Auszubildende:Gassi-Gehen für den Chef

Gewerkschaften kritisieren Missstände in der Ausbildung.

Lehrlinge in Deutschland leiden teilweise unter schlechten Arbeitsbedingungen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Schwarzbuch des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), das Missstände in den Ausbildungsbetrieben gesammelt hat und am Donnerstag vorgestellt wurde. Die Fälle reichen von Lohnkürzungen bei Krankheit, ausbleibenden Gehältern über ausbildungsfremde Arbeiten bis hin zu Mobbing und sexueller Belästigung.

Wie DGB-Vorstandsmitglied Ingrid Sehrbrock sagte, würden die jungen Leute in vielen Unternehmen gut ausgebildet. Überrascht habe die Gewerkschaften aber das Ausmaß der Missstände. "In diesem Umfang hatten wir nicht damit gerechnet", sagte Sehrbrock. Viele junge Leute ließen sich aus Angst um eine Lehrstelle offenbar alles gefallen.

Anlass des Schwarzbuches ist eine Online-Beratung der Gewerkschaften (www.doktor-azubi.de), an die sich junge Leute bei Problemen wenden können. Den Service gibt es seit Juli 2003, er ist kostenlos, und nutzen können ihn auch Nicht-Gewerkschaftsmitglieder, wobei man anonym bleiben kann. Seitdem haben sich 2000 Jugendliche beraten lassen, pro Monat kommen 200 dazu.

Einmal krank - Gehalt gekürzt

Das Schwarzbuch listet nun 77 Fälle auf, wobei die Probleme unterschiedlich sind. Es gibt den Installateur-Lehrling, der die neue Werkstatthalle seines Betriebes allein anstreichen muss. Oder die Auszubildende in einem Rechtsanwaltsbüro, die mit dem Hund des Chefs Gassi gehen und Schulbücher einschlagen soll, wenn der Sohn des Hauses neue Exemplare bekommen hat. Eine junge Frau wird zur Groß- und Außenhandelskauffrau ausgebildet, doch der Betrieb beschäftigt sie im dritten Jahr damit Akten abzulegen. Eine Zahnarzthelferin soll 50 Euro zahlen, weil ihrem Chef ein Gerät gestohlen wurde - obwohl die Frau damit nichts zu tun hat. Ein Koch-Lehrling arbeitet zwischen 50 und 60 Stunden die Woche, hat nach vier Monaten erst einmal Lohn bekommen.

Eine angehende Hotelfachfrau arbeitet 70 Stunden die Woche, hält aber nach vier Monaten noch immer keinen Ausbildungsvertrag in Händen. Dafür kürzt ihr der Chef das Gehalt um 55 Euro, weil sie einen Tag krank war.

Mehr Mängel im Westen

Nach Ansicht der Gewerkschaften häufen sich die Missstände in bestimmten Branchen. Dazu zählen Einzelhandel, Hotel- und Gaststättengewerbe, aber auch Medienbetriebe, Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien. In Kleinbetrieben gebe es meist mehr Probleme als in Großunternehmen.

Die Mängel konzentrierten sich stärker im Westen als im Osten, was damit zusammenhänge, dass in Ostdeutschland mehr überbetrieblich ausgebildet werde. Sehrbrock forderte die Kammern auf, stärker die Lehrlingsbetriebe zu kontrollieren. "Die Berater müssen stichprobenartig die Ausbildung vor Ort überprüfen", sagte sie. Auch die Vergabe öffentlicher Aufträge sollte künftig an die Qualität der Lehre geknüpft werden.

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