Bachelor-Ingenieure:Das Ausland ruft - und keiner kommt

Deutsche Ingenieursstudenten sind bei ausländischen Arbeitgebern beliebt, doch ihr Bachelorstudium lässt ihnen keine Zeit für Praktika.

C. Demmer

Studenten und Studentinnen sind sauer, Hochschullehrer und -lehrerinnen grollen: In der akademischen Welt stoßen die neu eingerichteten Bachelor-Studiengänge auf viel Kritik.

Bachelor-Ingenieure: Praktikanten in Mikrotechnologie-Zentrum: Bachelor als Augenwischerei

Praktikanten in Mikrotechnologie-Zentrum: Bachelor als Augenwischerei

(Foto: Foto: dpa)

Wachsender Unmut macht sich aber auch bei einer anderen Gruppe breit: Unternehmen im Ausland, die gern deutsche Ingenieurstudenten als Praktikanten beschäftigen, klagen über einen spürbaren Rückgang bei den Bewerbungen.

Der Grund: Das sechssemestrige Bachelorstudium lässt den Studierenden keine Zeit mehr für ein längeres Praktikum. Unter vier bis sechs Monaten aber habe das Über-die-Schulter-Gucken wenig Sinn, meinen die Firmen. Schon gar nicht im Ausland, wo sich die Hospitanten schließlich erst mal an Land und Leute gewöhnen müssten.

Auf der Suche nach den abgängigen Studenten aus seinem Heimatland fragte Werner Zapka, Manager bei der schwedischen Xaar Jet AB, bei ihm bekannten deutschen Professoren nach. Die hatten ihn seit 1997 mit mehr als hundert Praktikanten versorgt und von den angehenden Medien- und Elektroingenieuren auch stets positive Rückmeldungen erhalten.

Das Studiertempo ist zu hoch

Als Antwort verwiesen die Hochschullehrer auf die neuen Studienordnungen: Der Nachschub fehle, weil Xaar, Hersteller von Tintenstrahldruckerköpfen, auf einer sechsmonatigen Dauer der Praktika bestehe. Das ließe sich aber vielfach nicht mit dem geforderten Studiertempo vereinbaren.

"Die Bologna-Reform war Augenwischerei", sagt Friedrich Goetz, Professor für Mikrosystemtechnik an der Fachhochschule Gelsenkirchen, "die Praxissemester waren die zentralen Stärken des Fachhochschulstudiums." Beim Umbau der Diplom- zu Bachelorstudiengängen allerdings wurde das erste Praxissemester ersatzlos gestrichen, und während des zweiten soll gleichzeitig die Bachelorarbeit vorbereitet oder geschrieben werden. Die Folge, so Goetz: "Jetzt haben wir nur noch Praxisphasen von drei Monaten, und dafür lohnt es sich nicht, in die USA oder anderswohin zu gehen."

Die meisten Bachelorstudierenden denken genauso. Doch obwohl das gestraffte Studium ein erklärter Wunsch der Industrie war, befürchten sie, dass ihnen die fehlende Auslandserfahrung bei der Bewerbung um einen Einstiegsjob angekreidet wird.

"Ein Praktikum im Ausland wird in der Industrie gerne gesehen und hat mir persönlich sehr viel gebracht", sagt Karin Gerigk, frühere Xaar-Praktikantin und heute Ingenieurin beim Dortmunder Anlagenbauer KHS. "Die verkürzte Praxisphase macht den Gang ins Ausland fast unmöglich." Vielfach ließen die Studienordnungen nur noch Raum für freiwillige Praktika. "Die sind aber organisatorisch schwierig zu stemmen."

Sorgen um die Ausbildungsqualität

Finanziell mitunter auch, denn für die Dauer freiwilliger Praktika fällt das Bafög aus. Als Student hatte Hans-Peter Rapp, heute Ingenieur beim Anlagenbauer Rena im Schwarzwald, ein normales Studiensemester absolviert, dafür auch Studiengebühren gezahlt, tatsächlich aber praktizierte er im Ausland. "Das aber hieß für das Bafög-Amt: keine Förderung", ärgert sich Rapp noch heute. "Wenn ich nicht ehrlicherweise gesagt hätte, dass ich im Ausland bin, hätten die sicher anstandslos weitergezahlt."

Es gibt noch einen Haken. Durch freiwillige Praktika, deren Dauer über einen Schnupperkurs hinausgehen, verlieren Studierende mitunter ein ganzes Semester und laufen Gefahr, im Anschluss an ihr Bachelorexamen nicht mehr zum Masterstudium zugelassen zu werden. Das ist nämlich an vielen Hochschulen - für das Bafög-Amt immer - an einen unterbrechungsfreien Studienverlauf, an eine Höchstsemesterzahl im ersten Studienabschnitt oder an eine Altersgrenze gekoppelt.

Bachelor als Durchgangsstation

Nicht nur die schwedische Firma Xaar macht sich daher Sorgen um die künftige Qualität der Ausbildung deutscher Ingenieure. "Die Wirtschaft ruft nach Auslandserfahrung, und gleichzeitig soll das Studium schneller durchgezogen werden." Werner Zapka schüttelt den Kopf: "Das passt doch nicht zusammen." Unter sechs Monaten Praktikum sei aber bei ihm nichts zu machen. "Das ist notwendig, damit die Studenten eine umfassende Einarbeitungs- und Trainingsphase durchlaufen und ihre erworbenen Kenntnisse in realen Projekten anwenden können", begründet der Manager.

"Auf diese Weise wird der Aufwand des Industriebetriebes für die Ausbildung der Studenten durch deren aktives Teilnehmen an unseren Projektarbeiten kompensiert, sodass eine ideale win-win-Situation geschaffen wird." Um den Studenten mehr Luft zu geben und den Unmut der Professoren über das aufgezwungene Ratzfatz-Studium zu besänftigen, haben die meisten der früheren Fachhochschulen das sechssemestrige Bachelorstudium still und heimlich beerdigt.

Sieben Semester sind jetzt die Regel, und das gefällt auch den Universitäten. Hier wird der Bachelor ohnehin nur als Durchgangsstation auf dem Weg zum Master, dem einzig würdigen Nachfolger des Diplom-Ingenieurs, betrachtet. Der Stuttgarter Wissenschaftler Günter Pritschow vertritt den Standpunkt der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) in München: "Acatech hat bereits 2006 untersucht, was Bachelor-Studierende in den Ingenieurwissenschaften mindestens lernen müssen und wie viel Zeit dafür einzuplanen ist. Die Empfehlung der Akademie sind sechs Semester, ergänzt um eine ausreichende Praktikumszeit und eine dreimonatige Bachelor-Arbeit, also insgesamt sieben Semester."

"Das wäre uns recht", macht sich Xaar-Manager Zapka Hoffnung auf neue Anlernlinge aus Deutschland. Aber schon vorher hatte ihm sein Anstupser bei den Hochschullehrern Mut gemacht, stur an der Sechs-Monats-Regel für ein Praktikum festzuhalten: "Alle Professoren haben zugesagt: Keine Sorge, wir richten das schon ein. Auf die eine oder andere Art." Wie sie das bewerkstelligen wollen, will er gar nicht so genau wissen.

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