Benehmen im Beruf:Macht euch mal locker

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Neue Lockerheit: Krawattenjobs nehmen ab

(Foto: imago/Westend61)
  • Otto schafft das Siezen ab, Daimler-Chef Zetsche lässt die Krawatte weg - in immer mehr Unternehmen geht es weniger formell zu.
  • Im besten Fall stärkt das den Zusammenhalt, im schlechtesten wurde die Lockerheit von oben verordnet.

Von Martin Scheele

Frankenberg liegt tief in der hessischen Provinz, 75 Kilometer südwestlich von Kassel. Hier beim Familienunternehmen Neuschäfer Elektronik wird noch gesiezt, die Männer tragen Krawatten, an ihren Sakkos kleben Namensschilder. "Vor allem junge Menschen möchten ihrem Umfeld zeigen, dass sie erfolgreich sind, und dazu zählt für sie die entsprechende Kleidung", sagt Filomena Rios, Vertriebschefin der Firma, die Leiterplatten herstellt. "Das klingt vielleicht spießig, doch wir liegen mit unserer Unternehmenskultur wieder im Trend. Auch die ehemaligen T-Shirt-Träger der erfolgreichen Softwareunternehmen tragen inzwischen Krawatte und Anzug. Und dies nicht ohne Grund, denn Kunden erwarten ein korrektes Äußeres."

Ist das wirklich so? Gibt es eine Rückkehr zur Krawatte, zum Kostüm in deutschen Firmen? Ist der Trend zum Duzen passé? Ein Streifzug durch die deutsche Unternehmenslandschaft.

Duzen nimmt zu, Krawattenträger nehmen ab

Im vergangenen Februar ließ der Hamburger Versandhändler Otto verlautbaren, dass Vorstandschef Hans-Otto Schrader, Jahrgang 1956, den weltweit 53 000 Mitarbeitern das Du anbietet. Vier Monate später legte der nächste Handelsgigant nach: Der gedrillt geführte Lebensmittelhändler Schwarz, zu dem Lidl und Kaufland gehören, verkündete, dass alle 375 000 Mitarbeiter den CEO Klaus Gehrig fortan beim Vornamen ansprechen dürfen.

So wie das Duzen zunimmt, nimmt die Zahl der Krawattenträger ab. Daimler-Chef Dieter Zetsche badete im April bei der Hauptversammlung ohne Krawatte in der Menge. Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser zeigt sich schon länger ohne Binder. In der neuen Siemens-Zentrale in München fällt mancher Mitarbeiter mit Krawatte inzwischen auf, wie Personalvorstand Janina Kugel in einem Interview sagte. "Kommt ein Minister zu Besuch?", heißt es dann. Der Bosch-Konzern hat schon 2015 den Krawattenzwang ad acta gelegt. Andere Chefs setzen ganz unten ein Zeichen. Allianz-CEO Oliver Bäte kombiniert schon mal rote Turnschuhe mit Anzug. Die Schuhe trug der 51-Jährige auf der Hauptversammlung des Konzerns, um auf den weltweiten Mitarbeiterlauf hinzuweisen.

Eine wahre Zäsur hat der Deutschland-Ableger des IBM-Konzerns hinter sich. Bis Ende der Achtzigerjahre kamen sogar die Techniker im dunkelblauen Anzug zur Arbeit. Optische Unterscheidung von den Vertrieblern? Null. Jeder Mitarbeiter besaß ein Einzelbüro, schwere Holzmöbel inklusive. Heute sitzen die meisten in Großraumbüros, Krawatten: Mangelware.

"Im Zuge der Digitalisierung weichen die Umgangsformen auf"

Woher kommt die neue Lockerheit? Liegt es am Nachwuchs, der mit Youtube, Facebook & Co. aufgewachsen ist? Oder ist es Kalkül der Firmen, die sich ein flippiges Image geben wollen? "Im Zuge der Digitalisierung weichen die Umgangsformen auf", sagt der Berliner Karriereberater Jürgen Hesse, der tagein tagaus durch deutsche Unternehmen tingelt. Andere Experten weisen darauf hin, dass in vielen Unternehmen die Hierarchien verschwinden und Mitarbeiter unterschiedliches Ranges und diverser Disziplinen zusammenarbeiten. Den Leitern dieser Projektteams kommt nur die Aufgabe zu, Blockaden der Schwarmintelligenz zu lösen.

Rena Schwarting, Organisationssoziologin an der Universität Bielefeld, hat die zunehmende Vernetzung der Konzerne als Grund ausgemacht. "Streng hierarchische, behäbige Großkonzerne suchen die Nähe zu Jungunternehmen, um - meistens projektbezogen - von deren Innovationskraft zu profitieren", sagt sie. "Damit die hofierten Start-ups sich wohlfühlen, legen die Konzernchefs die Krawatte ab und geben sich leger im Umgang. Erhoffter Nebeneffekt: Im Kampf um die besten Talente soll das neue Markenimage des CEO auf das Unternehmen abperlen und es attraktiv erscheinen lassen."

Mehr Nähe, mehr Zusammenhalt

Für Alexander Alban, Geschäftsführer des Frästeileherstellers Walter Schimmel, sind die Internationalisierung und der Werdegang der Chefs entscheidend. Alban machte seine ersten beruflichen Gehversuche bei einem US-Konzern, seitdem ist ihm das Du näher als das Sie. "Bei meinem Einstieg in das Familienunternehmen gab es so manche Mitarbeiter, die mich kannten, weil ich als kleiner Junge dort meine Eltern besucht habe. Da wäre ein Sie vom Mitarbeitenden zum Vorgesetzten ebenfalls merkwürdig gewesen", sagt Alban.

70 Prozent

der Berufstätigen in Deutschland duzen ihre Kollegen. 52 Prozent machen keinen Unterschied bei der Hierarchiestufe und haben somit auch kein Problem, den Chef zu duzen. Das ergab eine Umfrage des Jobvermittlers Indeed. Ob die Befragten allerdings zwischen dem direkten Vorgesetzten und dem obersten Boss unterscheiden, wurde nicht explizit erhoben. Dagegen zeigte eine GfK-Studie, dass zwei von drei Deutschen weder von ihren Chefs noch von Untergebenen geduzt werden wollen. Das Duzen unter gleichrangigen Kollegen dagegen finden fast 88 Prozent gut oder zumindest akzeptabel.

Ähnlich wie Albans Firma ist auch Limtronik aus Limburg an der Lahn ein properer Mittelständler - mit lockeren Umgangsformen. "Bei uns gibt es keine Kleiderordnung. Wir möchten, dass sich die Mitarbeiter frei entfalten können und in keine Korsage pressen", sagt Geschäftsführer Gerd Ohl. "Da wir viele Auszubildende beschäftigen und projektübergreifend in der Industrie 4.0 arbeiten, die vorwiegend aus jüngeren Menschen besteht, duzen sich bei uns viele Mitarbeiter." Die Vorteile liegen für ihn auf der Hand: "Die Nähe zum Mitarbeiter wird größer, der Zusammenhalt in den Teams wird gefördert." Gleichzeitig gebe es aber auch Schattenseiten. Denn die dadurch entstehende Nähe erschwere es in Situationen wie beispielsweise bei einer Entlassung, emotionale Distanz zu halten. "Grundsätzlich ist das Duzen aber in vielerlei Hinsicht sehr hilfreich" sagt Ohl.

Manchmal führt die gute Absicht des Unternehmens aber auch zum Gegenteil. Bei der Schwarz-Gruppe etwa konnten viele Mitarbeiter zunächst nicht glauben, dass ihnen Konzernchef Klaus Gehrig das Du anbot. Schließlich ist die Unternehmensgruppe für ihre rauen Sitten bekannt. Das Angebot ordnete Gehrig dann auch einige Zeit später ein: "Es gibt keinen Zwang. Aber klar ist: Wer sich nicht duzt, isoliert sich. Das sind nicht die Leute, die wir brauchen."

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