Bewertungsportal Glassdoor:Sterne lügen nicht

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Machtverschiebung auf dem Arbeitsmarkt: Im Kampf um die besten Köpfe können Arbeitgeber Talente nicht mehr als Bittsteller antreten lassen. (Foto: Imago)
  • Das amerikanische Arbeitgeber-Bewertungsportal Glassdoor startet in Deutschland.
  • Weltweit haben sich dort 27 Millionen Menschen angemeldet, Glassdoor gewährt Einblicke bei etwa 340 000 internationalen Unternehmen.
  • Die Beurteilung von Arbeitgebern könnte den Jobmarkt revolutionieren.

Von Varinia Bernau

Ein Pulli, der sich im Alltag nicht so kuschelig anfühlt, wie es noch in der Annonce hieß. Eine Kaffeemaschine, die sich nicht so bequem bedienen lässt, wie die Werbung glauben macht. Klar, so etwas tauscht man um. Aber einen Arbeitsplatz? Dabei findet immerhin jeder vierte Deutsche, dass sein Job hinter dem zurückbleibt, was ihm noch während der Bewerbung versprochen wurde.

Gehälter vergleichen, Chefs bewerten

Ein Grund mehr also, sich nicht nur Klamotten und Küchengeräte vor der Neuanschaffung ganz genau anzusehen, sondern auch den Arbeitsplatz. Von diesem Donnerstag an haben die Deutschen dazu eine Gelegenheit mehr: Das amerikanische Portal Glassdoor, auf dem man Gehälter vergleichen und Chefs bewerten, sich einen Überblick über gängige Fragen im Bewerbungsgespräch, aber auch über die Ausstattung der Büros verschaffen kann, bietet seine Dienste nun auch hierzulande an.

27 Millionen Menschen haben sich weltweit bei dem Portal angemeldet. Sie vergeben Sterne an Unternehmen, schreiben aber auch ausführlichere Bewertungen. Über Siemens ist dort nachzulesen, dass das obere Management vor allem junge Kollegen um sich schare, die leichter zu kontrollieren sind. Aber auch, dass der Konzern eine gute Work-Life-Balance biete.

Schimpfwörter sind tabu

Jeder, der auf Glassdoor etwas über ein Unternehmen schreibt, muss positive wie negative Dinge nennen. Schimpfwörter sind tabu; Beleidigungen auch. Ein Projektmanager bei Siemens, auch das ist auf dem Portal nachzulesen, kommt auf ein Jahresgehalt von 63 800 Euro. Und Konzernchef Joe Kaeser übrigens auf eine Zustimmungsrate von 86 Prozent.

Ähnliche Einblicke gewährt Glassdoor, vor sieben Jahren in den USA gegründet, bei 6500 deutschen Arbeitgebern und 340 000 Unternehmen weltweit. Die Plattform dürfte damit vor allem für jene interessant sein, die mit einer Bewerbung im Ausland liebäugeln. Denn auf der Plattform Kununu, der beliebtesten im deutschsprachigen Raum, sind mehr als doppelt so viele deutsche Firmen vertreten. Und an jedem Tag kommen dort mehr als 300 neue Bewertungen hinzu.

Wirklichkeit ist das, was wirkt

Vor etwa zwei Jahren hat das Karrierenetzwerk Xing das aus Österreich stammende Bewertungsportal Kununu für mehr als drei Millionen Euro übernommen. Seitdem wurden dort Stellengesuche und Bewertungen geschickt miteinander verknüpft. Zum Start in Deutschland ermöglicht Glassdoor einen Zugriff auf 500 000 Stellenangebote.

Verlässliche Erkenntnisse darüber, wie nah die Bewertungen auf solchen Portalen der Realität kommen, gibt es nicht. "Wirklichkeit ist das, was wirkt", sagt Isabell Welpe, die an der TU München den Lehrstuhl für Strategie und Organisation leitet. Die Frage, ob man sich in einem Unternehmen wohlfühle, sei eine subjektive. "Den einen stört es, wenn gestempelt wird. Der andere schätzt genau das." Für entscheidend hält Welpe, dass man auf Glassdoor oder Kununu Stimmen von Menschen finde, die Einblick und Erfahrungen haben. Und jeder, der einen Job suche, könne diese Stimmen mit seinen Ansprüchen abgleichen.

Skurrile Bewerbungsfragen
:"Warum stehen Sie jeden Morgen auf?"

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Die Ökonomin hält Bewertungsportale für eines jener digitalen Werkzeuge, die zu mehr Demokratie in Unternehmen führen können. Ähnlich wie einst die Druckerpresse die Menschen in die Lage versetzte, sich zu informieren, ermögliche der technische Wandel nun einen neuen Austausch. Eine Führungskraft im 21. Jahrhundert müsse sich deshalb immer wieder um das Vertrauen seines Teams bemühen - ähnlich wie Politiker in einer demokratischen Gesellschaft.

"Mitarbeiter wissen oft selbst sehr gut, unter welchen Bedingungen sie gute Arbeit leisten", sagt Welpe. Das gelte vor allem für Branchen, in denen es darum geht, das Wissen der Belegschaft zu nutzen oder Kreativität zu fördern. Ein kluger Chef sollte seinem Team deshalb aufmerksam zuhören. Bewertungsportale sind dazu nur eine Möglichkeit: Manche Firmen richten einen Rat der Weisen ein; andere machen Umfragen oder sammeln die Sicht der Mitarbeiter, indem sie sie in kleinen Gruppen an Tische mit weißen, beschreibbaren Papiertischdecken und Stiften setzen.

Riesiges Interesse in Frankreich

Dass auch die Arbeitswelt demokratischer werde, heiße nicht, dass Hierarchien geschliffen werden, betont Welpe: In der Fertigung haben sich klare Ansagen, die befolgt werden müssen, bewährt. Und auch in schwierigen Zeiten werden starke Führungskräfte von der Belegschaft geschätzt. Apple-Gründer Steve Jobs, der als Pedant, ja sogar als Despot galt, erreichte bei Glassdoor Zustimmungsraten von 95 Prozent.

Wie groß das Interesse ist, sich im Netz über einen möglichen Arbeitgeber zu informieren, zeigt ein Blick nach Frankreich: In den ersten beiden Monaten, in denen Glassdoor seine Dienste dort anbietet, haben sich zwei Millionen Menschen angemeldet. In Deutschland, so steht es in Umfragen, lassen sich zwei von drei Menschen bei der Jobsuche davon leiten, was sie über ein Unternehmen im Netz lesen.

Frustabbau per anonymer Bewertung

Und die Deutschen hätten sich auch einiges an Frust von der Seele zu schreiben. Laut einer Gallup-Studie, die seit mehr als zehn Jahren regelmäßig die emotionale Bindung der Deutschen an ihren Arbeitgeber erfasst, leisten 67 Prozent Dienst nach Vorschrift. 13 Prozent haben bereits innerlich gekündigt. Wo könnte man diesen Frust besser abbauen als im Schutz der Anonymität auf Bewertungsportalen?

Tatsächlich aber fallen sieben von zehn Bewertungen, die auf Glassdoor abgegeben werden, positiv aus. Das könnte auch daran liegen, dass die großen Unternehmen längst erkannt haben, dass vor einem Bewerbungsgespräch nicht nur der Arbeitgeber das Netz durchstöbert - sondern auch derjenige, der einen Job sucht. Und so gehen große Unternehmen wie Bayer, die Commerzbank oder Siemens mit ihren Bewerbern inzwischen ähnlich um wie Internetkaufhäuser mit ihren Kunden: Sie weisen explizit auf Bewertungsportale wie Kununu hin und sichern sich auf diese Weise gute Bewertungen von wohlwollenden Mitarbeitern, die eigentlich kein großes Mitteilungsbedürfnis haben.

Lästereien werden abgefedert

Auf manchen Portalen wie Kununu oder Jobvoting können Unternehmen neben Anzeigen auch Arbeitgeberprofile schalten und so auch die eine oder andere Lästerei abfedern. Die Portale verstehen sich als Vermittler zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Auch bei Glassdoor können Unternehmen solche Premiumpakete buchen, um sich als guter Arbeitgeber in Szene zu setzen - bislang allerdings noch nicht auf der deutschen Seite. Man wolle, so sagt eine der Verantwortlichen, hier erst einmal eine starke Gemeinschaft an Mitarbeitern aufbauen, die das Netzwerk knüpfen: mit Fotos, Kommentaren und ein paar Sternen für den eigenen Arbeitsplatz.

© SZ vom 15.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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