Autismus-Experte:"Nur IT ist ein Klischee"

Matthias Dalfert

Professor Matthias Dalfert.

(Foto: privat)

Autisten bereichern mit ihren Spezialfähigkeiten Teams. Ihre Ausbildungschancen sind heute deutlich besser als früher.

Interview von Miriam Hoffmeyer

Nur jeder dritte Autist mit normaler oder durchschnittlicher Intelligenz hat nach Schätzungen einen sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjob. Dieser Anteil könnte erheblich steigen, sagt der Autismus-Experte Professor Matthias Dalferth von der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg. Die Betroffenen hätten heute bessere Ausbildungschancen als früher.

SZ: Sind Menschen mit Asperger-Autismus prädestiniert für IT-Berufe?

Matthias Dalferth: Das ist ein Klischee, tatsächlich haben nur zwölf bis 15 Prozent von ihnen eine starke Affinität zum IT-Bereich. Andere haben Spezialinteressen wie zum Beispiel Sprachen oder Musik, doch nicht alle sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Für diese Personen kommen viele Berufe infrage. Ungünstig sind nur die, in denen es auf soziale Kompetenzen, spontane Kommunikation und Teamfähigkeit ankommt.

Aber man muss doch in fast allen Berufen Kontakt mit anderen Menschen haben . . .

Im Callcenter, am Empfang oder im Personalwesen wären Personen mit Asperger-Syndrom sicher am falschen Platz. Für manche ist schon Telefonieren eine Herausforderung. Über E-Mail können sie aber durchaus kommunizieren. Die modernen Kommunikationsmittel haben das Arbeitsleben für diese Menschen sehr erleichtert.

Wie finden betroffene Jugendliche eine geeignete Ausbildung?

Die Angebote der Berufsbildungswerke haben sich sehr bewährt. 2001 hat das BBW Abensberg ein erstes Projekt für Jugendliche mit Autismus gestartet. Inzwischen wurde das stark ausgeweitet: Heute werden an 17 Berufsbildungswerken, die über ganz Deutschland verteilt sind, 800 bis 900 junge Leute mit Autismus ausgebildet. Die meisten lernen kaufmännische Berufe, gern mit dem Schwerpunkt Buchhaltung. Beliebt sind auch IT, Elektronik oder Metallverarbeitung. Oder Lagerlogistik, Archivwesen, Gartenbau - das Ausbildungsspektrum ist breit.

Welche besondere Unterstützung bieten die Berufsbildungswerke?

Am Anfang steht ein sorgfältiges Assessment. Um den passenden Beruf zu finden, machen die jungen Leute Tests und werden bei verschiedenen Tätigkeiten beobachtet. Während der Ausbildung wird auf einen strukturierten Alltag, überschaubare Aufgaben und klare Formulierungen geachtet. Außerdem gibt es soziales Training. Da wird zum Beispiel geübt, wie man Leute begrüßt oder verabschiedet. Smalltalk ist für diese Personen extrem schwierig. Sie lernen auch mit Filmen und Bildkarten, Gefühle von anderen an äußeren Merkmalen zu erkennen - so wie andere Leute Vokabeln lernen.

Wie kommen Menschen mit Asperger-Autismus im Studium zurecht?

Fachlich haben sie keine Probleme, aber sie tun sich schwer mit der Größe und Unübersichtlichkeit der Hochschule und damit, eine Struktur im Studium zu finden. Bei Prüfungen kommt ihnen ein Einzelraum mit absoluter Ruhe entgegen. Mündliche Prüfungen führen oft zu einer Blockade. Aber auch die Hochschulen stellen sich nach und nach besser auf die Bedürfnisse von Studenten mit Autismus ein und gewähren Nachteilsausgleiche, zum Beispiel die Möglichkeit, Fragen schriftlich statt mündlich zu beantworten.

Wie schwierig ist der Übergang in den Beruf?

Die meisten finden nicht sofort nach dem Abschluss eine Stelle, denn Vorstellungsgespräche sind überhaupt nicht ihr Ding. Aber zwei Drittel der Absolventen der Berufsbildungswerke sind nach ein bis zwei Jahren in Arbeit. Sie sind eher erfolgreich, wenn sie bei der Arbeitssuche und der Einarbeitungsphase begleitet werden, zum Beispiel durch Jobcoaches oder den Integrationsfachdienst. Immer mehr Betriebe sind bereit, diese Personen einzustellen, die früher für sie uninteressant waren. Die Inklusionsdebatte hilft dabei und natürlich die günstige Situation auf dem Arbeitsmarkt. Ich bin mit der Entwicklung sehr zufrieden.

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