Ausbildung zum Piloten:Dem Himmel so nah

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Das Bewerbungsverfahren gilt als eines der härtesten, das der Arbeitsmarkt zu bieten hat: Nur eine Handvoll junger Leute schafft es in jedem Ausbildungsjahrgang, an der Bremer Verkehrsfliegerschule angenommen und zu Piloten ausgebildet zu werden. Das kostet Zeit, Nerven - und eine ganze Menge Geld.

Kristin Haug

Clara Holte träumt von einem Arbeitsplatz in der Luft. Die 19 Jahre alte Frau fliegt seit mehr als sechs Jahren Segelflugzeuge, doch das reicht ihr nicht. Clara Holte will mehr, sie will motorisierte Flugzeuge fliegen können. Deshalb geht die Abiturientin noch einmal zur Schule und berechnet gerade, wie sie ein Flugzeug koordiniert in eine Warteschleife manövriert.

"Ready for solo" - es ist ein ganz besonderer Moment, wenn ein Flugschüler zum ersten Mal ohne Lehrer in die Luft geht. (Foto: REUTERS)

Seit neun Monaten studiert Holte an der Verkehrsfliegerschule der Lufthansa in Bremen. Hier bildet das Unternehmen seit Mitte der fünfziger Jahre junge Menschen zu Piloten aus. Mittlerweile sind es 330 im Jahr. Gerade hat der 400. Lehrgang mit der Ausbildung begonnen. In einer Klasse sitzen maximal 30 Schüler im Alter von 19 und 29 Jahren. Einige von ihnen kommen direkt vom Gymnasium, andere haben bereits ein Studium absolviert oder abgebrochen.

Meist sind nur wenige Frauen dabei. An den Wänden hängen Poster von Cockpits, Flugzeugen und Weltkarten, draußen brummen Passagiermaschinen. Der Bremer Flughafen liegt direkt neben dem Ausbildungszentrum.

Der Schulalltag der Pilotenschüler beginnt jeden Tag um 8.20 Uhr im Seminarraum und endet irgendwann in den frühen Morgenstunden am Schreibtisch. "Ich habe noch nie in meinem Leben so viel gelernt. Man lebt hier mehr für die Schule als für die Freizeit", sagt Holte. Im ersten Jahr erwartet die angehenden Piloten vor allem eins: Mathematik und Physik. Faustformeln, Einheiten, Flugflächen und Luftdruck berechnen. Dann stehen Fächer wie Meteorologie, Navigation, Flugzeugkunde, Triebwerkkunde und Aerodynamik auf dem Stundenplan.

Um ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen und an der Verkehrsfliegerschule angenommen zu werden, hat Holte erst mal 2000 Euro investiert. So viel kosten dreiwöchige private Seminare, die auf den Aufnahmetest an der Schule vorbereiten sollen. Die Lufthansa sieht solche Angebote zwar nicht gern, weil es bei den Test um die natürliche und nicht die antrainierte Begabung gehen soll, aber den Bewerbern nehmen sie die Angst.

Holte meisterte als eine von wenigen Bewerbern den viertägigen Aufnahmetest, den die Deutsche Luft- und Raumfahrtgesellschaft für die Lufthansa in Hamburg durchführt. Von 6500 bis 7000 Bewerbern im Jahr bestehen nur sechs bis sieben Prozent den Test. Neben technischem, mathematischem und physikalischem Verständnis werden die Bewerber auf Belastbarkeit, Durchsetzungsvermögen und Konfliktfähigkeit geprüft. Und es wird getestet, wie teamfähig sie sind.

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"Am schlimmsten war der psychologische Teil, bei dem wir zwei Tage lang von Psychologen beobachtet worden sind", sagt Pilotenschüler Johannes Heller. "Bei Streitgesprächen haben sie bewertet, wie man sich verhält." Ein komisches Gefühl sei das gewesen. Aber wenn man gut argumentieren, besänftigen und Alternativen vorschlagen könne, dann komme das wohl gut an, sagt der 21-Jährige.

Zwei Jahre dauert die Ausbildung zum Piloten, in der die Schüler mehr Zeit miteinander verbringen als mit ihren Familien und Freunden. Ein Jahr Theorie, dreieinhalb Monate Sichtflug, dann die Instrumentenausbildung und die Musterberechtigung. Für die Ausbildung zahlen sie einen Eigenanteil von 60.000 Euro. Das ist ungefähr so viel, wie sie anschließend pro Jahr als Co-Pilot bei der Lufthansa verdienen. Die Kosten schießt das Unternehmen vor, doch spätestens nach dem vierten Gehalt beginnen die fertigen Piloten dann mit der Rückzahlung der Ausbildungskosten, mindestens 255 Euro im Monat. Für ihren Lebensunterhalt während der zweijährigen Ausbildung müssen die Schüler selbst aufkommen, entweder durch ihre Eltern oder über das Bafög. Zeit zum Jobben bleibt nicht.

Erst wenn die angehenden Piloten die internen Prüfungen der Verkehrsfliegerschule bestanden haben, werden sie nach Braunschweig zur Theorieprüfung des Luftfahrtbundesamtes geschickt. Zwölf Fächer an drei Tagen müssen sie bestehen, um die Theoriephase für die Pilotenlizenz abzuschließen. Dann wartet Phoenix auf sie. Für die Stadt im amerikanischen Bundesstaat Arizona hat sich die Lufthansa entschieden, weil dort fast das ganze Jahr über die Sonne scheint. In 90 bis 100 Flugstunden lernen die Schüler in Zweierteams und mit einem Fluglehrer an der Seite zu fliegen.

"Ready for solo" sind sie, wenn ihnen der Fluglehrer im Training zutraut, allein zu fliegen - meist nach drei bis vier Wochen. Phoenix sei großartig, das Gemeinschaftsgefühl, das Barbecue am Abend, vor allem aber der erste Soloflug, sagt die Pilotenschülerin Katharina Spilles. "Ich habe alles so gemacht wie immer. Und irgendwann habe ich realisiert, dass ich alleine da sitze und abhebe." Angst hat die 23-Jährige nie. "Man darf nicht zu weit denken, es kann ja immer irgendwas passieren." Aber sollte ein Notfall eintreten, sie wüsste genau, was zu tun wäre.

Nach der Rückkehr aus Phoenix musste Spilles ein Jahr darauf warten, ihre Ausbildung in Bremen fortzusetzen. Wie Flugzeuge, die nicht landen können, hängen die Pilotenschüler in einer Warteschleife, wenn es in Bremen zu wenige Kapazitäten für die Instrumentenausbildung gibt, bei der sie lernen, ohne Sicht und nur anhand von Instrumenten das Flugzeug zu steuern. In der Wartezeit arbeiten viele angehende Piloten allerdings weiter im Unternehmen, etwa als Flugbegleiter oder in der Flugzeugabfertigung.

Spilles muss nun mehrmals in der Woche in den Simulator, dort übt sie Anflüge und lernt mit dem Ausfall von Triebwerken oder Systemen umzugehen. Neben den Übungseinheiten im Simulator stehen den Schülern fünf Flugzeuge für das Training zur Verfügung. Die letzte Ausbildungsphase ist die Musterberechtigung, bei der sie auf einem bestimmten Flugzeugtyp geschult werden. Diesen Flugzeugtyp werden sie später als Co-Piloten als Erstes fliegen. Die letzte Phase dauert etwa drei Monate und findet in Frankfurt, Wien oder München statt.

Die Pilotenschüler Clara Holte und Johannes Heller haben das alles noch vor sich. Doch Heller sagt schon jetzt, dass sich die Strapazen lohnen. Als angehender Pilot konnte er in seinem Urlaub bereits einmal im Cockpit mitfliegen und erleben, wie die Theorie zur Praxis wurde. Fliegen, sagt er, bedeute für ihn Freiheit.

© SZ vom 03.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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