Ausraster in der Arbeit:Wenn der Chef auf den Tisch haut

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Ist ein "deftiges Wort" zu Mitarbeitern manchmal notwendig, wie Joschka Fischer nach Ronald Pofallas Verbalausfall meint? Führungspsychologe Peter Schettgen über zerschlagenes Porzellan, die Ursachen verbaler Entgleisungen und die beste Reaktion auf grobe Angriffe.

Barbara Galaktionow

Bei den CDU-internen Diskussionen um den Euro-Rettungsschirm ist Kanzleramtschef Ronald Pofalla massiv verbal entgleist. "Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen" und "Du machst mit deiner Scheiße alle verrückt" soll er den sogenannten Euro-Abweichler Wolfgang Bosbach beschimpft haben. Auch in Unternehmen herrscht manchmal ein rüder Umgangston. Doch ist das wirklich schlimm? Peter Schettgen, Direktor des Zentrums für Weiterbildung und Wissenstranfer an der Universität Augsburg, Führungspsychologe und Führungskräftecoach über die Ursachen von Verbalattacken am Arbeitsplatz, die beste Reaktion darauf - und wie sich Ausraster vermeiden lassen.

Wie weit darf die Wut einen treiben? Auch am Arbeitsplatz hat man Gefühle und sollte sie ausdrücken dürfen - aber kontrolliert. (Foto: iStock)

sueddeutsche.de: Herr Schettgen, der frühere Außenminister Joschka Fischer hat Verständnis für Pofallas Wutausbruch geäußert. Ein "deftiges Wort des Zorns" sei ihm lieber als "süßsaure Hinterhältigkeit". Ist es also in Ordnung, wenn Menschen im Berufsleben völlig ausrasten?

Peter Schettgen: Ich denke, es ist in Ordnung, wenn Menschen Gefühle ausdrücken - ja, das ist sogar sehr wichtig, schafft Orientierung. Auch im Arbeitsleben dürfen Menschen deutlich machen, wenn sie etwas langweilig finden oder hochspannend. Sie zeigen dadurch, was für sie wichtig ist. Der immer coole, gefühlsneutrale Chef oder Kollege führt zu Verunsicherung. Es kommt allerdings darauf an, wie man seine Gefühle zum Ausdruck bringt. Gerade ein Mensch in einer Führungsposition, der ausrastet, weckt Zweifel: Wenn er nicht die Kontrolle über sich selbst hat, wie soll er alles andere im Griff haben? Er wirkt einfach nicht überzeugend.

sueddeutsche.de: Verbale Entgleisungen sind ja eine Form von Gewalt. Was sagen sie über die Beziehung der Personen zueinander aus?

Schettgen: Bei der Frage, wie es zu Aussetzern kommt, spielen sehr viele Faktoren zusammen. Eine Rolle spielen zum einen Persönlichkeitsmerkmale. Zum anderen gibt es natürlich die Beziehungsgeschichte der Beteiligten. Dabei ist die Frage wichtig, was schon im Vorfeld einer solchen Auseinandersetzung an Konflikten vorhanden war, an Traumatisierungen passiert ist. Zu dieser Mikrosituation kommt natürlich noch die Makrosituation, im Falle von Herrn Pofalla und Herrn Bosbach die angespannte politische und wirtschaftliche Lage. Solche Situationen, in denen enorm viel Leistung gefragt ist, stehen für ein erhöhtes Maß an Aggressivität.

sueddeutsche.de: Rasten Männer eher aus als Frauen?

Schettgen: Männer und Frauen haben eine unterschiedliche Art und Weise, Aggressionen zum Ausdruck zu bringen. Männer holen eher mal aus - auch mit dem verbalen Schlag. Sie tendieren dazu, ihre Konflikte offen auszutragen. Frauen tragen ihre Konflikte eher über verdeckte Manöver aus. In der Forschung ist dieser Unterschied gut belegt.

sueddeutsche.de: Sagt es auch etwas über das Unternehmen aus, in dem so etwas geschieht?

Schettgen: Die Frage, wie Auseinandersetzungen gestaltet werden, hängt mit der Struktur, aber auch der Kultur eines Unternehmens zusammen. Wenn sich ein Vorgesetzter immer wieder massive Verbalattacken herausnimmt, mit der Faust auf den Tisch schlägt, dass es scheppert, dann ist das kulturprägend. Wer die Führung hat, besitzt Vorbildcharakter. Von einer Führungsriege, die zerstritten ist, können Ansteckungseffekte ausgehen.

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sueddeutsche.de: Der cholerische Chef oder Kollege - ist das ein bestimmter Typ? Oder können Ausraster jedem passieren?

Peter Schettgen ist Direktor des Zentrums für Weiterbildung und Wissenstransfer an der Universität Augsburg und dort Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie. Zudem arbeitet er als Managementtrainer und Coach für Führungskräfte. (Foto: ZWW / Uni Augsburg)

Schettgen: Man muss unterscheiden, ob es sich um einen Dauerzustand handelt oder ob es nur einmal passiert. Bei einem Dauerzustand ist es in der Tat meist ein Verhaltensmuster, das auch genetischen Ursprungs ist. Darunter leiden auch die Betroffenen selber. Sie wissen um ihre beschränkten Möglichkeiten, ihre Affekte zu kontrollieren, können sich aber nicht beherrschen. Wenn man das von jemandem weiß, kann das die Situationen entschärfen - den Umgang macht das natürlich trotzdem nicht unbedingt leichter. Ein Ausrutscher ist hingegen meist Zeichen einer dauerhaften Anspannung. Die Menschen stehen im Arbeitsleben heutzutage oft unter enormem Druck, werden massiv beansprucht, manche arbeiten nah am Burnout. Jemand, der emotional angekratzt ist, rastet auch schneller aus.

sueddeutsche.de: Muss man also als Angegriffener sagen: 'Der schreit mich an, aber der Arme kann halt nicht anders und steht gerade so unter Druck?'

Schettgen: Bei cholerischen Personen, die nur sehr schwer zu therapieren sind, liegt tatsächlich viel Verantwortung bei den Menschen, die damit umgehen. Hier ist die Frage eher, ob man solche Leute überhaupt in Führungspositionen bringen sollte. Ansonsten wäre der Kardinalfehler zu sagen: 'Jetzt regen Sie sich mal nicht so auf, das ist doch nicht so wichtig', dem anderen also die Gefühle abzusprechen. Erst einmal sollte man dem anderen seinen Ärger zubilligen: 'Ich sehe, Sie sind ganz schön aufgeregt.' Wichtig ist jedoch, den Angriff nicht persönlich zu nehmen und sich nicht gleich in die Verantwortung nehmen zu lassen, sondern zu denken: 'Der hat jetzt ein Problem, das nehme ich wahr.'

sueddeutsche.de: Aber ist das nicht ein bisschen viel verlangt? Der Attackierte wird ja erniedrigt, wenn er öffentlich grob angegangen wird - vor allem, wenn es der Chef ist, der laut wird.

Schettgen: Ich finde das gar nicht so gravierend. Wenn ein Chef die Fassung verliert, ist er im Grunde genommen sehr schwach. Der brüllende Löwe ist ja nur die Oberfläche. In dem Moment zeigt er in erster Linie seine menschliche Seite. Auf die sollte man reagieren. Allerdings angemessen und nicht, indem man sagt: 'Und wenn Sie dreimal mein Chef sind, das lasse ich mir nicht gefallen.' Letztlich sollten beide Seiten sehen, wie sie aus der Situation wieder herauskommen. Der Ausrastende sollte kurz innehalten und 20 Minuten Pause einlegen, um nicht völlig von einem Gefühlsstrom hinweggetragen zu werden. In dieser Zeit wird das Adrenalin abgebaut. Danach kann das Gespräch weitergehen.

sueddeutsche.de: Was können Kollegen machen, wenn sie einen Verbalausbruch miterleben? Den Kopf einziehen?

Schetten: Die Frage, greife ich ein oder halte ich mich heraus, ist hochsituativ. Da ist es schwierig, eine generelle Empfehlung zu geben. Im Normalfall kann man die Auseinandersetzung erst mal zwischen den beiden Personen lassen, die da etwas auszutragen haben. Das sind schließlich erwachsene Menschen. Wenn sich allerdings der beschimpfte Kollege in einer Situation befindet, aus der er selber nicht allein herauszukommen scheint, wenn man den Eindruck hat, dass ihm schon eine Form von seelischer Gewalt angetan wird, darf man sich das Recht nehmen, beschützend einzugreifen - allerdings ohne platte Verbrüderung.

sueddeutsche.de: Lassen sich Ausraster-Situationen vermeiden?

Schettgen: In Gesprächen werden immer auch Gefühle transportiert - und bei Führungskräften sind 80 Prozent der Aufgaben kommunikativer Art. Daher ist es wichtig, dass man seine Gefühle kontrolliert, ohne sie zu unterdrücken. Vor allem Menschen in Führungspositionen sollten immer im Blick behalten: Wie gehen sie mit Aggressionen um, können sie ihre Leidenschaften zügeln? Denn das ist es ja, was den Menschen ausmacht, dass er die Freiheit hat, sich nicht einfach von den Umständen und der spontanen gefühlsmäßigen Reaktion darauf hinreißen zu lassen. Wichtig ist auch, dass man selbstwertschützend kommuniziert, also den anderen nicht in seiner Person angreift - und das ist zweifellos das, was Herr Pofalla gemacht hat. Man muss gut überlegen, was man mit einem Ausraster anrichtet. Sicherlich, man kann sich entschuldigen, doch man weiß nie, was nachwirkt. Und oft entsprechen die langfristigen Zerstörungen, entspricht der Vertrauensbruch gar nicht dem eigentlichen Anlass.

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