem Lehramtsstudium beginnen werden, von der Einstellungswelle gar nicht mehr profitieren werden.

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