Bayern:Stückchenweise zum Abitur

In einem Modellversuch können gute Fachoberschüler nach einem extra Schuljahr auch die Hochschulreife machen.

Von Annabel Dillig

München Zum Höhenflug hat Bettina Schlecht erst in der Realschule angesetzt. Weil ihre Noten von Jahr zu Jahr besser wurden, wechselte sie nach der Mittleren Reife an die Fachoberschule (FOS) Altötting. Mit einem Notendurchschnitt von 1,2 gehört die 17-Jährige auch dort zu den Jahrgangsbesten. Doch ihren Traum vom Lehramt-Studium in München hatte die Schülerin schon vor dem Wechsel an die FOS begraben müssen: Die Fachhochschulreife berechtigte bislang nicht zum Universitätsstudium. Bettina Schlecht blieb nur die Nummer Zwei auf ihrem Berufswunschzettel - die Ausbildung zur Industriekauffrau.

Freiwillig ein Jahr dranhängen

Im kommenden Schuljahr startet das Kultusministerium nun den Schulversuch "FOS 13": An 19 ausgewählten Standorten haben Schüler wie Bettina Schlecht die Möglichkeit, in einer zusätzlichen 13. Klasse die fachgebundene oder allgemeine Hochschulreife zu erlangen. Der Modellversuch ist für die Dauer von drei Jahren angesetzt. Voraussetzung für die Aufnahme ist ein Notendurchschnitt von mindestens 2,5 im Abschlusszeugnis der 12. Klasse. Wie an den Berufsoberschulen (BOS) können die Schüler am Ende des zusätzlichen Jahres die Prüfung zur allgemeinen Hochschulreife ablegen, sofern sie ausreichende Kenntnisse in einer zweiten Fremdsprache - an den meisten Schulen Französisch - nachweisen.

Was Prüfungen und Lehrplan betrifft, so soll sich die FOS 13 an den Berufsoberschulen orientieren, wo man im Anschluss an eine Berufsausbildung schon jetzt die fachgebundene oder allgemeine Hochschulreife erreichen kann. In der Regel werden die Fach- und Berufsoberschulen unter einem gemeinsamen Dach geführt: "Jetzt muss ich einem Fachoberschüler endlich nicht mehr erklären, warum er nicht die Hochschulreife ablegen kann, obwohl er zwei Jahre lang dieselben Inhalte vermittelt bekam wie ein Berufsoberschüler im Klassenzimmer nebenan," sagt Klaus Vietze, Leiter der FOS/BOS in Bayreuth.

Wie in Bayreuth gingen bis Ablauf der Bewerbungsfrist am 19. März an den meisten teilnehmenden Schulen deutlich mehr Anmeldungen ein als Plätze zur Verfügung stehen. Bei dem Zugangskriterium eines Notendurchschnitts von 2,5 dürfte es angesichts der immensen Nachfrage wohl nicht bleiben. Die Aussicht auf das Abitur könnte den ein oder anderen Schüler anspornen, bis zum Abschlusszeugnis im Juli noch ein bis zwei Zehntel in der Note herauszuholen, um in den Kreis der Auserwählten zu gelangen. Der Regensburger Schulleiter Felix Novak erhielt auch von seinem Kollegium positive Reaktionen zum Modellversuch. "Welcher Lehrer freut sich nicht über begabte Schüler, die freiwillig noch ein Jahr dranhängen?", sagte Novak.

"Schulerfolg in Etappen"

Gerade für Schülerinnen wie Bettina Schlecht, die in der Grundschule eher durchschnittliche Leistungen brachte, ist der Modellversuch konzipiert: "FOS 13 öffnet Schülern, deren Begabung erst später zum Tragen gekommen ist, den Weg an die Universitäten," sagt Kultusministerin Monika Hohlmeier. Mit dem Schulversuch werde die Durchlässigkeit der Bildungswege erhöht. Theoretisch kann ein Hauptschüler nun ohne den "Umweg" einer Berufsausbildung und anschließender BOS zum Abitur marschieren: M 10 und FOS 13 sind die Zauberformeln für den "Schulerfolg in Etappen", wie es Peter Peltzer, Vorsitzender des Bayerischen Realschullehrerverbands ausdrückt.

Bei allen hehren Absichten in puncto Durchlässigkeit hofft man im Kultusministerium auch auf steigende Abiturientenzahlen. Den Vorgaben der Kultusministerkonferenz zufolge sollen 40 Prozent der Schüler Zugang zu den Universitäten haben. Von diesem Richtwert ist Bayern noch weit entfernt: Bislang schaffen lediglich 19 Prozent eines Jahrgangs das Abitur am Gymnasium. Dazu kommen elf Prozent mit Abschlüssen der beruflichen Schulen. "Natürlich ist die FOS 13 auch eine unserer Antworten auf PISA," sagt Siegfried Schneider, der bildungspolitische Sprecher der CSU-Fraktion. Als Abwertung der gymnasialen Hochschulreife sieht er den Schulversuch jedoch überhaupt nicht: Das Abitur werde niemandem hinterhergeworfen. "Der Weg ist beschwerlich", sagt Schneider im Hinblick auf das Erlernen einer zweiten Fremdsprache innerhalb kürzester Zeit.

Der Altöttinger Schülerin Bettina Schlecht ist die Entscheidung für ein zusätzliches Jahr an der FOS trotzdem leicht gefallen. Sie denkt gerade laut über ihre Zukunft nach: "Gymnasiallehrerin für Englisch und vielleicht Geschichte. Davor in München leben und studieren - des wär scho' meins!"

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