Berufe-Simulatoren für den PC:Arbeitsalltag ohne Karriere-Sorgen

Sie würden gerne mal einen Blinddarm herausoperieren oder ein Flugzeug fliegen? Oder einfach nur einen Linien-Bus lenken oder einen Acker pflügen? Berufe-Simulatoren machen's möglich - und sind sehr beliebt. Was Menschen dazu bringt, den Arbeitsalltag anderer nachzuahmen.

Andreas Remien

Der Bürgermeister von Sauberhausen hat dem Schmutz den Kampf angesagt. Das Kehrfahrzeug steht schon in strahlendem Orange in der digitalen Werkshalle. Gang rein, Bürste raus, Warnleuchte an, Wasserdüse auf: Mit Maus und Tastatur rücken PC-Spieler elektronischen Müllhaufen zu Leibe. Es ist die Welt des "Kehrmaschinen-Simulators".

'Getonboard' Flugsimulator in München, 2010

Mal ein Flugzeug steuern: Anspruchsvolle Berufe wie Pilot werden in der Regel in Simulatoren extrem simplifiziert.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Titel mag skurril sein, verkauft sich aber ordentlich - und befindet sich außerdem in großer Gesellschaft. Ob Busfahrer, Landwirt oder Holzfäller: Seit etwa drei Jahren sind Berufe-Simulatoren seltsam erfolgreich. Vor allem Tätigkeiten, die nicht gerade im Verdacht eines Traumberufs stehen, scheinen eine bizarre Faszination zu haben.

"Erleben Sie den realen Arbeitstag eines Straßenreinigers!", ist keine Drohung, sondern ein Werbeslogan. Und mit dem Müllabfuhr-Simulator kann man, so die Verkaufsbotschaft, "selbst Hand an Bio- und Restmülltonne legen" und den "schweren Job des Müllmanns" erleben. Das kommt gut an: In den Media-Control-Charts für Spiele bis 28 Euro belegen die meist günstigen Simulatoren regelmäßig Spitzenplätze. Ein wichtiges Erfolgselement vieler Programme sind große Maschinen. Besonders oft werden Berufe simuliert, deren Arbeitsplatz hinter dem Lenkrad ist. Ob Tank-, Liefer- oder Abschleppwagen, Lkw oder Pistenraupe: Es gibt kaum ein Führerhaus, das nicht digital besetzt werden kann.

Wer wollte als Kind nicht immer mal Traktor fahren oder einen Mähdrescher bedienen?", fragt Dirk Ohler, Leiter Produktmanagement von Marktführer Astragon, der unter anderem den Landwirtschaftssimulator entwickelt. Das Spiel, das in diesem Jahr den deutschen Entwicklerpreis in der Kategorie Simulation gewonnen hat, ist weltweit mehr als 1,5 Millionen Mal über den Ladentisch gegangen. Während Fernsehsender Bauern verkuppeln, projiziert der Landwirtschaftssimulator Vieh und Felder auf den Computerbildschirm. Kurz nach Sonnenaufgang die Milchkühe füttern, zwischendurch Gerste aus dem Silo verkaufen und am Nachmittag mit Traktor und Stalldungstreuer aufs Feld hinaus fahren - so sieht der entschleunigte Alltag in der Simulatorwelt aus.

Kindheitswünsche und Landlust mögen den Erfolg des Landwirtschaftssimulators erklären - was aber ist mit Programmen wie dem Kehrmaschinen-Simulator? "Wir haben intern bei diesem Titel in der Tat lange diskutiert", sagt Ohler. Am Ende habe man beschlossen, das Experiment zu wagen. "Für ein Nischenprodukt ist der Titel gut angekommen."

Warum das so ist, interessiert auch Christoph Klimmt. Der Professor für Publizistik beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Theorie von Computerspielen. Nach seiner Beobachtung weichen die Berufe-Simulatoren in einem wesentlichen Punkt von der üblichen Spielmechanik ab. "Fast alle Computerspiele funktionieren nach dem Leistungsprinzip", sagt er. "Bei den meisten Alltagssimulatoren ist das nicht der Fall." Während Spieler bei Autorennen immer besseren Zeiten hinterherjagen oder in Rollenspielen ihre Figur weiterentwickeln, ist das digitale Straßenfegen ein überaus kontemplativer Zeitvertreib - ohne Druck, Hektik und Highscore.

Kaum Karriere-Modus

Nur zaghaft implementieren die Softentwickler in ihre Berufe-Simulatoren das, was unter Spielern als "Karrieremodus" bekannt ist. PC-Landwirte können zwar Geld verdienen, um sich ein paar Kühe, einen größeren Traktor oder eine Biogasanlage zu kaufen. Doch viele Entwickler verzichten auf den Einbau komplexer Aufstiegs- und Belohnungsmechanismen. Fast immer fehlen außerdem narrative Elemente wie eine Hintergrundgeschichte oder die persönliche Entfaltung von Spielfiguren. Im Vordergrund steht die Beschäftigung, nicht eine Entwicklung oder Herausforderung.

"Dies ist eine neue Form von Eskapismus", sagt Klimmt. Das Dasein als digitaler Straßenfeger oder Baggerfahrer wird zur Flucht aus dem schwierigen Alltag. Auch anspruchsvolle Berufe werden in der Regel extrem simplifiziert. So lässt sich etwa schon nach einem vierminütigen Tutorial mit dem Chirurgie-Simulator ein digitaler Blinddarm entfernen oder eine Leiste operieren.

Bei Spieletestern kommen die meisten Berufe-Simulatoren schlecht weg - und keineswegs nur, weil sie in der Spielmechanik auf übliche Erfolgsrezepte wie Tempo, Leistung und Belohnung verzichten. "Der Unterhaltungswert monotoner Endlosschleifen ist natürlich rätselhaft", sagt Jörg Luibl, Chefredakteur des Spielemagazins 4players, "viele Titel sind dazu noch technisch katastrophal umgesetzt." Oft fehle es schon an einfachsten Grundvoraussetzungen. Manche Spiele sind etwa so schlecht programmiert, dass Autos durch Häuser schweben. "Das ist so, als ob ein Buch von der Bestsellerliste in jedem dritten Satz einen Rechtschreibfehler enthielte."

Löbliche Ausnahmen

Es gibt aber auch löbliche Ausnahmen", sagt Luibl. Dies sind meist Programme, die wegen ihrer Komplexität doch wieder an das Leistungsprinzip anknüpfen. Ein Beispiel ist der "Microsoft Flight Simulator", der erstmals vor 30 Jahren veröffentlicht und bis vor kurzem stetig weiterentwickelt wurde. Die Software galt bisher als das Aushängeschild des Simulator-Genres. Für das Programm und auch den Flugsimulator "X-Plane" übertragen Spieleentwickler und Fans ständig Tausende Flugzeuge, Landschaften und Airports bis ins kleinste Detail in die digitale Welt. Die Simulation wird damit so komplex, dass sie einen Gegenpol zu anderen Berufe-Simulatoren bildet. Viele Flugzeuge lassen sich erst nach langem Handbuchstudium vom Gate bewegen. Das Programm wird auch in der Ausbildung von Piloten verwendet - bleibt mit diesem Anspruch aber eine der wenigen Ausnahmen.

Vergleichsweise gut bewertet wurde von den Testern zuletzt auch der "Omsi Omnibussimulator", mit dem Spieler den Alltag eines Busfahrers im Berlin der achtziger Jahren nacherleben können. Bei Wind und Wetter bringen die PC-Busfahrer mit dem Doppeldecker auf der Linie 92 ihre Fahrgäste durch Spandau und müssen sich dabei um das Druckluftsystem der Türen ebenso kümmern wie um den Fahrscheinverkauf. Vom Blinker bis zum Bordcomputer lassen sich fast alle Schalter bedienen. Und dies auch mit Folgen: Die Fahrgäste beschweren sich, wenn man zu heftig auf die Bremse drückt oder es im Bus zu kalt ist.

Das kommt bei den Spielern gut an: Authentizität gilt als entscheidendes Qualitätskriterium. Viele Entwickler bemühen sich daher um Lizenzen, um echte Markenmodelle wie zum Beispiel eine original Rundballenpresse umsetzen zu dürfen. Wer die Wirklichkeit so realistisch wie möglich auf den Bildschirm bannt und eine vielschichtige Illusion schafft, kreiert schließlich eine Welt, in der sich der Spieler leichter verlieren kann. Der Kehrmaschinensimulator bietet daher nicht nur "verschiedene Verschmutzungsarten", sondern auch drei detaillierte Fahrzeuge. Der Bürgermeister von Sauberhausen wird wohl auch in Zukunft fleißige Arbeiter finden - aus welchen Gründen auch immer.

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