Auswahl von Flugbegleitern:Eine Sache des Zehenspitzengefühls

Ein Jetset-Leben hoch über den Wolken: Beim "Cabin Crew Recruitment Open Day" werden Flugbegleiter für die Airline Air Emirates ausgewählt. Doch wer ein Ticket für den Job zwischen Dubai und der großen weiten Welt erhalten will, muss sich ganz schön strecken.

Martin Wittmann

Unten, im Saal "Garmisch", treffen sie aufeinander, die jungen Frauen und jungen Männer, die ganz nach oben wollen und ganz weit weg, überall hin, nur nicht nach Garmisch. In Stuhlreihen sitzen sie im Kellergeschoss des Westin Grand Hotels in München. Von hier aus drängen sie in den Himmel, und wenn sie ihr Ziel erreichen sollten, werden sie sich bei ihren Ausflügen auf die Erde nur in Fünf-Sterne-Hotels wie diesem ausruhen.

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24 Stunden in New York, Sydney oder Tokio, stets mit ordentlich Taschengeld. Dazwischen immer wieder ins sonnige Dubai, wo der Chauffeur sie vom Flughafen zu ihrem möblierten Apartment bringt, in dem schon die frisch gewaschene Wäsche liegt. Für dieses Highlife bekommen sie 2000 Euro im Monat, steuerfrei. In den Urlaub fliegen sie praktisch kostenlos.

Das alles bekommen die Anwesenden erzählt, und in ihrem Lächeln ist zu lesen: Wer so hoch fliegt, so viel kriegt und sich so schön bettet, der muss das Leben eines Engels haben. Etwa vier Dutzend Frauen und ein Dutzend Männer tragen dieses Lächeln, als sie sich am vergangenen Samstag in München ein Bild machen vom Beruf des Flugbegleiters. Hier und in 14 weiteren deutschen Städten lädt Emirates zum "Cabin Crew Recruitment Open Day", insgesamt sind 450 Bewerber gekommen.

Eine davon: Marina. Sie ist 26 Jahre alt, trägt schwarze Schuhe, ein schwarzes, knielanges Wollkleid, eine weiße Bluse, roten Lippenstift, rote Fingernägel. Die E-Mail von Emirates, die für diesen Anlass eine hautfarbene Strumpfhose empfahl, hat sie nicht gelesen, sie trägt eine schwarze (die meisten Männer kommen indes wie empfohlen in Anzug und Krawatte). Marina hat früher in einem Souvenirshop gearbeitet. Zu ihren Kunden gehörten viele shoppende Flugbegleiter. Deren Alltag - mal hier, mal da - hat sie fasziniert. Doch ihre Eltern sagten, was Eltern halt so sagen: erst mal studieren.

Jetzt ist sie studierte Grafikerin, sitzt den ganzem Tag in einem Büro vorm Rechner und ist reif für Neues. Für den Traumjob über den Wolken? Nüchtern sagt sie: "Da fliegt man nicht hübsch durch die Welt und drückt nebenbei den Passagieren zwei Sandwiches in die Hand. Da ist man Mädchen für alles."

Die drei Anwerberinnen von Emirates sind keine Blender, die den Berufsalltag ausschließlich als fabelhaft verkaufen. Zwar zählen sie die Vorzüge des Stewardessenlebens auf, während ein Video urbane Glitzereindrücke des Jetset-Lebens zeigt. Doch das Trio macht keinen Hehl aus dem, was Anwärtern ebenfalls blüht: Jetlag, durchgearbeitete Nächte, enervierende Passagiere, Lächelzwang, körperliche Anstrengung, Hektik. In der neuen Heimat, in Dubai, warten Wüste und Hitze. "Zudem ist es ja nicht nur ein Job, den man macht", sagt eine der drei Recruiterinnen, Helena. Die 29 Jahre alte Libanesin, die selbst dreieinhalb Jahre als Stewardess gearbeitet hat, erinnert sich: "Dort oben war ich auch Sicherheitsbeamtin, Krankenschwester, Babysitter, Polizistin, Psychiaterin und Putzfrau." Sobald das Flugzeug Bodenhaftung verliert und das Innere der Maschine für ein paar Stunden zu einem eigenen Lebensraum wird, losgelöst von üblichen Anlaufstellen und Rückzugsorten, ist die Stewardess Expertin für alles.

Die Sehnsucht fliegt mit

Marina mag das erwartet haben. Doch so manchen im Saal vergeht das träumerische Lächeln. Die Gesichter der Desillusioniertesten sagen nun: Wer so viel fliegt, so viel gibt und sich so selten betten kann, der muss das Leben einer Saftschubse haben.

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Es sind diese beiden Seiten eines Berufes, über die wohl jeder Fluggast schon einmal nachgedacht hat: Welch Privileg es doch ist, am Ende des Arbeitstages auf einem anderen Kontinent auszusteigen; wie bitter es doch ist, in einem Airbus voller übernächtigter Grantler die freundliche Bedienung zu sein. Das Image des Jobs ist dementsprechend dialektisch. Dass jeder Bewerber bei Emirates Abitur haben muss, macht der stark wachsenden Fluglinie die Personalsuche nicht einfacher, viele fühlen sich freilich überqualifiziert für den Service-Job. Zumal, mag man meinen, wenn man Pilot ist - wie João.

Der 26 Jahre alte Bewerber fliegt hobbymäßig Kleinflugzeuge, für die großen fehlt ihm die Ausbildung. Würde er sich nicht komisch vorkommen, wenn er - anstatt im Cockpit zu sitzen - müllsammelnd durch die Gänge gehen müsste? "Ich pfeif' auf Ruhm und Ruf", sagt der Portugiese, der in Österreich als Ingenieur arbeitet, "ich will einfach fliegen." Selbst auf den Dreitagebart, die Koteletten und einen Teil seines jetzigen Gehalts würde er verzichten. Denn: "Ich will mein Leben ändern". Hier spricht nicht Perspektive, hier spricht Sehnsucht.

Die Kandidatin neben ihm ist pragmatischer. Sie ist Referendarin am Gymnasium, hat dort jedoch keine Stelle in Aussicht. Für sie wäre Stewardess eine erfreulich kosmopolitische Übergangslösung. Ob sie als Akademikerin ein Problem mit dem Image hat? "Schlimmer als das Image der Lehrer ist es auch nicht", sagt sie.

Dann ist Schluss mit Präsentation und schönen Videos, jetzt müssen die Bewerber ran. 2,12 Meter gilt es zu erreichen - das ist bei Emirates die Trolley-ins-Gepäckfach-Höhe, die jeder Kandidat mit der Hand erreichen muss. Helena bittet Marina an die Markierung an der Saalwand. Erster Versuch: Fehlstart, die recht kleine Marina hatte "vergessen", ihre Schuhe auszuziehen. Zweiter Versuch ohne Schuhe. Mit viel Zehenspitzengefühl und im ganz eigenen Langstreckentest schafft sie es, die Kuppe ihres linken Mittelfingers gerade so über die Höhe zu drücken. Helena nickt. Marinas erste Hürde auf dem Weg nach Dubai ist überwunden.

Dubai. Viele schreckt der zwingende Umzug an den Standort der Emirates ab, denn ein Leben in Dubai bedeutet nicht nur klimatisches und kulturelles Neuland, sondern auch ein chaotisches Privatleben. Helena nennt es "eine Veränderung des sozialen Umfelds" und spricht von vielen neuen Freunden, die man dort gewinnt. Marina aber geht davon aus, "dass man nach der Arbeit alleine im Bett liegt". Das nämlich kann die unglamouröse Konsequenz sein aus einem Arbeitsleben auf Reisen und einer Heimat in der Ferne.

Ingenieur João muss sich darüber keine Gedanken machen. Denn am Ende des Tages, nach der Auswertung seines Lebenslaufs und Gesprächen mit den Anwerberinnen steht fest: Er wird weiter höchstens als Passagier mit Emirates fliegen. Vielleicht wird er ja von Marina bedient, die es tatsächlich geschafft hat und auf die finale Bestätigung aus Dubai wartet. Ganz vielleicht werden beide einander dann beneiden.

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