Berufsausbildung:Senior Azubi

  • Am 1. September beginnt der neue Ausbildungsjahrgang. Viele Unternehmen haben jedoch Mühe, geeignete Azubis zu finden.
  • Daher öffnen sich immer mehr Betriebe auch für ältere Lehrlinge - drei von ihnen erzählen auf den Seiten zwei und drei dieses Artikels ihre Geschichten.
  • Aktuell sattelt etwa jeder fünfte Studienabbrecher auf eine Ausbildung um. Fachleute vermuten, dass die Zahl künftig steigen dürfte.

Von Miriam Hoffmeyer

Fünfzehnjährige Lehrbuben und Lehrmädel sind fast so rar geworden wie diese Begriffe. Heute beginnt der durchschnittliche Azubi seine Ausbildung kurz nach dem 20. Geburtstag. Und die Gruppe der Späteinsteiger wächst besonders stark: Nach dem aktuellen Berufsbildungsbericht des BIBB waren 2013 mehr als zehn Prozent aller Ausbildungsanfänger zwischen 24 und 40 Jahre alt. Der Anteil dieser Altersgruppe hat sich damit innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt. Außerdem wurden bundesweit knapp 1200 Menschen gezählt, die mit über 40 noch eine Ausbildung anfingen.

Eine einheitliche Gruppe sind die älteren Azubis nicht. Einige haben sich nach dem Abbruch einer anderen Ausbildung oder eines Studiums umorientiert, andere wollen nach der Familienphase oder längerer Arbeitslosigkeit ganz von vorn anfangen. Die Unternehmen seien offener für ältere Ausbildungsbewerber geworden, sagt der Forschungsdirektor des BIBB, Professor Reinhold Weiß: "Früher war das Interesse an Älteren gering, da erkenne ich einen Wandel. Wo Fachkräftemangel herrscht, sind Unternehmen gezwungen, nach neuen Zielgruppen Ausschau zu halten." In einigen Bereichen, etwa in Gesundheitsberufen, sei Lebenserfahrung ein großer Vorteil. "Und wenn Ältere noch einmal eine Chance bekommen, sind sie oft froh und arbeiten mit hoher Motivation."

Ausbildungen für Ältere werden, auch aufgrund der schon vorhandenen Kenntnisse, oft erheblich verkürzt. Allerdings bricht nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit mehr als ein Drittel der 25- bis 35-jährigen ihre Ausbildung ab, bei den Jüngeren ist es nur etwa ein Viertel. "Ältere haben oft schon Familie und hören auf, weil sie anderswo mehr Geld verdienen können", sagt Paul Ebsen von der Bundesagentur. Immerhin muss nicht jeder ältere Azubi mit einem Ausbildungsgehalt über die Runden kommen - Umschüler, die von der Arbeitsagentur gefördert werden, erhalten zum Beispiel mehr Geld.

Eine Initiative unter dem Motto "Spätstarter gesucht", mit der die Bundesagentur insgesamt 100 000 Menschen zwischen 25 und 35 Jahren in Ausbildung bringen will, läuft noch bis Ende 2015. Bisher waren es schon etwa 77 000 Teilnehmer, mehr als die Hälfte von ihnen hatte auch sechs Monate nach dem Ausbildungsabschluss noch Arbeit. Die meisten Spätstarter wurden in den Logistikbereich, in kaufmännische Berufe oder den Maschinen- und Fahrzeugbau vermittelt. "Dort haben viele Spätstarter schon vor der Ausbildung als ungelernte Hilfskräfte gearbeitet. Wenn die zur Fachkraft werden, lohnt sich das für den Betrieb", sagt Ebsen.

Jeder fünfte Studienabbrecher beginnt eine Ausbildung

Das Problem solcher Initiativen ist allerdings ihre Befristung. So machte die zu Edeka gehörende Großbäckerei K&U Schlagzeilen mit ihrem "Senior Azubi"- Programm. Seit 2010 wurden darin 53 Menschen über 50 ausgebildet und dabei nach Angestelltentarif bezahlt. Das Auslaufen des Förderprogramms WeGebAU der Bundesagentur bedeutete jedoch auch das Ende des K&U-Modells. Als dauerhafter hat sich das Ausbildung 50plus-Programm der ING-Diba erwiesen, mit dem die Bank seit 2006 eine ausgewogenere Altersmischung der Belegschaft anstrebt. Die fünf Teilnehmer pro Jahr erhalten ein etwa doppelt so hohes Gehalt wie junge Azubis, die Bank finanziert das allein. "Wir wollten erst Eingliederungszuschüsse der Arbeitsagentur nutzen. Aber auf diese Weise haben wir nicht genug geeignete Bewerber gefunden", sagt Patrick Herwarth von der ING-Diba.

Die Zahl der Studienabbrecher, die auf eine Ausbildung umsatteln, wird nach Einschätzung des BIBB-Forschungsdirektors Weiß weiter steigen - schon weil immer mehr junge Leute studieren. Bisher sattelt etwa jeder fünfte Abbrecher auf eine Ausbildung um. Einige Universitätsstädte helfen gezielt bei diesem Wechsel. So hat das Aachener Switch-Programm seit 2011 schon 220 Abbrecher an lokale Unternehmen vermittelt. "Die Betriebe schätzen die Motivation und die persönliche Reife dieser Azubis", sagt Peter Gronostaj, der Projektleiter Wirtschaftsförderung der Stadt Aachen. "Schließlich haben sie schon gelernt, mit Niederlagen umzugehen."

Drei ältere Azubis erzählen

Saskia Groß, 29, Industriemechanikerin

Ich wollte immer schon Mechanikerin werden. Nach der Schule habe ich Hunderte von Bewerbungen geschrieben - aber die einzige Zusage war eine Ausbildung zur Metzgereifachverkäuferin. Die habe ich nach zweieinhalb Jahren abgebrochen. Ich habe mich dann so durchs Leben gejobbt, erst als Verkäuferin, dann mit Zeitarbeit in Fabriken. Aber das Gehalt war zu schlecht. Meine Arbeitskollegen in der Fabrik haben gemeint: Du kannst mehr, fang noch mal was Richtiges an!

Die Beraterin der Arbeitsagentur hat mir dann empfohlen, mich zur Industriemechanikerin umschulen zu lassen. Mein Lebensgefährte war damals gerade arbeitslos geworden, ihn habe ich auf die Idee gebracht, das auch zu machen. Wir saßen dann im selben Kurs. Ich habe jeden Abend gelernt, obwohl Mathe eigentlich nicht so meins war. Aber wir haben uns beide richtig dahintergeklemmt.

Berufsausbildung: Wird nach später Umschulung sogar bald Abteilungsleiterin: Saskia Groß.

Wird nach später Umschulung sogar bald Abteilungsleiterin: Saskia Groß.

(Foto: privat)

Die Umschulung beim Beruflichen Fortbildungszentrum der Bayerischen Wirtschaft in Nürnberg dauerte 18 Monate. Der Inhalt ist genau derselbe wie in der dualen Ausbildung zum Industriemechaniker. Wir hatten gar keine Zweifel, dass wir hinterher eine gute Anstellung bekommen. Zwei von drei Praktika haben wir bei der Firma PMS 724 in Fürth gemacht, das ist ein Prototypen-Hersteller. Ich habe mich mit den Azubis da sehr gut verstanden, und wir konnten einiges voneinander lernen. Anfang Juli haben mein Lebensgefährte und ich die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, mit den besten Noten in unserem Kurs. Der Werkstattmeister hatte uns vorher schon gesagt, dass wir uns bei PMS 724 bewerben sollten - und jetzt sind wir beide da angestellt. Außer mir gibt es kaum Frauen in der Firma, dass macht aber nichts, ich fühle mich sehr wohl. Ich arbeite in der Kunststoffabteilung. Im nächsten Jahr geht unser Abteilungsleiter in Rente, ich werde seine Nachfolgerin. Dafür werde ich jetzt angelernt. Die Leitung traue ich mir zu, ich bin ja jetzt Facharbeiterin.

Thilko Mälzer, 30, angehender Fachinformatiker

Meine Familie führt seit vier Generationen eine Apotheke in Emden. Seit ich laufen kann, war klar, dass ich Pharmazie studieren würde. Das habe ich auch gemacht - aber es hat nicht gut geklappt. Ich habe das Lernen immer zu lange aufgeschoben. Und wenn ich durch eine Klausur gefallen war, habe ich mich beim zweiten Versuch sehr unter Druck gesetzt. Ich habe dann zu Lebensmittelchemie gewechselt, aber da gab es auch Rückschläge. Deshalb wollte ich mit dem Studium aufhören. Aber meine Familie und meine Freunde haben mich überredet, es ein drittes Mal zu versuchen, diesmal an der Fachhochschule. Das ging zuerst ganz gut, aber irgendwann war trotzdem die Luft raus. An dem Punkt hatte ich dann endlich das Rückgrat zu sagen: Studieren ist einfach nichts für mich.

Berufsausbildung: Thilko Mälzer wollte eigentlich Apotheker werden, aber das Studium war nichts für ihn.

Thilko Mälzer wollte eigentlich Apotheker werden, aber das Studium war nichts für ihn.

(Foto: privat)

Ich bin im Internet auf das Switch-Programm für Studienabbrecher gestoßen, dann ging alles superschnell: Am Mittwoch habe ich der IHK Aachen gemailt, am Freitag war ich schon beim Eignungstest. Und in der Woche danach hatte ich drei Einladungen zu Vorstellungsgesprächen für Ausbildungsplätze. Seit fünf Monaten mache ich bei der Klafka & Hinz GmbH eine Ausbildung zum Fachinformatiker. Sie ist auf 18 Monate verkürzt, es wird aber nichts weggelassen, alles wird nur schneller vermittelt. Ich gehe einmal pro Woche ganztags und einmal abends zur Berufsschule. An dem Tag bin ich dann acht Stunden im Betrieb und danach noch vier Stunden in der Schule.

Aber ich bin froh, dass ich jetzt einen strikten Plan habe, alles ist viel strukturierter als an der Uni. Die Switch-Azubis sind in einer eigenen Klasse, der Jüngste ist 26 und der Älteste 36. Wir haben die gleichen Erfahrungen - alle sind an der Uni nicht so richtig in die Puschen gekommen und jetzt sehr motiviert. Das Arbeitsklima in meinem Betrieb ist auch sehr gut. Und meine Familie hat akzeptiert, dass das der richtige Weg für mich ist.

Ausbildung mit fast 60

Erika Sperber, 62, Bankassistentin

Mit 59 wurde ich arbeitslos, weil meine Firma umstrukturiert wurde. Damals habe ich mich auf einige Stellen beworben, aber die Resonanz war nicht gerade positiv. Ich vermute, das lag an meinem Alter, auch wenn das natürlich nicht so gesagt wurde. Dann habe ich in der Zeitung eine Anzeige für das "Ausbildung 50plus"- Programm der ING-Diba gelesen. Ich fand es ganz ungewöhnlich und toll, dass gezielt Ältere gesucht wurden.

Es gab ein Auswahlverfahren und etwa hundert Bewerber für fünf Plätze. Ich hatte den Vorteil, dass ich mein Leben lang beruflich mit Finanzen zu tun hatte. Nach der Schule wollte ich schon gern eine Banklehre machen. Aber damals hieß es, das lohnt sich nicht, Frauen heiraten ja sowieso. Deshalb habe ich erst später auf dem zweiten Bildungsweg eine Ausbildung zur Betriebswirtin gemacht und dann lange im Export gearbeitet.

Berufsausbildung: Erika Sperber war eine von fünf Azubis im Jahr, mit der die ING-Diba-Bank eine ausgewogenere Altersstruktur in ihrer Belegschaft erreichen will.

Erika Sperber war eine von fünf Azubis im Jahr, mit der die ING-Diba-Bank eine ausgewogenere Altersstruktur in ihrer Belegschaft erreichen will.

(Foto: ing-diba)

Die anderen vier älteren Azubis in meinem Jahrgang hatten auch schon kaufmännisches Vorwissen. Die Bankassistenten-Ausbildung dauert nur ein Jahr, wir sind auch nicht wie die jungen Azubis zur Berufsschule gegangen. Am Anfang und am Ende hatten wir Blockseminare, zwischendurch haben wir vier Tage pro Woche gearbeitet und wurden am fünften Tag geschult. Vor einem Jahr habe ich die Abschlussprüfung mit IHK-Zertifikat bestanden, seitdem bin ich Angestellte.

Ich beantworte Fragen im Kundendialog, dem Callcenter der Bank: Welche Girokonten und Sparkonten gibt es, wie hoch sind die Zinsen, wie macht man eine Überweisung und so weiter. Das ist sehr abwechslungsreich, ich habe gern mit unterschiedlichen Menschen zu tun. Einige Jahre habe ich ja noch bis zum Ruhestand, die Ausbildung hat sich auf jeden Fall gelohnt. Bei uns arbeiten auch viele junge Leute, dieser Altersmix gefällt mir sehr: Wenn wir Älteren Fragen zu neuen Technologien haben, können die Jungen uns helfen. Und die Jungen lernen von uns, ruhiger und gelassener zu sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: