Bayern: Hauptschulen werden zu Mittelschulen:Wer überleben will, muss mitmachen

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Zum neuen Schuljahr entstehen in Bayern viele neue Mittelschulen. Damit das gelingt, müssen sich Hauptschuen zusammenschließen - und Schüler stundenlange Schulwege in Kauf nehmen.

Tina Baier

Zehntausende Hauptschüler werden Anfang August in die Sommerferien gehen und dann im Herbst als Mittelschüler zurückkehren. Das ist jetzt schon klar, obwohl die erforderlichen gesetzlichen Änderungen an diesem Mittwoch erst in zweiter Lesung im Landtag diskutiert werden und dann voraussichtlich zum 1.August in Kraft treten. Bürgermeister, Schulleiter, Eltern und Schüler fühlen sich überrollt und fragen sich, was da im nächsten Schuljahr auf sie zukommen wird.

Die Zusammenlegung von kleineren Hauptschulen zu einer Mittelschule bedeutet für viele Schüler auch einen längeren Schulweg. (Foto: AP)

Am wenigsten dürfte sich für die Schüler derjenigen Hauptschulen ändern, die groß genug sind, um alleine all das anzubieten, was nach den Vorgaben des Kultusministeriums eine Mittelschule ausmacht: ein Ganztagsangebot, eine Spezialisierung auf einen der drei Zweige Technik, Wirtschaft oder Soziales sowie die Möglichkeit, nach der zehnten Klasse einen Mittleren Bildungsabschluss abzulegen. Im nächsten Schuljahr werden sich bayernweit 61 solcher Schulen als Mittelschule bezeichnen, 18 davon in Oberbayern. "Da kommt in den Ferien der Hausmeister und tauscht das Klingelschild aus", sagt Klaus Wenzel, Vorsitzender des Bayrischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV). "Ansonsten wird sich nicht viel ändern."

Etwas anders sieht es für die Schüler von Hauptschulen aus, die sich zu sogenannten Verbünden zusammenschließen müssen, um eine Mittelschule zu bilden. Im Schnitt haben sich zwei oder drei Hauptschulen zu einem Verbund zusammengetan, manchmal auch mehr. In schriftlichen Kooperationsvereinbarungen zwischen den Partnern wurde genau festgelegt, welche Schule beispielsweise die ganztägige Betreuung anbieten darf und an welcher die Schüler auf den M-Abschluss vorbereitet werden. "Bei den Verhandlungen hat natürlich jeder Bürgermeister versucht, das Beste für seine Hauptschule herauszuholen", sagt Thomas Gehring, bildungspolitischer Sprecher der Grünen. Allen war bewusst: Diejenigen Schulen, die den Zuschlag für den M-Abschluss oder die ganztägige Betreuung bekommen, werden Schüler der Partner abziehen und dadurch vielleicht länger überleben.

Entsprechend hart wurden die Verhandlungen zwischen den potentiellen Partnern geführt. Gemeinden mit großen Hauptschulen waren dabei im Vorteil gegenüber Gemeinden mit kleinen Hauptschulen, die kurz vor dem Kollaps stehen und deshalb dringend auf die Zusammenarbeit angewiesen sind. In Sonthofen beispielsweise hat eine Schule darauf bestanden, dass alle anderen Mitglieder des Verbunds Schüler schicken müssen, sie selbst aber keinen einzigen abgibt. Die Hauptschule in Hebertshausen hat das Problem, dass ihr bisheriger Partner Röhrmoos jetzt mit einem anderen Partner liebäugelt. Die Schule verlöre dadurch auf einen Schlag 60 Schüler.

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Nach Informationen aus dem Kultusministerium haben sich für das kommende Schuljahr 500 Hauptschulen zu 230 Mittelschul-Verbünden zusammengeschlossen. Manche Schüler müssen weite Strecken zurücklegen, um die verschiedenen Angebote an den unterschiedlichen Schulen wahrzunehmen. "In Landshut ist ein Verbund entstanden, in dem die Schüler eineinhalb Stunden mit dem Bus unterwegs sind, um von einer Schule zur anderen zu kommen", sagt Grünen-Politiker Gehring. Der BLLV hat berechnet, dass in einem Verbund mit drei Schulen, die jeweils zehn Kilometer voneinander entfernt liegen, pro Jahr 200.000 Euro an zusätzlichen Fahrtkosten entstehen. "Die Einzigen, die von der Mittelschule profitieren, sind die Busunternehmen", sagt Wenzel.

Als Hauptschüler gehen sie in die Ferien, als Mittelschüler kommen viele bayerische Schüler im Herbst zurück. (Foto: dpa)

Es gibt nicht viele Bürgermeister und Schulleiter, die von Spaenles Konzept der Mittelschule überzeugt sind. Der Bürgermeister von Fürstenstein, Stephan Gawlik (CSU), hat die Reform vor dem Gemeinderat sogar als "aktive Sterbehilfe" für die Hauptschule bezeichnet. Trotzdem machen die meisten mit, weil sie befürchten, dass ihnen sonst noch mehr Schüler davonlaufen, als das ohnehin schon der Fall ist. "Eltern, die die Wahl zwischen einer Mittel- und einer Hauptschule haben, werden ihr Kind lieber auf die Mittelschule schicken, weil es dort scheinbar die besseren Chancen hat", sagt Hans-Ulrich Pfaffmann, bildungspolitischer Sprecher der SPD. "Auch wenn den Schülern dort in Wahrheit kein Angebot gemacht wird, das es in guten Hauptschulen nicht schon längst gibt."

Das Kultusministerium befindet sich dadurch in einer komfortablen Situation: In dem Wissen, dass mitmachen muss, wer überleben will, betont Kultusminister Ludwig Spaenle immer wieder, dass die Teilnahme am Mittelschul-Konzept freiwillig ist. Das bedeutet nämlich auch, dass nicht der Freistaat, sondern die Gemeinden für die entstehenden Kosten aufkommen müssen. Das Konnexitätsprinzip, wonach der Freistaat die Kosten übernehmen muss, wenn er den Gemeinden Vorschriften macht, greift nicht.

In München wird es nächstes Schuljahr keine einzige Mittelschule geben. "Wir wollten was Solides", sagt Georgine Müller, Leiterin des Staatlichen Schulamts. Die Schulleiter in München haben sich darauf verständigt, gemeinsam ein Jahr später zu beginnen. 44 der 45 staatlichen Münchner Hauptschulen wollen sich dann zu 13 Mittelschulverbünden zusammenschließen. Eine einzige Hauptschule weigert sich. "Wir haben der Stadt unseren Vorschlag bereits Mitte April übergeben, haben aber nie mehr etwas gehört", sagt Georgine Müller. Sie vermutet, dass das Münchner Schulreferat nicht reagiert, weil es Hauptschulen schließen will, um die Gebäude für andere Schularten zu nutzen.

© SZ vom 14.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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