Aussteiger:Ein Korken geht nicht unter

Aussteiger: Skipper Werner Goetler im karibischen Meer vor Kuba: Vor drei Jahren habe ich meinen Traum verwirklicht - und mir einen Katamaran gekauft

Skipper Werner Goetler im karibischen Meer vor Kuba: Vor drei Jahren habe ich meinen Traum verwirklicht - und mir einen Katamaran gekauft

(Foto: Lars Langenau)

Werner Goedtner hat vor drei Jahren seinen Job hinter sich gelassen. Jetzt pendelt er mit einem Katamaran zwischen der Karibik und dem Mittelmeer. Seine beste Entscheidung, sagt er.

Protokoll: Lars Langenau

"Ich wollte mir schon seit jungen Jahren mit 50 selbst aussuchen, was ich mache. Früh hatte ich die Erfahrung gemacht, dass Arbeitnehmer spätestens mit Mitte 50 oft jüngere Vorgesetzte bekommen - und ihnen dann die Hutschnur platzt. Zudem habe ich jemanden mit 28 an Aids sterben sehen und im Familienkreis eine Leukämie-Erkrankung miterleben müssen. Damals habe ich entschieden, das kann nicht alles sein. Für mein Lebensziel wollte ich mir so viel Geld beiseitelegen, dass ich früher mit dem Arbeiten aufhören kann. Ans Segeln hatte ich damals noch gar nicht gedacht. Das habe ich erst 1992/93 auf dem Bodensee begonnen.

Ich bin eigentlich Maschinenbau-Ingenieur und habe mir mit ehrlicher Arbeit im Laufe der Zeit eine halbe Million Euro zurückgelegt. Ohne Aktiengeschäfte oder sowas. Nur dadurch, dass ich mein Geld bewusst ausgegeben oder angelegt habe. Ich denke heute noch oft, wenn ich junge Leute einkaufen sehe: 'Rechne mal aus, wie viele Stunden du dafür arbeiten gehen musst'. Vor drei Jahren, nach 25 Jahren als Angestellter, habe ich dann meinen Traum verwirklicht, habe so ziemlich alles verkauft und mir einen Katamaran gekauft. Seither segele ich mit Gästen umher, die sich mindestens eine Woche lang bei mir einbuchen.

Zu dem Schiff kam ich durch folgendem Gedanken: Mit welchem Fahrzeug kommt man zu den schönsten Plätzen dieser Welt? 70 Prozent der Weltbevölkerung leben auf einem 60 Kilometer breiten Küstenstreifen. Mein Katamaran ist mein Zuhause, mein Hotel, mein Wohnmobil, das man in Küstennähe fast überall parken kann. Doch ein Wohnmobil muss man betanken und ich fahre mit dem Wind. Ich habe heute weniger Kosten für Energie, als früher in meinem Haus an Heizkosten, und ich produziere mein Süßwasser selber. Außerdem hätte ich ja ansonsten wieder überall im Stau gestanden. Auch das ging mir in Deutschland zunehmend auf den Zeiger. Früher hat Autofahren Spaß gemacht, heute ist das eine Strafe.

Du bist ein Nichts, und all die anderen sind auch ein Nichts

Außerdem hatte ich immer gern Gäste, koche schon immer gern, hatte das Geld, keine Verpflichtungen, die handwerklichen Fähigkeiten - und so reifte die Idee mit dem Schiff. Ich habe mich in der Zeit bis zum Abschied erst noch selbst als Skipper getestet auf einem fremden Schiff. Wir trieben nachts vor dem Vulkan Stromboli und ich sah, wie glühende Lava-Brocken ins Meer den Hang hinab ins Meer polterten. Ich schaute auf dieses Überdruckventil der Erde und war mächtig beeindruckt. In dem Moment habe ich meinen Job reflektiert und darüber nachgedacht: Ganz schön klein diese Nussschale, ganz schon viel Wasser drum herum. Dann schaute ich in die Sterne und dachte: Du bist ein Nichts, und all die anderen, die denken, sie sind größer als irgendwer, die sind auch ein Nichts.

Ab diesem Zeitpunkt wollte ich mehr Freiheit statt aufgezwängter Regularien. Ich wollte mir nichts mehr sagen lassen und habe mir einen Plan gemacht. Ich bin zurück in die Firma und habe gesagt, diese Maschine mache ich noch zu Ende, dann höre ich auf und gehe aufs Schiff. Hat natürlich keiner geglaubt.

Die Welt umsegeln? Das brauche ich nicht!

Ich war auch mal sieben Jahre verheiratet, doch beim Hausbau kam es zum Zerwürfnis. Und ein Haus für mich allein brauche ich nicht, wieder nur Verpflichtungen. Man möchte Motorrad oder Cabrio fahren - und muss Rasenmähen. Da wir keine Kinder haben, haben wir heute auch keinen Kontakt mehr. Warum auch? Sicherlich gab es da eine Phase, in der ich mich gefragt habe, was hätte ich wann und wo anders machen müssen. Aber irgendwann muss man damit abschließen.

Viele Dinge brauche ich nicht. Ich mag ein warmes Klima, brauche soziale Kontakte und was zu essen. Alles andere ist Luxus. Ich bin jetzt seit fast vier Jahren unterwegs und habe dieses Leben für mich auf zehn, zwölf Jahre begrenzt. Noch habe ich keine Ahnung, wo ich danach bleiben werde: Es soll dort warm, bezahlbar und sicher sein, muss eine Infrastruktur haben, damit man auch mal zum Arzt gehen kann. Und noch etwas ist wichtig, das ist mir erst auf dem Schiff klar geworden und erleichtert die Auswahl nicht unbedingt: Es muss auch kulturell etwas geboten sein. Ich will mal wieder in die Oper, ins Ballett oder ins Theater gehen. Die Karibik, so schön es dort ist, fällt da völlig flach. Aktuell kann ich es mir jedenfalls nicht vorstellen, nach Deutschland zurückzukehren, vor allem weil es da oft so kalt ist.

Die größten Gefahren: ein Wal und ein Container

Ich muss immer ein paar Leute auf meinem Schiff haben, damit ich hier den laufenden Betrieb auch bezahlen kann. Als ich mein Schiff in einer gehobenen Ausstattung bestellte, wusste ich, dass ich noch 70 000 Euro reinstecken muss. Weil die Werft die von mir gewünschten Dinge gar nicht oder nicht in der Qualität anbietet. So habe ich mein neues Schiff erst einmal gründlich umgebaut.

Vor meinem Studium machte ich eine Werkzeugmacherlehre und lernte von meinem Vater, mit Elektrik umzugehen. Ich habe nicht nur das Werkzeug, sondern auch die erforderlichen Kenntnisse, um ein Schiff in Stand zu halten. Doch als mein Abenteuer begann, habe ich nicht damit gerechnet, derart hohe laufende Kosten zu haben. Neue Segel sind sehr teuer, dazu musste eine nicht rostende Ankerkette her. Und jedes Jahr braucht das Unterwasserschiff eine neue Beschichtung gegen Muschel- und Algenbewuchs.

Manchmal bucht auch keiner, wie auf Rückfahrten von der Karibik ins Mittelmeer. Dann muss ich eben allein fahren. Die größten Gefahren sind, dass ein Wal mein Schiff zum Rückenschaben nutzt oder ich auf einen Container fahre, der im Wasser rumdümpelt. Ansonsten habe ich einen Luxus-Katamaran, der Salzwasser in Trinkwasser umwandelt und elektrische Winschen - also Seilwinden - hat, damit ich, falls ich mir mal den Arm brechen sollte, das Schiff auch noch mit einem Arm bedienen kann. Man behält den Respekt vor der Natur. Ein Katamaran ist unsinkbar, da er keinen tonnenschweren Ballast-Kiel hat. Es mag naiv klingen, aber ich weiß, dass ein Korken nicht unter geht.

Diesen Sommer werde ich im Mittelmeer um Mallorca herum segeln, im Herbst überquere ich wieder den Atlantik auf der alten Kolumbus-Route, und verbringe den Winter und Frühling in der Karibik. St. Lucia, Martinique, St. Vincent und die Grenadinen, dann Antigua und Barbuda und über die British Virgin Islands zurück ins Mittelmeer. Irgendwann will ich auch nach Mexiko, Panama und dann über den anderen Teich bis nach Asien und Australien. Wie andere die Welt umsegeln? Das brauche ich nicht, seemeilenmäßig habe ich schon zweimal die Welt umsegelt. Ich will mir schöne Ecken anschauen, das reicht mir."

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Werner Goedtner, 55, Dipl.-Ing. Maschinenbau, Segler und Tauchlehrer, ist derzeit mit seinem Katamaran Baharii im Mittelmeer unterwegs www.sail4dive.de

Überleben

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