Ausbildung in Deutschland:"Das Wichtigste ist doch der Wille"

Lippert's Friseure in München, 2015

"Der Kunde hat Recht auf einen gepflegten Friseur", sagt Ausbilder Fuhs - manche seiner Bewerber müssen das noch lernen.

(Foto: lukasbarth.com)

Viele junge Leute starten ihre Ausbildung mit falschen Vorstellungen und unter schlechten Voraussetzungen, sagt Friseur-Ausbilder Robert Fuhs. Aber auch die Betriebe müssen umdenken.

Interview von Anna Fischhaber

Jeder vierte Lehrling wirft in Deutschland hin - das ist der höchste Wert seit Beginn der Neunzigerjahre. Das geht aus dem Entwurf für den Berufsbildungsbericht 2018 hervor. Demnach wurden 2016 etwa 146 000 Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst. Als Abbrecher gelten allerdings auch solche Jugendliche, die in ihrer Ausbildung den Betrieb wechseln. Zudem gibt es durchaus Unterschiede: Am niedrigsten ist die Abbrecherquote mit 4,1 Prozent bei Azubis, die Fachangestellter in der Verwaltung lernen, am höchsten bei angehenden Sicherheits-Fachkräften mit 50,6 Prozent.

Auch unter den Auszubildenden, die Koch, Restaurantfachkraft oder Friseur werden wollen, hört etwa jeder Zweite vor der Abschlussprüfung auf. Woran liegt das? Am Geld? An falschen Berufsvorstellungen der jungen Menschen? An ihrer fehlenden Motivation? Oder doch an den Ausbildungsbetrieben? Ein Gespräch mit Friseur-Ausbilder Robert Fuhs.

Können Sie sich noch an Ihre eigene Friseurlehre erinnern, Herr Fuhs?

Robert Fuhs: Allerdings. Meine Eltern haben mich in ein Friseurinternat geschickt, vom Rheinland nach Oberfranken, da war ich gerade mal 15 Jahre alt. Das war schlimmer als bei der Bundeswehr. Ich habe viel gelernt, aber ich musste auch ganz schön die Zähne zusammenbeißen.

Beißen die Jugendlichen heute nicht mehr die Zähne zusammen?

Meine Familie hat in unserem Salon in den vergangenen 80 Jahren mehr als 200 Lehrlinge ausgebildet und ich stelle schon fest: Jugendliche werfen heute viel schneller die Flinte ins Korn. Aber das gilt nicht nur für die Friseurbranche, sondern auch für die Universität.

Aber bei Friseuren ist die Abbrecherquote mit knapp 50 Prozent besonders hoch.

Stimmt. Ich beobachte, dass Jugendliche oft falsche Vorstellungen von der Friseurausbildung haben: Sie wollen kreativ sein und mit Menschen arbeiten und sind dann enttäuscht, weil sie nicht gleich Haare schneiden dürfen, sondern erst mal sauber machen und lernen müssen, wie man auf Kunden zugeht. Und natürlich ist der Job anstrengend: Als Friseur müssen Sie den ganzen Tag stehen und es gibt keine festen Pausenzeiten - wenn gerade viele Kunden im Laden sind, müssen Sie die Pause auch mal nach hinten verschieben. Manchen Lehrlingen ist das zu viel. Aber man muss auch sagen: Viele dieser Abbrecher werden ja trotzdem Friseur, sie wechseln einfach nur den Ausbildungsbetrieb. Manchmal auch zu Recht. Weil: Es gibt auch Friseure, die ihre Lehrlinge schlicht ausnutzen.

Ausbildung in Deutschland: Robert Fuhs, 61, leitet in dritter Generation einen Friseursalon bei Bonn und ist Bildungsvorsitzender beim Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks. Er bildet selbst Lehrlinge aus und bereitet sie auf die Prüfung vor.

Robert Fuhs, 61, leitet in dritter Generation einen Friseursalon bei Bonn und ist Bildungsvorsitzender beim Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks. Er bildet selbst Lehrlinge aus und bereitet sie auf die Prüfung vor.

(Foto: Privat)

Inwiefern ausnutzen?

Ich kenne Geschichten, da hat einer seinen Auszubildenden zum einkaufen geschickt. Ein anderer musste das Auto des Chefs waschen. Ausbilden heißt auch mehr als die Jugendlichen mal zuschauen lassen.

Dort, wo die Vergütung besonders niedrig ist, sind die Abbrecherquoten extrem hoch, sagt der Deutsche Gewerkschaftsbund. Könnte eine bessere Bezahlung die Ausbildungsmisere lösen?

Natürlich spielt Geld immer eine Rolle. Aber so schlecht ist die Bezahlung als Friseurlehrling gar nicht: In Nordrhein-Westfalen etwa gibt es im ersten Jahr fast 500 Euro, im dritten mehr als 700 Euro. Ich finde es jedenfalls falsch, dass jetzt nur über die Bezahlung geredet wird.

Worüber sollten wir dann reden?

Beispielsweise darüber, dass sich auch die Unternehmen ändern müssen. Wir haben inzwischen so wenig Nachwuchs, da ist nicht mehr nur der Lehrling der Bewerber, sondern auch der Betrieb. Einfach nur eine Ausbildung anbieten reicht heute nicht mehr, man muss den jungen Leuten etwas bieten. Ich bezahle ihnen beispielsweise zusätzlich zum Lohn die Fahrtkosten. Und auch die neuen Umgangsformen der Jugendlichen müssen sich manche Ausbilder gewöhnen. Mein Sohn sagt oft zu mir: Jetzt mach dich doch mal locker. Wenn ich so mit meinem Vater gesprochen hätte, wäre der vom Stuhl gefallen. Ich rede ganz offen mit meinen Lehrlingen. Eine Lehre ist immer auch eine Partnerschaft: Mit Höhen und Tiefen und Auseinandersetzungen, da muss man im Gespräch bleiben.

Haben Sie denn überhaupt genug geeignete Bewerber? Viele Unternehmen beklagen ja, dass der Lehrling von heute faul und frech ist.

So würde ich das nicht sagen. Natürlich kenne ich auch Auszubildende, die die ganze Zeit nur auf ihr Handy schauen. Dann frage ich schon mal nach, ob sie der Friseurberuf wirklich interessiert. Und manchmal kommen Jugendliche zu mir zum Vorstellungsgespräch mit dreckigen Fingernägeln und ungewaschenen Haaren. Das ist natürlich nicht das einzige Kriterium, aber der Kunde hat schon das Recht auf einen gepflegten Friseur. Andere tun sich schwer, richtig Wechselgeld zu geben oder einen Gutschein ohne Fehler zu beschriften, weil sie nie wirklich rechnen und schreiben gelernt haben. Es kann sich aber lohnen, wenn man Lehrlingen eine Chance gibt, die nicht gut in der Schule waren. Manchmal kommt erst in der Ausbildung der Durchbruch. Das Wichtigste ist doch der Wille. Beim Auszubildenden, aber auch beim Ausbilder.

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