Berufseinstieg:Generation Probearbeiter

Angst vor einer unsicheren beruflichen Zukunft treibt junge Franzosen in Massen auf die Straßen. Auch deutsche Hochschulabsolventen hätten allen Grund zu protestieren.

Nicola Holzapfel

Bei den Massen-Demonstrationen in Frankreich geht es nur vordergründig um eine Änderung des Kündigungsrechts. In Wirklichkeit ist eine tief sitzende Verunsicherung der Auslöser der Jugend-Revolte.

Berufseinstieg: Teilnehmerin der Studenten-Demo in Paris am Samstag.

Teilnehmerin der Studenten-Demo in Paris am Samstag.

(Foto: Foto: dpa)

Dass die Probezeit für bis zu 26-Jährige auf zwei Jahre verlängert wird, richtet sich gar nicht an Studenten und Hochschulabsolventen, sondern ist als Instrument gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit geplant.

Die Studierten fühlen sich nur deswegen von der Arbeitstsmarktreform getroffen, weil sie Angst haben. Angst, keine Arbeit und damit keinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Die jungen Franzosen laufen Sturm gegen unsichere Berufsaussichten selbst bei guter Ausbildung.

Ihre Kommilitonen in Deutschland könnten sich den Protesten ohne weiteres anschließen.

Seit Jahren wird ihr Berufseinstieg unsicherer. Arbeitsmarktforscher werden zwar nicht müde zu betonen, dass Bildung vor Arbeitslosigkeit schützt, doch die Beschäftigungsverhältnisse ändern sich.

Der Anteil der Hochschulabsolventen, die direkt nach dem Studium eine unbefristete Stelle ergattern, nimmt kontinuierlich ab. In der privaten Wirtschaft trifft das inzwischen nicht mal auf jeden zweiten Job zu. Das zeigen die regelmäßigen Absolventenbefragungen des Hochschulinformationssystems.

Aber nicht nur befristete Verträge sind für Berufseinsteiger mit Diplom heute normal. Auch Projekt- und Honorarvereinbarungen und notgedrungene Selbstständigkeit sind üblich geworden.

Wird das Kündigungsschutzgesetzes wie geplant geändert, kommt ein neuer Unsicherheitsfaktor ins Spiel. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass Unternehmen die Probezeit bei Neueinstellungen auf 24 Monate ausdehnen können. Das wird vor allem die Einsteiger betreffen - das Arbeiten auf Probe wird System.

Die unsicheren Beschäftigungsverhältnisse bedeuten auch Abstriche beim Einkommen. Wer mal einen Projektvertrag hat, mal keinen, muss dennoch die Zeit dazwischen irgendwie überbrücken.

Dazu kommt die Gehaltszurückhaltung der Unternehmen. In den vergangenen Jahren haben die Gehälter in Deutschland stagniert. Die Einstiegsgehälter sind sogar zurückgegangen.

Wie eine Studie der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik zeigt, nehmen Akademiker seit Jahren schlechter bezahlte Jobs an. Ihr Einkommensvorteil gegenüber Nicht-Studierten sinkt. Ein Viertel der vollzeitbeschäftigten Akademiker verdient nicht mehr als Angestellte mit Berufsausbildung.

Vor allem Absolventen jener Fachrichtungen, denen schon seit Jahrzehnten im ersten Semester prophezeit wird, dass sie später mal als Taxifahrer enden werden, spüren die neuen Beschäftigungsbedingungen. Aber nicht nur Geistes- und Sozialwissenschaftler, auch manche Wirtschafts- und Naturwissenschaftler und Ingenieure haben in den vergangenen Jahren gemerkt, dass auf dem Arbeitsmarkt ein anderer Wind wehen kann als zu den guten alten Zeiten, als ihre Eltern ins Berufsleben starteten.

Die französischen Jugend lässt ihrem Zorn über diese Entwicklung nun auf den Demos Luft. Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit sagt über die Demonstranten, sie seien negativ eingestellt und handelten defensiv. Einen Vergleich mit den 68er Demos weist er deswegen zurück. "Die jungen Leute haben eine negative Sicht auf die Zukunft. Mai 1968 war eine offensive Bewegung mit einer positiven Vision der Zukunft."

Die positive Zukunftsvision fehlt zurzeit nicht nur in Frankreich. Doch in Deutschland trägt die Jugend ihre Verunsicherung (noch) nicht auf die Straße.

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