Astronomie:Klassenzimmer mit Blick auf die Sterne

Für vernetztes Denken und mehr Emotionen im Unterricht: Eine bundesweite Initiative will Astronomie als Pflichtfach in der Mittelstufe einführen.

Tanjev Schultz

Wenn ein Gymnasiast in Weil der Stadt versonnen in den Himmel schaut, kann es sein, dass er gerade fleißig eine Schulaufgabe erledigt. Am Johannes-Kepler-Gymnasium gibt es Astronomie als Wahlfach, auf dem Dach ist eine kleine Sternwarte aufgebaut. "Für unsere Kultur ist die Astronomie prägend", sagt die Fachlehrerin Hildrun Bäzner-Zehender. Sie würde sich Astronomie als reguläres Fach wünschen - bundesweit.

Astronomie: Auf der Schulbank von den Sternen träumen: Eine bundesweite Initiative kämpft für Astronomie als Schulfach.

Auf der Schulbank von den Sternen träumen: Eine bundesweite Initiative kämpft für Astronomie als Schulfach.

(Foto: Foto: dpa)

Damit steht sie nicht allein. Am Donnerstag bekamen die Kultusminister Post von einer Initiative, die dafür kämpft, die Wissenschaft von den Gestirnen an den Schulen zu stärken. Bundesweit sollte es im letzten Schuljahr der Mittelstufe zwei Wochenstunden Astronomie-Unterricht geben, heißt es in dem Appell. Unterzeichnet haben 275 Professoren, Pädagogen, Schülervertreter und bekannte Astronauten wie Sigmund Jähn und Ulrich Walter.

In Weil, der Stadt, westlich von Stuttgart, ist man seit jeher aufgeschlossen für Himmelsbeobachtungen. Es ist die Geburtsstadt von Johannes Kepler, dem großen Astronomen. Doch im verkürzten Gymnasium (G8) haben die Schüler immer weniger Zeit, zusätzliche Angebote wahrzunehmen. "Und wer eine Planetenschleife beobachten will, braucht dafür Zeit", sagt die Lehrerin. Ein verpflichtendes Fach käme ihr gelegen.

Die Kultusminister stehen Forderungen nach neuen Schulfächern jedoch skeptisch gegenüber. Ständig rufen Lobbyisten nach Neuem, die einen wollen ein Fach "Gesundheit", andere mehr "Wirtschaft" oder "Theater". Hildrun Bäzner-Zehender hält die Astronomie dennoch für etwas Besonderes. Denn jeder Jugendliche stelle irgendwann grundsätzliche Fragen: Wo leben wir? Was ist das Weltall? Welche Zukunft hat die Erde? Der Physik- und Geographie-Unterricht würden nicht ausreichen, um astronomische Grundlagen zu legen. Die Disziplin friste dort ein Randdasein.

In der DDR reguläres Fach

In der DDR war Astronomie reguläres Fach, und drei Bundesländer halten diese Tradition noch aufrecht: In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist Astronomie in der neunten oder zehnten Klasse Pflicht, allerdings nur mit einer Schulstunde pro Woche. Bei den Schülern sei das Fach beliebt, sagt Ute Debold, Direktorin des Gymnasiums am Tannenberg im mecklenburgischen Grevesmühlen: "Das Staunen über die Sterne trägt dazu bei, Schüler für die Naturwissenschaften aufzuschließen."

So ließen sich auch Mädchen für physikalische Themen gewinnen. Die Anhänger des Astronomie-Unterrichts betonen den interdisziplinären Charakter des Faches, es gebe Bezüge zu Geschichte, Literatur und Musik. In Weil der Stadt lässt Hildrun Bäzner-Zehender ihre Schüler schon mal an einem Gemälde von van Gogh den Mondlauf diskutieren.

Lässt sich nicht einordnen

In den westdeutschen Bundesländern betonen die Kultusminister, man könne astronomische Themen in Physik und in fächerübergreifenden Projekten behandeln. Die Astronomie-Initiative, der auch der Deutsche Kulturrat angehört, argumentiert dagegen: Die Astronomie lebe vom Zusammenspiel so vieler Disziplinen, "dass sie sich nirgendwo einordnen lässt", heißt es in dem Brief an die Politiker. Deshalb sei ein Pflichtfach am Ende der Mittelstufe nötig. Darüber hinaus müssten astronomische Inhalte bereits in den Grundschulen vorkommen.

Astronomie-Unterricht fördere "vernetztes Denken", außerdem könne er dem reichlichen Astrologie-Angebot der Medien etwas entgegensetzen. Es gehe um wissenschaftliches Denken, sagt Wolfram Knobel, Pädagoge und Leiter einer Sternwarte im sächsischen Sohland. Aber nicht nur. Ihm sei es auch wichtig, Emotionen zu wecken und den "ethischen Wert" des Faches zu vermitteln.

Immanuel Kants Gemüt

So können Knobels Schüler vielleicht nachvollziehen, wie Immanuel Kant einst empfand, als er schrieb, zwei Dinge würden das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht erfüllen: "der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir".

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