Betrug am Arbeitsplatz:Vor frischer Tat ertappt

Ein neuer Persönlichkeitstest soll Arbeitgebern zeigen, ob ein Job-Bewerber später die Firma beklauen wird. Juristen sehen darin einen Angriff auf das Persönlichkeitsrecht.

Susanne Schäfer

Um einen Job zu bekommen, lassen Bewerber einiges über sich ergehen. Sie zeigen in Rollenspielen, wie teamfähig sie sind, lassen ihre Intelligenz messen und vergleichen ihre Persönlichkeit im Bewerbungsgespräch auf Wunsch mit Automarken.

Einige Firmen testen Bewerber jetzt auch darauf, ob sie am Arbeitsplatz einst klauen werden. Branchen wie die Gastronomie oder der Einzelhandel sind auf die Ehrlichkeit der Mitarbeiter angewiesen.

Psychologen von der TU Darmstadt und der Universität Regensburg haben den Test entwickelt, etwa 60 deutsche Unternehmen setzen ihn bereits ein. In einem Kommentar schreiben die Wissenschaftler selbst, dass es womöglich "abenteuerlich" klinge, einem Menschen anmerken zu wollen, ob er einmal seinen Arbeitgeber bestehlen wird.

Indiz: Unordentlichkeit

Trotzdem kommen die Psychologen zu dem Ergebnis, dass eben dies möglich ist. Denn sie haben beobachtet, dass integere Mitarbeiter sich in Haltungen und Persönlichkeitsmerkmalen von solchen unterscheiden, die zum Klauen neigen: Wer stiehlt, ist den Ergebnissen zufolge zum einen weniger gewissenhaft und glaubt zum anderen, dass Stehlen am Arbeitsplatz ein verbreitetes und deshalb normales Verhalten sei. Auf dieser Beobachtung basiert der Test.

Bewerber bekommen 69 Aussagen vorgelegt und kreuzen auf einer Skala an, welchen sie zustimmen und welche sie ablehnen. Einige Aussagen beziehen sich direkt aufs Klauen, zum Beispiel: "Dinge, die in der Firma lange Zeit einfach so herumliegen, darf man auch mitnehmen."

Aussagen zur Ordnungsliebe sollen klären, wie gewissenhaft ein Bewerber ist. Aussagen wie diese prüfen Ansichten: "Einige Firmen bezahlen ihre Mitarbeiter so schlecht, dass sie sich nicht wundern müssen, wenn gestohlen wird."

Trickser fliegen auf

Blöd, wer hier zustimmt? Ganz so leicht ist es nicht, im Test zu schummeln. Die Psychologen haben einen Mechanismus eingebaut, der Trickser auffliegen lässt. "Wenn ein Bewerber zum Beispiel immer neutral antwortet, schlägt das System Alarm", sagt Jens Hoffmann von der TU Darmstadt, der den Test mit entwickelt hat.

Vor frischer Tat ertappt

Die Bewerber werden anfangs gewarnt, dass die Software, mit der die Antworten ausgewertet werden, falsche Antworten erkennt. "Viele antworten deshalb ehrlich", sagt Hoffmann.

Dass Charaktermerkmale und Überzeugungen mit einer Neigung zum Diebstahl zusammenhängen, haben die Psychologen mit Hilfe von Fragebögen ermittelt. 363 berufstätige Versuchspersonen füllten die Bögen aus und gaben an, ob sie schon einmal am Arbeitsplatz Gegenstände "mit einem höheren Wert" gestohlen hatten - nicht jeder mitgenommene Bleistift sollte als Diebstahl zählen.

Hoffmann nimmt an, dass die Probanden diese Frage ehrlich beantworteten, weil sie die Bögen anonym und unbeobachtet ausfüllten. Zusätzlich ließen sich 195 Strafgefangene testen, die Eigentumsdelikte begangen hatten.

Tatsächlich glaubten vorwiegend jene, die schon einmal geklaut hatten, dass dieses Verhalten normal sei. Diese Versuchspersonen zeigten auch weniger Durchhaltevermögen, Ordnungsliebe und Zuverlässigkeit - Psychologen leiten daraus ab, wie gewissenhaft ein Mensch ist.

Gute Erfahrungen in USA

In den USA werden vergleichbare Tests schon seit Jahren eingesetzt. Die amerikanische Psychologin Deniz Ones von der Universität Minnesota hat in einer Meta-Analyse gezeigt, dass solche Verfahren grundsätzlich aussagekräftig sind, wenn sie sorgfältig angewendet werden.

"Integritätstests, die das berufliche Verhalten vorhersagen sollen, sind im Allgemeinen zuverlässig", sagt auch Oliver Wilhelm, Professor für psychologische Diagnostik an der Humboldt-Universität in Berlin. "Sie geben eine genauere Prognose als der bloße Eindruck, den ein Personalchef von einem Bewerber hat - auch wenn der gesunde Menschenverstand bei diesen Tests protestiert."

Vor frischer Tat ertappt

Wilhelm warnt allerdings davor, die Aussagekraft des Verfahrens zu überschätzen. Bei vielen unzuverlässigen Mitarbeitern sei das Gesamtrisiko höher, dass irgendwann einer von ihnen etwas mitgehen lässt.

Der Test helfe dabei, dieses Gesamtrisiko abzuschätzen, könne aber keine exakten Prognosen für das Verhalten einzelner Personen geben: "Ob ein weniger gewissenhafter Mitarbeiter im Betrieb tatsächlich stiehlt, lässt sich nur mit geringer Genauigkeit vorhersagen."

Vorurteile abbauen

Hoffmann empfiehlt Arbeitgebern trotzdem, seinen Test dazu einzusetzen, die Integrität Einzelner zu prüfen: Er glaubt, es sei möglich, "problematische Mitarbeiter zu identifizieren, bevor sie in das Unternehmen eintreten". Ansonsten rät der Psychologe Arbeitgebern, das Verfahren vorsichtig anzuwenden. "Natürlich hat der Test eine Fehlerquote. Wir sagen unseren Kunden deshalb, dass der Test ein Vorstellungsgespräch nur ergänzen kann, aber nicht ersetzen."

Auch weise er die Arbeitgeber darauf hin, dass sie keine allzu simplen Schlüsse ziehen sollen, zum Beispiel: Wer seinen Schreibtisch nicht aufräumt, der klaut auch. Einzelne Aussagen fallen laut Hoffmann nicht ins Gewicht, der Test misst den Gesamteindruck. Wer also bei der Ordnungsliebe schlecht abschneidet, kann immer noch als integer durchgehen.

Hoffmanns Ansicht nach profitieren Bewerber sogar von dem Test. "Ein Personalchef wird sich in jedem Fall überlegen, ob er einen Bewerber für ehrlich hält." Viele ließen sich dabei vom Bauchgefühl leiten. "Diese Methode ist aber sehr unsicher.

Vor frischer Tat ertappt

Oft kommen eloquente Typen dabei zu gut weg. Wer schlampige Kleidung trägt, wird dagegen eher als potenzieller Dieb eingeschätzt." Oft gelte das auch für Bewerber mit dunkler Hautfarbe. Auf den Test könne man sich besser verlassen als auf das ungerechte Bauchgefühl, argumentiert Hoffmann.

Angriff auf das Persönlichkeitsrecht

Dass sich Vorurteile durch den Test abbauen lassen, bezweifelt Martina Perreng vom Deutschen Gewerkschaftsbund. "Wer Menschen mit dunkler Hautfarbe für unehrlich hält, wird sie gar nicht erst zum Bewerbungsgespräch einladen." Perreng hat grundsätzliche Bedenken.

"Mit so einem Test macht der Arbeitgeber deutlich, dass er dem Bewerber von vornherein misstraut." Die Juristin kritisiert: "Ein Test, bei dem Bewerber Einblick in ihren Charakter geben müssen, greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein." Hier gehe es nicht mehr um Informationen über das Arbeitsverhältnis, sondern um die Persönlichkeit eines Mitarbeiters. "Und kein Arbeitgeber hat einen Anspruch darauf, die zu kennen."

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