Berufsbegleitende Promotion:Nebenbei zum Doktortitel

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Die Affären Guttenberg und Koch-Mehrin klingen noch nach, die Wissenschaftswelt debattiert, ob "Nebenbei-Promotionen" generell abgeschafft werden sollten. Und was macht die EU? Sie will berufsbegleitende Industriepromotionen demnächst verstärkt fördern.

Johann Osel

Gut drei Monate sind seit dem Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg inzwischen vergangen - der deutsche Wissenschaftsbetrieb hat sich aber, verstärkt durch den neuerlichen prominenten Plagiatsfall Koch-Mehrin, noch nicht so richtig beruhigt. Da herrscht einerseits Groll darüber, dass Teile von Politik und Gesellschaft den wissenschaftlichen Betrug anfangs als Kavaliersdelikt kleinredeten; und da ist andererseits die durch die Affäre losgetretene Debatte, ob nicht grundsätzlich etwas schief läuft im Promotionsbetrieb, ob man "Nebenbei-Dissertationen" ohne enge Anbindung an die Lehrstühle und nur um der Karriere willen nicht einen Riegel vorschieben sollte.

Die EU will verstärkt berufsbegleitende Industriepromotionen fördern. (Foto: ddp)

Sozusagen zur Unzeit will die Europäische Kommission nun einen "European Industrial PhD" einführen - eine Institutionalisierung berufsbegleitender Promotionen.

Im Spätsommer soll eine Pilotinitiative dazu als Teil des Marie-Curie-Programms ausgeschrieben werden. Man erwartet, dass dann 2012 in einer ersten Tranche 100 Studenten das Programm beginnen. Letztlich sollen damit auch die Grenzen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft durchlässiger werden, heißt es. Vorbild ist Dänemark, wo ein solches System seit Jahrzehnten besteht. In dem dreijährigen Programm dort sind die PhD-Studenten je zur Hälfte in der Privatwirtschaft beschäftigt, zur anderen Hälfte arbeiten sie an den Hochschulen an ihrer Dissertation. 2009 wurden 1200 solche Promotionsprojekte verwirklicht.

Umgesetzt wird das Programm von der Dänischen Wissenschaftsakademie (Dasti), die die Gehälter der Industriedoktoranden mit bis zu 50 Prozent bezuschusst. Die Struktur "ermöglicht es, ein wissenschaftliches Projekt in ein praktisches Umfeld zu übertragen, der Student kann von den beiden so unterschiedlichen Welten profitieren", sagt Dasti-Direktorin Inge Mærkedahl. So sei das Programm auch "zu einem Netzwerkbeschleuniger zwischen Universitäten und Unternehmen" geworden.

Bedenken wegen fehlender wissenschaftlicher Tiefe bei den Projekten teilt sie nicht. Auch wenn anwendungsbezogene Forschung von Natur aus oberflächlicher sei als Grundlagenforschung - es würden nur Projekte zugelassen, die den Anspruch klassischer Doktorarbeiten erfüllten.

Allerdings stellten die Dänen in einer Evaluation fest, dass fast zwei Drittel der industriellen Partner Großkonzerne sind. Auf EU-Ebene soll das anders werden: Auch kleine und mittlere Unternehmen sollen durch das Programm einen leichteren Zugang zur Kooperation mit Universitäten und Forschungseinrichtungen bekommen, heißt es in der Resolution, mit der das EU-Parlament schon im Jahr 2010 das Vorhaben bestätigte.

Doch kann Deutschland, sollte sich das Projekt über die Pilotphase hinaus etablieren, von dieser Neuerung wirklich profitieren? "Grundsätzlich ist Promovieren eine Vollzeitaufgabe. Und es ist sehr anspruchsvoll, das zusätzlich zum Beruf zu schaffen, es gibt ja auch genügend Fälle, wo Leute daran scheitern oder manchmal gar den leichteren Ausweg suchen", sagt Norman Weiss, Vorsitzender des Promovierenden-Netzwerks Thesis.

"Warum wollen Leute einen Doktortitel machen, die danach mit ziemlicher Sicherheit nicht Wissenschaftler bleiben wollen und zuvor auch keinen wissenschaftlichen Werdegang eingeschlagen hatten?" Hier dürfe man vermuten, dass es nur um den Titel gehe und der Mehrwert, vielleicht mit Ausnahme bei Teilnehmern direkt aus Forschungsabteilungen der Industrie, eher gering sein werde.

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Industriepromotionen gibt es in Deutschland auch jetzt schon: In der Regel handelt es sich um Fälle, in denen Firmen den Titel für ihre Führungskräfte befürworten, ihnen ein konkretes Projekt an die Hand geben und das berufsbegleitende Promovieren durch Zeitfenster ermöglichen. Die wissenschaftliche Betreuung liegt beim Doktorvater, der das Vorhaben annimmt. Nach einer Schätzung der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) liegt der Anteil solcher Promotionen bei den Ingenieuren im einstelligen Prozentbereich. Die Akademie verweist auf die Einschränkung bei der Themenfindung: In einer Umfrage sagten 82 Prozent der Industriedoktoranden, sie könnten ihr Thema nur präzisieren und nicht selbst bestimmen.

Skeptische Professoren

Auch der Rektor der RWTH Aachen und Vorsitzende der neun führenden Technischen Unis (TU9), Ernst Schmachtenberg, ist skeptisch: "Es existiert offenbar bei vielen die Vorstellung, man müsse den Doktortitel haben, um im Beruf erfolgreich zu sein. Der Titel scheint hier fast schon eine Markenfunktion zu haben wie beim Autokauf." Die Hochschulen müssten aber darauf achten, "unter diesem akademischen Grad die Befähigungen abzubilden, die hiermit auch erwartet werden". Der Pilotversuch eines Industrial PhD dürfte im Grunde auf externe Industriepromotion hinauslaufen: "Man muss diese berufsbegleitenden Leistungen zwar grundsätzlich anerkennen und auch bereit sein, solche Promotionsverfahren durchführen. Ein Doktortitel darf aber kein reiner Zierrat für den Beruf sein", warnt der Rektor.

Allerdings ist fraglich, ob es diesen Zierrat tatsächlich braucht: Bei einer Erhebung des Instituts der Deutschen Wirtschaft 2010 gaben nur sechs Prozent der befragten Personalchefs an, dass sie bei der Besetzung von Führungspositionen auf einen Doktortitel Wert legen - zum Beispiel Kommunikationsfähigkeit wurde als viel wichtiger genannt.

"Man kann ein ausgezeichneter Ingenieur sein, ohne Doktortitel und ohne jemals in größerem Umfang in der Forschung gearbeitet zu haben", meint auch Schmachtenberg. Ebenso ermutigt er Mediziner, in deren Bereich hurtige oberflächliche Dissertationen fast Regelfall sind, ohne Doktorhut zu praktizieren.

Ab in die Industrie

In Aachen gehen 90 bis 95 Prozent der promovierten Ingenieure anschließend in die Industrie, viele erstellen ihre Arbeit in thematischer Verzahnung mit Unternehmen. Zentral sei für das wissenschaftliche Arbeiten der Doktoranden aber die Integration in das Forschungsumfeld der Professur, sagt Schmachtenberg. Man müsse nun abwarten, wie der European Industrial PhD genau ausgestaltet werde; aber es sei nicht sinnvoll, den Trend zum berufsnahen Doktor zu beschleunigen.

Stattdessen sollte die EU, so Schmachtenberg, die Promotionsbedingungen in den Hochschulen verbessern: "EU-Forschungsmittel sind für die Doktorandenausbildung meist kaum einsetzbar, weil sie zu sehr an Themenvorgaben und Arbeitspläne gebunden sind."

© SZ vom 20.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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