Auslandsstudium:Scheu vor dem Aufbruch

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Andere Menschen, andere Sprache, andere Uni: Ein Auslandaufenthalt tut der persönlichen Entwicklung gut. Trotzdem nutzen bei Weitem nicht alle deutschen Studenten diese Chance. Das Bild zeigt das Collegium Maius mit seinem Arkadenhof – eines der ältesten und bedeutendsten Universitätsgebäude der polnischen Stadt Krakau.

(Foto: ALexander Pöschel/Imago)

Für Auslandsaufenthalte bieten sich Studenten attraktive Möglichkeiten. Dennoch nutzen viele sie nicht.

Von Jeannette Goddar

Von Lissabon bis Budapest, von Helsinki bis Granada - die Zukunft des Studiums soll international sein; so haben es europäische Minister vor nunmehr bald 20 Jahren im Juni 1999 in Bologna vereinbart. Dazu beitragen sollten das ECTS-System, Bachelor und Master sowie das bereits in den Achtzigerjahren angelaufene Erasmus-Programm. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) aus Bund und Ländern hätte es gern, dass bis 2020 jeder zweite deutsche Studierende ins Ausland geht, jeder dritte für mindestens drei Monate.

Die Realität ist davon - nach den jüngsten bisher vorliegenden Zahlen - noch ein ganzes Stück entfernt. Laut der Studie "Internationale Mobilität im Studium 2015", die der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) beim Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in Auftrag gegeben hatte, haben mehr als zwei Drittel (70 Prozent) der deutschen Studenten höherer Semester noch keinen Auslandsaufenthalt absolviert. In der Erhebung mitgezählt wurden "alle Aufenthalte ab 14 Tagen, die in Zusammenhang mit dem Studium stehen; etwa auch ein Praktikum oder ein Sprachkurs", erklärt die DZHW-Bildungsforscherin Janka Willige. Ausgewertet wurden circa 7000 Antworten von Bachelorstudierenden ab dem fünften Semester sowie von Masterstudierenden im zweiten Jahr.

Zu noch niedrigeren Zahlen kommt die jährliche Untersuchung des Deutschen Studentenwerks (DSW): Laut der 21. Sozialerhebung 2017 ist die Anzahl der Studierenden, die einen Auslandsaufenthalt in ihre akademische Ausbildung einbauen, zuletzt sogar zurückgegangen: von 31 Prozent im Jahr 2012 auf 28 Prozent im Jahr 2016. Nur 16 Prozent haben sich demnach zum Studium ins Ausland begeben; neun Prozent für ein Praktikum, ein Prozent für einen Sprachkurs, sechs Prozent für "Sonstiges". Dass die Sozialerhebung und der vom DAAD in Auftrag gegebene Bericht zu verschiedenen Zahlen kommen, dürfte daran liegen, dass bei den Fragestellungen unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt wurden. Eine Rolle könnte zudem spielen, dass die Sozialerhebung im Gegensatz zur DAAD-Studie auch sogenannte Bildungsinländer einbezieht - das sind Studierende, die in Deutschland zur Schule gingen, aber keinen deutschen Pass haben.

In jedem Fall gilt: Ob jemand mobil ist oder nicht, hat viel mit der Herkunft zu tun: Je höher der Bildungsgrad der Eltern, desto größer ist der Anteil derer, die fürs Studium ins Ausland gehen. Die Gründe dafür sind vielschichtig; einer besteht darin, dass Kinder aus Akademikerfamilien häufig von klein auf an Reisen in fremde Umgebungen gewöhnt sind. "Wer einmal im Ausland war, geht höchstwahrscheinlich noch einmal", erklärt Willige. "Wer es nicht kennt, sich in anderen Umgebungen zurechtzufinden, hat häufig mehr Scheu."

Das DSW betont die finanziellen Hürden. "Wenn man Studierende fragt, was sie davon abhält, ins Ausland zu gehen, haben zwei der drei meistgenannten Barrieren mit Geld zu tun: die finanzielle Mehrbelastung sowie der Wegfall von Verdienstmöglichkeiten, etwa durch einen Studentenjob", erklärt Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. Bedenklich sei zudem, dass die Zahl der Bafög-Empfänger sinke, die einen Antrag auf Förderung im Ausland stellen: "Im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit ist das kein gutes Zeichen."

Wünschenswert wäre aber auch mehr Beratung angesichts der aus dem Ausland mitgebrachten Leistungen: Welche können anerkannt werden, welche nicht? "Auch die starre Struktur von Studienprogrammen ist ein Hemmnis, die Universität zu wechseln", sagt auf der Heyde. Janka Willige hat zudem herausgefunden, dass Sorgen, im Ausland erworbene Studienleistungen könnten nicht angerechnet werden, häufiger sind, als dies in der Realität der Fall ist. Sie sagt: "Mehr konkrete Aufklärung in den einzelnen Studiengängen würde helfen."

Um sich der Frage "Was tun?" zu nähern, hat Willige genauer betrachtet, was Studierende davon abhält, ins Ausland zu gehen. Außer finanziellen Belastungen fürchten sie vor allem den Verlust von Zeit. Manche scheuen den organisatorischen Aufwand, wollen sich nicht vom Partner oder der Familie trennen oder verweisen selbstkritisch auf die eigene Trägheit. Erstaunlich viele, nämlich 41 Prozent der nicht-mobilen Studierenden, sehen in einem Auslandsaufenthalt nur einen geringen Nutzen für das eigene Studium, zeigt die Studie des DZHW. Jeder Dritte (32 Prozent) rechnet sich dadurch keine besseren beruflichen Chancen aus.

In deutlichem Gegensatz dazu stehen die Erfahrungen derer, die ins Ausland gehen - und deren ohnehin positive Erwartungen meist noch übertroffen werden. Auf den obersten Plätzen der Gründe für ein Auslandsstudium stehen die Hoffnung auf eine besondere, aufregende, spannende Zeit und darauf, eine andere Kultur kennenzulernen; gefolgt von dem Wunsch, eine Sprache zu lernen, den Lebenslauf oder die Chancen auf einen guten Arbeitsplatz zu verbessern. "Fast alle diese Punkte finden im Rückblick noch mehr Zustimmung als vorher", sagt Willige. Auffallend sei zudem, dass, wenn es um die Motive für ein Auslandsstudium geht, "Erleben und Sprachkenntnisse deutlich vor der Karriere kommen".

Der DAAD trägt dem mit dem Werbeslogan "Erlebe es" Rechnung. Die Nachfolgekampagne von "Go out! Studieren weltweit" setzt seit 2015 gezielt auf die Vermittlung von bunten Erzählungen. Sogenannte "Correspondents", die selbst im Ausland studieren, berichten - auch unter dem Hashtag "#ErlebeEs" in den sozialen Medien - von Erfahrungen, die häufig nicht in erster Linie mit dem Studium zu tun haben: von Sprachkursen in Kolumbien, Katzen-Cafés in Südkorea oder Skiurlaub in Japan. Verknüpft werden die Berichte auf dem Portal Studieren-weltweit.de mit Informationen zum Auslandsstudium - vom Auslandsbafög bis zur Vorbereitung eines Auslandsaufenthalts.

Bleibt die Frage, ob tatsächlich jeder ins Ausland muss. "Es sollte jedenfalls jeder die Chance haben", antwortet DSW-Generalsekretär auf der Heyde. "Wir leben in einer globalisierten Welt. Interkulturelle Kompetenzen und die Fähigkeit, sich in anderen Ländern zurechtzufinden, sind da ganz wichtig." Und: Auch angesichts des zunehmendem Nationalismus vielerorten könne ein "Blick über den Tellerrand" nicht schaden.

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