Ausbildung:Umstrittenes Minimum

Junge Spanierinnen lernen Friseurhandwerk in Leipzig

Lehrstellen bei Friseuren sind in Deutschland die begehrtesten, trotz der niedrigen Bezahlung.

(Foto: Hendrik Schmidt/picture alliance/dpa)

Union und SPD versprechen eine Art Mindestlohn für Auszubildende. Gewerkschaften gefällt das, Arbeitgeber sind weniger begeistert.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Die Friseurin steht an der Spitze und gehört dennoch zu den Schlusslichtern: Kein handwerklicher Ausbildungsberuf war im vergangenen Jahr bei jungen Frauen beliebter - und kaum einer schlechter bezahlt. 406 Euro im Monat verdienen Auszubildende im ersten Lehrjahr. Eine noch niedrigere Vergütung findet sich in den Tabellen des Bundesinstituts für Berufsbildung nur bei den ostdeutschen Fleischern. Konstruktionsmechaniker dagegen bekommen im ersten Lehrjahr im Westen 975 Euro, im Osten 958 Euro. Und viele andere technische und kaufmännische Berufe bewegen sich in ähnlichen Sphären.

Das Vorhaben stößt auf Kritik: Es könnten falsche Anreize gesetzt werden, heißt es

Union und SPD wollen diese Spreizung in Zukunft nicht mehr zulassen. Im Koalitionsvertrag versprechen sie eine Mindestausbildungsvergütung. Die Gewerkschaften sind begeistert und haben schon angefangen zu rechnen: 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütung schweben dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) als Untergrenze vor. Das wären im ersten Ausbildungsjahr 635 Euro. 162 000 Jugendliche würden nach DGB-Angaben profitieren; etwa zwölf Prozent aller Azubis. Ein "Mindestmaß an Absicherung" nennt der DGB in einem Eckpunktepapier die Mindestausbildungsvergütung. Auch vor dem Hintergrund, dass nicht tarifgebundene Betriebe die tariflichen Sätze derzeit noch deutlich unterschreiten könnten. Zudem hält der DGB eine Mindestvergütung für ein probates Mittel gegen hohe Abbrecherquoten. Die gebe es vor allem dort, wo die Vergütung besonders niedrig ist, etwa im Friseurhandwerk.

Gegen mehr Geld am Ende des Monats hätte vermutlich kein Lehrling der Welt etwas. Kritiker aber befürchten, dass eine solche Mindestausbildungsvergütung aus mehreren Gründen kontraproduktiv sein könnte. "Die Politik denkt nur einen Schritt voraus, nicht zwei", sagt Hilmar Schneider, Leiter des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), und warnt vor Gegenreaktionen der Unternehmen. Die nämlich könnten schlicht weniger Lehrstellen anbieten, wenn es teurer wird, auszubilden. "Die Unternehmen wissen, was Azubis wert sind." Sie müssten mit Kosten und Ertrag zurechtkommen.

Auch Handwerksgeneralsekretär Holger Schwannecke betont den "unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und ihrem Engagement in der Ausbildung". Sollten Betriebe durch staatliche Mindestausbildungsvergütungen überfordert werden, würde sich das negativ auf deren Ausbildungsengagement auswirken, gerade in kleineren Betrieben. Außerdem handele es sich bei der Ausbildungsvergütung nicht um Lohn oder Gehalt, sondern um einen Zuschuss zum Lebensunterhalt. "Es ist kein Arbeitsentgelt, da Azubis schließlich noch lernen und keine vollwertigen Arbeitskräfte sind."

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) weist darauf hin, dass die durchschnittliche Ausbildungsvergütung 2016 ohnehin 876 Euro betragen habe; gegenüber 2017 ein Plus von 2,6 Prozent. In den sechs Jahren davor hatten die Azubivergütungen sogar um mehr als drei, teilweise um mehr als vier Prozent zugelegt. Zudem heißt es bei dem Spitzenverband, Azubis seien nun mal nicht so produktiv wie Fachkräfte und verursachten durchaus Kosten, etwa für Ausbilder und Material. Einige Branchen könnten ihren Lehrlingen schlicht weniger bezahlen als andere. Azubis, die nicht bei ihren Eltern wohnten, könnten zudem Berufsausbildungsbeihilfe beantragen. Die Verdienste, heißt es beim DIHK, hingen mit der Wirtschaftslage und den Gewinnmöglichkeiten der Branche zusammen.

Es liegt nicht unbedingt am Geld, dass manche Berufe als unattraktiv gelten

Dieser Punkt berührt eine weitere zentrale Frage: Ist es überhaupt sinnvoll, wenn Berufe mit später geringen Einkommens- und damit auch Rentenaussichten für Jugendliche attraktiver werden? Handwerk und DIHK bemühen sich seit Jahren, gerade Mädchen für technische Berufe zu gewinnen. Dort ist der Fachkräftemangel groß, die Einkommensperspektiven und Aufstiegsmöglichkeiten gut. Wenn die Friseursausbildung nun zusätzlich auch noch finanziell interessanter wird, dürfte das solche Bemühungen konterkarieren.

Bäcker, Fleischer, Friseure, Floristen, Maler und Lackierer, Lebensmittelfachverkäufer - diese Ausbildungsberufe rangieren am unteren Ende der Verdienstskala. Und auch später sind die Gehälter überschaubar. Das Friseurhandwerk ist in dieser Gruppe ein Exot; viele der anderen schlecht bezahlten Ausbildungsberufe finden sich in Branchen, wo besonders viele Lehrstellen unbesetzt bleiben - sie sind eher unbeliebt. Das aber dürfte nicht allein am Geld liegen. Vielmehr sind die Arbeitsbedingungen in diesen Berufen schon während der Ausbildung hart, von der Gastronomie bis zum Lebensmittelhandwerk. Dort anzusetzen wäre vermutlich zielführender als nur beim Geld. IZA-Leiter Schneider sagt: "Wenn es so einfach wäre und sich rechnen würde, sinkenden Bewerberzahlen mit steigenden Ausbildungsvergütungen zu begegnen, würden die Unternehmen es tun."

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