Bafög:Im Visier der Rasterfahnder

Ahnungslose Betrüger, verständnisvolle Verfolger: Wie der Bafög-Datenabgleich in München läuft.

Von Nicola Holzapfel

Die nächsten Verdächtigen stehen schon fest. Bafög-Empfänger, die beim Bundesamt für Finanzen mit mehr als 100 Euro Zinseinkünften gemeldet sind, müssen ihr Vermögen offenlegen. Der Staat will sich so Gelder zurückholen, die sich Schüler und Studenten durch falsche Angaben in ihren Anträgen für Ausbildungsförderung erschlichen haben. Die erste Rasterfahndung traf das Jahr 2001. Beim Studentenwerk München, das die Studierenden an 15 Hochschulen in Oberbayern betreut, hat der Datenabgleich mehr als 2500 Namen ausgespuckt.

Inzwischen liegen dem Amt schon die Ergebnisse der nächsten Runde vor. Diesmal wurden alle geprüft, die im Jahr 2002 Bafög bezogen haben. Doch das Münchner Studentenwerk wird nicht vor Sommer damit beginnen, die Fälle zu bearbeiten. Sie sind immer noch beim ersten Durchlauf. "Der Zeitaufwand ist für uns alle aberwitzig", sagt Wolff Wölffing, der Leiter der Abteilung Ausbildungsförderung des Münchner Studentenwerks. "Wir waren bisher mit der normalen Bafög-Arbeit voll beschäftigt. Jetzt machen wir fast nichts anderes als die möglichen Betrugsfälle zu bearbeiten."

Wenn ein Student tatsächlich unrechtmäßig Bafög bezogen hat, fordert das Amt die Beträge zurück. Gleichzeitig muss es wegen Betrugs Anzeige bei der Staatsanwaltschaft stellen - ganz egal, ob es sich um zehn oder 10.000 Euro handelt. "Viele haben das erste Mal mit der Polizei und dem Strafgesetz zu tun. Das ist sehr belastend", sagt Philipp Heinze, der in München für das Beratungsteam zum Bafög-Datenabgleich der GEW Bayern arbeitet. "Sehr viele sind verzweifelt", sagt auch Wölffing.

Den Erwischten drohen nicht nur Geldstrafen und ein Eintrag ins polizeiliche Führungszeugnis. Manche müssen um ihre berufliche Zukunft bangen. So hat das bayerische Kultusministerium entschieden, dass Lehramtsstudenten, die wegen Bafög-Betrugs verurteilt sind, zwar ihr Referendariat machen dürfen, danach aber nicht in den Schuldienst übernommen werden. Ihnen würde es "an der für eine Beschäftigung als Lehrkraft erforderlichen Eignung" fehlen.

Beim Münchner Studentenwerk nimmt man die Studierenden in Schutz. "In manchen Fällen ist es dumm gelaufen. Entweder haben die Studierenden von Dritten einen falschen Rat bekommen oder sie wussten nichts von dem Vermögen. Hier von Anfangskriminellen zu sprechen, halte ich für verfehlt", sagt Wölffing. Nur in wenigen Fällen würde Betrugs-Absicht vorliegen.

Philipp Heinze von der GEW hat inzwischen die verschiedensten Erklärungen gehört, wie es zu den falschen Angaben kam. "Ganz, ganz viele haben einfach nicht nachgedacht. Sie waren nicht informiert über die rechtlichen Konsequenzen und hatten das erste Mal mit solchen Formularen zu tun", sagt Heinze. Andere hätten sich an Freistellungsaufträge, die sie mit 18 gestellt hatten, einfach nicht mehr erinnert. "In einigen Fällen haben Eltern aus steuerrechtlichen Gründen Geld auf ihre Kinder umgelegt, die darauf gar keinen Zugriff hatten", sagt Heinze.

Wer das belegen kann, kommt mit dem Schrecken davon. "Wenn die Eltern sich selbst beim Finanzamt anzeigen ist klar, dass das Vermögen nicht dem Studierenden gehörte", sagt die Münchner Rechtsanwältin Bettina Weber. Die Staatsanwaltschaft stellt dann das Verfahren ein.

Wie eine Statistik der bayerischen Studentenwerke zeigt, sind bislang von 1500 abgeschlossenen Strafverfahren in Bayern 45 Prozent eingestellt worden. "Vieles wird nach Jugendstrafrecht beurteilt. Sehr häufig wird das Verfahren wegen geringer Schuld gegen eine Auflage eingestellt", sagt Wölffing. Die Betreffenden müssen dann einen Geldbetrag zahlen oder soziale Arbeit leisten.

In München hat sich das Strafmaß inzwischen eingependelt. Seit vergangenen Sommer gilt nur noch der bezuschusste Bafög-Anteil als Schaden, da die Ausbildungsförderung zur Hälfte als Darlehen gezahlt wird. Wer beispielsweise eine Rückforderung über 10.000 Euro erhält, muss sich also nur wegen 5000 Euro vor Gericht verantworten. "Zuvor gab es sogar Freiheitsstrafen", sagt der Münchner Fachanwalt für Strafrecht Eberhard Zeeb. "Bis zu einer Schadenssumme von 6000 Euro beantragt die Staatsanwaltschaft München derzeit Geldstrafen von nicht mehr als 90 Tagessätzen." Bis zu dieser Grenze werden die Vorstrafen nicht in das polizeiliche Führungszeugnis eingetragen. "Das ist aber nicht in ganz Bayern gängige Praxis und es gibt auch immer wieder Ausreißer", sagt Zeeb. Ein Grund für die inzwischen milderen Urteile sei auch, dass man nicht so viele junge Menschen kriminalisieren will.

Im Visier der Rasterfahnder

Wölffing ist erleichtert, dass beim jüngsten Datenabgleich für sein Studentenwerk nur 931 Namen herausgekommen sind. Das sind gerade mal 36 Prozent der Fälle des ersten Durchgangs. Dadurch wird nicht nur die Mehr-Arbeit weniger. "Wir beraten lieber junge Leute, wie sie ihr Studium packen können, als irgendwelchen angeblichen Betrügern hinterherzuschnüffeln", sagt Srecherin Anke van Kempen. Und selbst dabei spricht das Amt lieber von einer Beratungs-Situation. "Wir hatten Angst, dass die Studenten uns als Feind betrachten. Aber sie machen uns überhaupt keinen Vorwurf", sagt Wölffing.

Manche hätten sich allerdings - teilweise auf Anraten der Anwälte - überhaupt nicht gemeldet. "Sie meinen, sie kommen dann besser weg", sagt Wölffing. "Dabei ist das genau das Falsche". Auch Rechtsanwältin Weber rät zur Kooperation: "Am Anfang nehmen das leider manche noch auf die leichte Schulter. Man kann nur jedem Studierenden, der selbst nichts von dem Vermögen wusste, empfehlen, die Umstände anhand von Belegen gegenüber dem Studentenwerk zu erklären", sagt Weber. Dadurch ließe sich in manchen Fällen viel vermeiden, eventuell sogar ein Strafverfahren.

Philipp Heinze von der GEW rät, spätestens wenn das strafrechtliche Verfahren seinen Gang nimmt, einen Anwalt zu nehmen. Das ganze Verfahren kann sich über Monate hinziehen. Dennoch braucht sich keiner Hoffnungen machen, dass sein Betrug in der Zwischenzeit verjährt. Das ist zwar nach fünf Jahren der Fall, "aber die müssen schon vor der Anzeige des Studentenwerks zusammenkommen," sagt Rechtsanwältin Weber.

Wer also im Studienjahr 1998/99 Bafög bezogen hat, muss sich keine Sorgen machen. Aber damals hat sowieso keiner die Vermögensangaben überprüft. "Studierende, die bis zum Jahr 2000 Bafög bekommen haben, waren prima raus", sagt Wölffing. Während die ersten Rasterfahndungen die Bafög-Empfänger kalt erwischt haben, sind die Studienanfänger inzwischen vorgewarnt. "Bei den Neuanträgen gab es einen massiven Rückgang. Das könnte darauf hindeuten, dass einige aus Vorsicht gar keinen Bafög-Antrag mehr stellen", sagt Wölffing.

Mehr als 5200 Euro an Vermögen darf ein Bafög-Empfänger nicht haben. Was darüber liegt, wird angerechnet und führt zu niedrigen Bafög-Sätzen. "Der Freibetrag ist zu niedrig", sagt Philipp Heinze von der GEW. Wie eine Umfrage des Studentenwerks aus dem Jahr 2000 zeigt, erwirtschaftet der Münchner Durchschnitts-Student ein Drittel seines Einkommens aus eigener Arbeit. Seine Lebenshaltungskosten lagen schon damals bei durchschnittlich 760 Euro im Monat. Während der monatliche Bafög-Höchstsatz 530 Euro beträgt. "Da ist man gezwungen nebenher zu arbeiten oder auf seine Vermögensreserven zurückzugreifen und da reichen die paar tausend Euro bei weitem nicht aus", sagt Heinze. "Und jetzt kommen auch noch die Studiengebühren dazu. Das trifft alles die, die am wenigsten haben."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: