Ausbildung:Warum auch Lehrlinge ins Ausland gehen sollten

Ausbildung: Der angehende Anlagenmechaniker Kilian Zimmermann war mit einem Azubi-Stipendium bei Coca-Cola in den USA.

Der angehende Anlagenmechaniker Kilian Zimmermann war mit einem Azubi-Stipendium bei Coca-Cola in den USA.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Wie Studenten können auch Azubis einen Teil ihrer Ausbildung oder ein Praktikum im Ausland absolvieren. Doch bisher tun das nur wenige.

Analyse von Johann Osel

Was ein Münchner Mittelständler für Gebäudetechnik und ein weltumspannender Getränkehersteller in den USA gemeinsam haben? Kilian Zimmermann überlegt nur kurz: "Man muss anpacken, das ist wohl überall auf der Welt gleich." Am ersten Tag bei Coca-Cola in Atlanta habe er sich gleich mal nützlich gemacht und geholfen, einen schmierigen Motor auszubauen, erzählt er. "Das kennt man ja von der Ausbildung in Deutschland." Im letzten Jahr seiner Lehre als Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik hat er ein Auslandspraktikum gemacht: eben in Atlanta, wo keine Cola-Fabriken stehen, sondern sozusagen das Hirn des Konzerns, Verwaltung, Labors, Entwicklung.

Natürlich hat da ein junger Mann Anfang zwanzig viel zu erzählen von den Erlebnissen, vom amerikanischen Lebensstil, man kann Fotos anschauen. Von sich aus kommt Zimmermann schnell auf die Arbeit zu sprechen, Maschinen, Kühlgeräte. Er wirkt im Gespräch zunächst schüchtern, doch taut auf, je mehr er berichtet von den drei Monaten. Selbstbewusstsein, das hat er schließlich auch mitgebracht.

Ziel: Jeder zehnte Azubi soll ins Ausland gehen

Als Schreinerlehrling in Toronto? Als angehende Industriekauffrau in London? Oder eben als Mechaniker-Azubi in Atlanta? Das ist eine Rarität. Vier Prozent der Auszubildenden in Deutschland machen während ihrer Lehre ein Praktikum oder einen Kurs im Ausland. Das sagen Schätzungen des Bundesinstituts für Berufsbildung. An Hochschulen ist die Lage anders: Fast 40 Prozent der Studenten absolvieren einen studienbezogenen Auslandsaufenthalt.

Bis 2020 sollen mindestens zehn Prozent der Azubis Erfahrungen im Ausland sammeln, hat der Bundestag beschlossen. "Als Exportweltmeister braucht Deutschland Fachkräfte, die international ausgebildet sind", sagt Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU). "Wir wollen daran arbeiten, dass Auslandsaufenthalte in der Ausbildung in Zukunft so selbstverständlich werden wie während des Studiums."

Nun steckt dahinter nicht die reine Mildtätigkeit - sondern der Wunsch, das duale System attraktiver zu machen. Der Trend geht genau davon weg. Die Studentenzahl ist im laufenden Semester wieder auf einen Rekord gestiegen, mehr als die Hälfte eines Jahrgangs strebt heute akademische Bildung an. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln hat sich im Gegenzug die Zahl unbesetzter Lehrstellen in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. Klar ist: Ausbildung muss aufgewertet werden, um mehr Wertschätzung zu erhalten. Etwa durch Auslandsaufenthalte.

Zimmermann hat bewusst eine Lehre gemacht, auch ohne Druck der Eltern, die einen Heizungsbaubetrieb haben. An der Realschule sah er, dass viele weitermachten an der Fachoberschule, um zu studieren. "Ohne ein Ziel, oft wollen Leute studieren, nur damit sie halt studieren." Wobei Zimmermann, der nach der Lehre gerade beim Vater arbeitet, als nächstes den Meister anpeilt. Damit hätte er Zugang zu einem Studium. "Mal sehen", sagt er, "die praktische Seite wird bleiben."

Viele Berufsschüler wissen gar nichts von der Option

Aufgewertet durch den USA-Trip musste seine Lehre also nicht werden. Durch Zufall hatte er vom Stipendium für Azubis erfahren, das die Joachim-Herz-Stiftung mit dem bayerischen Kultusministerium und der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer anbietet. Er bewarb sich, holte Bestätigungen von Betrieb, Kammer, Berufsschule ein - und wurde genommen. Ein Rundum-Paket erwartete ihn: Stipendium, Vermittlung, eine Gastfamilie, ein Kulturprogramm. Davor: Auffrischung in Englisch. Mitgenommen hat er übrigens ein viel besseres Englisch. "Eine Mischung aus bayerischem Schulenglisch und Atlanta-Slang. Nicht schön, aber funktioniert."

Nach der Rückkehr aus den USA wurde er mit Fragen belagert. Oft mit dem Zusatz: "Machen die denn das auch ordentlich, die Amis?" Antwort: Ja, machen sie. Im Konzern hat er in Umweltlaboren mitgearbeitet, dort tüftelt man an optimalen Kühlgeräten für heiße Länder.

Kollegen, Berufsschüler, Lehrer, Ausbilder hierzulande wissen oft gar nichts von der Option. Das USA-Programm "ist für uns ein wichtiger Baustein, um Ausbildungsgänge gleichberechtigt neben einem Studium zu fördern", sagt Andrea Pauline Martin, Vorstandsmitglied der Stiftung. "Wir hoffen, dass es Nachahmer unter den Trägern der dualen Ausbildung findet."

Bis zu 30 Azubis schickt man derzeit in die USA. Ein Vorbild? Tatsächlich sind die jetzigen Möglichkeiten bescheiden. Viele mobile Azubis beziehen Geld aus dem Erasmus-Programm. Es ist kaum bekannt, dass es auch berufliche Bildung fördert. Doch volle Kostendeckung ist selten, zudem müssen entsendender und aufnehmender Betrieb alles selbst organisieren. Es gibt einige weitere Programme. Doch es fehlen: feste Schienen für Azubis, durchgeplant wie im Modell der Stiftung.

Leichter tun sich große Unternehmen. Beispiel RWE: Der Energiekonzern mit mehr als 2000 Azubis bietet etwa im kaufmännischen Bereich an, in England Praktika oder Sprachkurse zu machen. Zuletzt nutzten das laut einer Sprecherin die Hälfte der Lehrlinge. "Das Unternehmen verspricht sich einerseits eine Steigerung der Attraktivität als Ausbildungsbetrieb. Außerdem spielt natürlich die Internationalität des Konzerns eine Rolle." Zum Teil setzt RWE sogar Erasmus-Mittel ein. Ein Portal des Bundesinstituts BIBB (www.go-ibs.de) informiert über alle Angebote, vor allem kleine und mittlere Unternehmen seien häufig auf Rat angewiesen. Und auch die anderen Länder sollen etwas davon haben, Ministerin Wanka sagt: "Unsere Azubis sind im Ausland gute Botschafter. Das duale System stößt auf großes Interesse, vor allem in Ländern, in denen zurzeit die Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch ist."

Kilian Zimmermann kann das bestätigen. In Atlanta war dem Praktikum ein Kurs an einem Technik-College vorgeschaltet. Das war spannend für den Münchner, als Banknachbarn hat man ihm einen 50-jährigen Golfkrieg-Veteranen zugeteilt. "Theoretisch wirklich guter Unterricht; aber praktisch werden die College-Absolventen recht blauäugig in den Job geschickt", so Zimmermann. Denn es gebe meist nur simulierte Bedingungen. "Beim Kunden ist es nie so, man muss als Handwerker schnell improvisieren lernen."

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