Berufseinstieg:Die Billig-Absolventen

Eine neue Studie zeigt: Mehr als ein Drittel der Akademiker wird nach dem Studium erst mal Praktikant. Sie sind nicht die Einzigen, die sich unter Wert verkaufen.

Nicola Holzapfel

Der deutsche Hochschulabsolvent hat im Schnitt sieben Jahre lang studiert. Wenn er die Hochschule verlässt, ist er 28 Jahre alt. Er ist reif für den Arbeitsmarkt. Überreif. Aber je nach Studienfach ist sein Risiko groß, noch eine ganze Weile von seinen Eltern abhängig zu sein.

Berufseinstieg: Die Billig-Absolventen

Jedes zweite Praktika wird umsonst abgeleistet. Gibt es Geld, variieren die Gehälter von 0 bis 1500 Euro. Am besten zahlen Unternehmen in Industrie und Handel, Banken und Versicherungen.

(Foto: Foto: iStockphoto)

37 Prozent der Hochschulabsolventen werden nach dem Studium erst einmal - Praktikant. Weil sie mit ihrem mageren Salär nicht über die Runden kommen, müssen fast zwei Drittel von ihnen ihre Eltern um Unterstützung bitten. 40 Prozent jobben neben dem Praktikum. Das zeigt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung und der FU Berlin, die den Berufseinstieg von 500 Akademikern untersucht, die im Wintersemester 2002/2003 ihr Studium an einer Berliner oder nordrhein-westfälischen Hochschule abgeschlossen haben. "Praktika nach dem Studium sind zu einer Form von Übergangsarbeitslosigkeit von Hochschulabsolventen geworden", sagt Dieter Grühn von der FU Berlin.

Besonders schlimm ist die Situation für Geisteswissenschaftler. Sie machen überdurchschnittlich häufig Praktika und werden dafür unterdurchschnittlich bezahlt. Der Studie zufolge haben sich vor allem Redaktionen und Kultureinrichtungen auf die gut ausgebildeten und billigen Arbeitskräfte geradezu eingestellt.

Andreas Pallenberg vom Wissenschaftsladen Bonn, der wöchentlich die Stellenanzeigen für Akademiker auswertet, weiß, dass viele Geisteswissenschaftler aus reiner Verlegenheit Praktikant werden. Sie wissen nicht, wie und wo sie auf dem Arbeitsmarkt mit ihrer Ausbildung unterkommen sollen. "Kein Geisteswissenschaftler wird wegen seiner Studienfächer eingestellt", sagt Pallenberg. Und doch findet der Wissenschaftsladen Woche für Woche hunderte Angebote für seine schwierige Klientel. Das sind zum Beispiel Stellen als Referenten in der Öffentlichkeitsarbeit, als Marketing-Mitarbeiter in Agenturen oder Assistent in einem Verband.

Von der Vorstellung, es warte ein unbefristeter Vollzeitjob auf sie, müssen sich Absolventen jedoch verabschieden. Die Unbeständigkeit der Jobs nimmt dramatisch zu. Ein Drittel der Positionen für Akademiker, die im vergangenen Jahr den Arbeitsagenturen gemeldet wurden, waren befristet. Außerdem steigen die Teilzeitstellen. Das zeigt eine Auswertung der Stellenanzeigen, die Anfang 2006 in Print- und Onlinemedien erschienen, durch den Wissenschaftsladen Bonn.

"Geisteswissenschaftler müssen flexibel sein, um unterzukommen", sagt Pallenberg. Die Qualifikationen, die sie aus dem Studium mitbringen, würden von vielen Arbeitgebern geschätzt, etwa ihre Allgemeinbildung, ihre Kommunikationsfähigkeit, ihr Organisationstalent. Nur mit einem tun sie sich schwer: der Berufserfahrung. Die wird von den Unternehmen vorausgesetzt. Bei den Arbeitsagenturen waren im vergangenen Jahr weniger als Prozent der Stellen für Akademiker an Berufseinsteiger gerichtet. Dafür wurden bei zwei Drittel der Positionen Berufserfahrung explizit gefordert.

Die Billig-Absolventen

Statt dafür nun ein Praktikum aufs andere zu setzen, rät Pallenberg zur Zeitarbeit. Tatsächlich entdeckt die Branche zunehmend die Akademiker. Bei den Arbeitsagenturen haben die Nachfragen der Zeitarbeitsunternehmen im vergangenen Jahr um 20 Prozent zugelegt, während die Stellenangebote für Akademiker insgesamt gesunken sind.

Die Jobs, die zu vergeben sind, entsprechen nicht unbedingt den Traumvorstellungen der Hochschulabsolventen. "Das sind meist minderqualifizierte Arbeiten", sagt Pallenberg. Dennoch rät er Jobsuchenden, über ihren "akademischen Schatten" zu springen. "Es ist für Geisteswissenschaftler seltsam, dass ihr Studium relativ belanglos für die erste Anstellung ist. Aber es ist wichtig, keine Lücke im Lebenslauf zu haben."

Immerhin lässt sich mit der Zeitarbeit mehr verdienen als mit Praktika. Laut den Tarifverträgen liegt die Entlohnung in der höchsten Berufsgruppe bei 16 Euro die Stunde in Westdeutschland. Für ein bezahltes Praktikum gibt es im Schnitt rund 600 Euro monatlich wie die Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung zeigt. Männer angeln sich offenbar die attraktiveren Stellen. Sie kommen im Schnitt auf 741 Euro, Frauen werden mit 543 Euro abgespeist. Jedes zweite Praktikum wird überhaupt nicht vergütet. Als "billige Arbeitskraft" ausgenutzt fühlen sich ein Viertel der Praktikanten.

Immerhin: Manchen gelingt tatsächlich der Berufseinstieg über ein Praktikum. Ein Drittel der Praktikanten schafft es, im Unternehmen hängen zu bleiben. Allerdings wurde nicht erhoben, ob es sich dabei um feste Jobs oder freie Mitarbeit auf Stundenbasis handelt.

Die Wissenschaftler zeigen sich angesichts der zunehmend unsicheren Beschäftigungsverhältnisse alarmiert. "Es kommt zu einer Entstandardisierung der Erwerbsbiografie. Die Phase für berufliche Karriere, Familiengründung und Vorsorge verengt sich. Lebens- und Berufsplanung werden immer schwieriger", sagt Sebastian Brandl von der Hans-Böckler-Stiftung.

Selbst wenn es zur ersten Festanstellung kommt, müssen Absolventen mancher Fachrichtungen Abstriche machen. Während frisch diplomierte Ingenieure und Informatiker mit 40.000 Euro im Jahr und mehr loslegen und für sie die Einstiegsgehälter wieder steigen, sind die Verdienst-Chancen für viele Geistes- und Sozialwissenschaftler in den vergangenen Jahren gesunken. Grund ist der neue Tarifvertrag im öffentlichen Dienst, an dem sich auch Verbände und Vereine orientieren. Gegenüber dem früheren Bundesangestellten-Tarif würden Hochschulabsolventen nun mit ein paar hundert Euro weniger im Monat einsteigen, rechnet der Wissenschaftsladen vor. Damit bleiben etwa 3000 Euro brutto monatlich.

Wie die Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, liegen die Gehälter der befragten Absolventen (quer durch alle Fachrichtungen) jedoch teilweise noch deutlich darunter. Zehn Prozent verdienen drei Jahre nach ihrem Abschluss monatlich nur bis zu 1000 Euro brutto. 18 Prozent liegen zwischen 1000 und 1500 Euro. Nur sechs Prozent verdienen mehr als 4000 Euro.

Verteilung der monatlichen Brutto-Einkommen aller abhängigen Beschäftigten und Freiberufler.

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