Bester Abiturient im Interview:Abi mit 0,7 - aber keinen Studienplatz

Er erreichte im Abitur 898 von 900 Punkten, hat einen Notendurchschnitt von 0,7. Besser geht es kaum. Doch einen Studienplatz in Medizin bekam Wadim Vodovozov trotzdem nicht. Der Abiturient ist sauer.

Cornelius Pollmer

Für Abiturienten mit mäßigem Notenschnitt gibt es an der Uni Heidelberg eine Menge Möglichkeiten: Assyrologie, Byzantinische Archäologie, Soziologie - all dies steht zur Wahl, ohne Numerus Clausus. Wadim Vodovozov ist der beste Abiturient Baden-Württembergs und bewarb sich in Heidelberg um einen Studienplatz in Medizin. Bekommen hat er ihn nicht.

für Panorama

Er hat einen Abitur-Durchschnitt von 0,7. Den ersehnten Studienplatz in Medizin bekam Wadim Vodovozov trotzdem nicht.

(Foto: privat)

SZ: Herr Vodovozov, wie lief es für Sie im Abitur?

Vodovozov: Schule war für mich immer big business, ich habe sie wie einen Job betrieben, und das Abitur war das große Finale, die bisher aufregendste und schönste Zeit meines Lebens. Es lief gut, ich habe 898 von 900 möglichen Punkten erreicht, ein Schnitt von 0,7.

SZ: Wo haben Sie die zwei Punkte verloren?

Vodovozov: In Geo und Geschichte habe ich in je einer Klausur nur 13 Punkte geschrieben. Mein schlechtestes Fach war aber Bildende Kunst, das habe ich rechtzeitig mit Note 1 abgewählt.

SZ: So eine 1 kann einem den 0,7er-Schnitt ja ganz schön verhageln.

Vodovozov: Das war einfach nicht so mein Ding. Ich interessiere mich eher für den Menschen. Deswegen möchte ich Medizin studieren.

SZ: Den Platz an der Uni Heidelberg haben Sie aber nicht bekommen.

Vodovozov: Der Bescheid erreichte mich an einem Freitag, den 13., im August 2010. Ich hatte fest mit einer Zusage gerechnet und war schon im Vor-Praktikum im Krankenhaus. Von der Toilette aus rief ich meinen Vater an und fragte: Gibt es etwas Neues? Er sagte: Leider ja.

SZ: Warum wurden Sie abgelehnt?

Vodovozov: In meinem Jahrgang gab es zu viele Einser-Abiturienten für die reservierten Plätze, und deswegen musste gelost werden. Ich hatte einfach Pech.

"Das Abitur ist leichter geworden"

SZ: Wie sind Sie mit der Nachricht umgegangen?

Vodovozov: Erst war ich perplex und glaubte an ein Versehen der Vergabestelle. Dann kam eine Phase radikaler Selbstkritik und die Frage: Liegt es an mir?

SZ: Es lag doch aber nicht an Ihnen.

Vodovozov: Ich habe schon einen Fehler gemacht und mich einseitig auf das Kriterium Abiturnote verlassen - ein guter Schüler ist aber nicht unbedingt ein guter Mediziner, und das berücksichtigt die Uni in ihrem Auswahlverfahren. Für mich fühlte es sich am Ende jedenfalls wie eine Niederlage an. Ich stand auf einmal ohne Studienplatz da und fragte mich: Wie geht es jetzt weiter?

SZ: Und, wie ging es weiter?

Vodovozov: Wir haben geklagt, vor drei Instanzen - und drei Mal verloren. 2000 Euro Kosten für die Erkenntnis, dass es in diesem System keine Einzelfallgerechtigkeit gibt. Ich bin der Kollateralschaden und fühle mich zurückversetzt in mein Deutsch-Abi.

SZ: Wieso das?

Vodovozov: Wir mussten einen Lektürevergleich von Kafkas "Prozess" und "Michael Kohlhaas" von Heinrich von Kleist anstellen. Es ging um die Frage, wie sich die Protagonisten durch gerichtliche Verfahren verändern.

SZ: Wie hat sich der tragische Held Wadim Vodovozov durch das gerichtliche Verfahren verändert?

Vodovozov: Kafka hatte recht, es ist wirklich so: die Anonymität des Einzelnen, die Unerreichbarkeit der Behörde und die Angestellten als ihre Funktionsträger. Ich liebe Kafka!

SZ: Sind Sie sauer?

Vodovozov: Ja, auf das Verfahren. Es kann doch nicht sein, dass so wertvolle Studienplätze verlost werden. Das Bildungssystem orientiert sich an Kriterien, die rational sind, aber nicht vernünftig. Das Ergebnis ist schein-objektiv.

SZ: Was halten Sie von Stochastik?

Vodovozov: Haben Sie "Homo Faber" gelesen? Mit Wahrscheinlichkeiten ist der Welt nicht beizukommen, man darf sie nicht mathematisieren.

SZ: Wieso gibt es überhaupt so viele Einser-Abis, dass gelost werden musste?

Vodovozov: Das Abitur ist leichter geworden. Man kann über stures Auswendiglernen sehr viel erreichen. Um in den Lostopf zu kommen, brauchte man nur einen Schnitt von 13,7 Punkten.

SZ: Und jetzt?

Vodovozov: Mache ich ein freiwilliges soziales Jahr. Im Herbst bekomme ich dann meinen Studienplatz. Hoffentlich.

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