Arztberuf im Wandel:Der Patient weiß Bescheid

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Jobprofil im Wandel: Ärzte haben es heute häufig mit sehr gut informierten Patienten zu tun.

(Foto: Getty Images)

Kranke googeln ihre Symptome, diskutieren über ihre Diagnose in Foren und erwarten vom Hausarzt prompte Antwort auf ihre E-Mails. Das Internet hat den Beruf des Mediziners verändert. Wie sehr Ärzte darunter leiden - und warum sie davon auch profitieren.

Von Felicitas Witte

Wenn Mediziner unter sich sind und über bestimmte Patiententypen stöhnen, lästern sie manchmal: "Lehrer ist kein Beruf, sondern eine Diagnose." Denn oft erleben sie, dass die Lehrer alles besser wissen: Sie schreiben dem Arzt Labortests vor, kennen die richtige Therapie und entlassen sich aus dem Krankenhaus, wenn sie es für richtig halten. Anstrengend finden das die Ärzte und schicken lieber den jungen Kollegen vor.

Heute sind Ärzte nicht nur mit Lehrern, sondern mit Patienten aller Berufsgruppen konfrontiert, die alles besser wissen. Denn es gibt kaum jemanden, der nicht schon mal nach Symptomen oder Diagnosen im Internet geforscht hat.

"Der Arztalltag hat sich extrem geändert", sagt Markus Büchler, Direktor der Klinik für Chirurgie an der Uniklinik Heidelberg. Viel besser wüssten seine Patienten heute Bescheid über ihre Krankheit und Behandlungsmöglichkeiten. "So kann ich meine Therapiestrategie schneller erklären - das spart Zeit", sagt Büchler. Oft forderten Patienten auch mehr als früher. "Alles muss sofort und mit den neuesten Studien erklärt werden, und wenn man etwas anderes sagt als im Internet steht, fragen die Patienten ungeduldig nach."

Drei Viertel aller Deutschen informieren sich im Netz

Zwischen 2002 und 2007 hat sich der Anteil der Menschen, die das Internet als Quelle von Gesundheitsinformationen nutzt, mehr als verdoppelt, nämlich von 24 auf 57 Prozent - so eine Analyse einer Telemedizin-Forschungsgruppe der Universität Tromsø in Norwegen. Inzwischen ist der Anteil noch größer: Drei Viertel aller Deutschen informierten sich im vergangenen Jahr über Gesundheitsthemen im Internet.

Laut der repräsentativen "Gesundheitsstudie 2012" der Kommunikationsagentur MSL mit Befragung von 1001 Erwachsenen suchen mehr als die Hälfte über Wikipedia oder auf Seiten von Krankenkassen. Ein gutes Drittel der Befragten googelt, um mit Arzt oder Apotheker "auf Augenhöhe" reden zu können. 17 Prozent geben zu, dass sie sich Informationen aus dem Internet suchen, um nicht zum Arzt gehen zu müssen - vor allem bei leichten Krankheiten wie Erkältung, Durchfall, Warzen oder trockener Haut.

Für Mediziner gab es schlechte Noten: Laut MSL-Studie sagt jeder Dritte, die Informationen im Internet seien verständlicher als das Gespräch mit dem Arzt. Doch die Mediziner genießen noch hohes Ansehen: Mehr als jeder Zweite vertraut Arztseiten im Internet mehr als denen von Krankenkassen, Patientenorganisationen, Pharmafirmen oder anderen Anbietern.

"Patienten vertrauen ihren Ärzten - dieses Grundverständnis hat sich während der vergangenen Jahrzehnte nicht geändert", sagt Roland Stahl von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Doch das Arzt-Patienten-Verhältnis habe sich geändert: "Gut gemachte Informationen ergänzen und erleichtern das Gespräch zwischen Arzt und Patient."

Das erlebt Franz Eberli, Chef-Kardiologe in einem großen Krankenhaus in Zürich, fast täglich. "Viele sind durch das Internet richtig informiert und wissen, was bei Eingriffen oder Operationen passiert und wann sie nach Hause können", sagt Eberli. "Das spart dann Zeit beim Aufklärungsgespräch." Nicht ersetzen könne das Internet aber die menschliche Zuwendung: "Wenn ein Patient einen schweren Herzinfarkt hatte, braucht er individuelle und einfühlsame Beratung, wie er mit der Krankheit klarkommt und was speziell für ihn wichtig ist - das kann keine noch so gute Information im Internet vermitteln."

"Patienten erwarten prompten ärztlichen Rat per E-Mail"

Der Alltag des Kardiologen hat sich nicht nur im persönlichen Gespräch ziemlich verändert. Täglich verbringt er viel Zeit am Computer, um Fragen von Patienten zu beantworten. "Das Internet gibt Patienten nicht nur Zugang zu mehr Informationen, sie erwarten auch prompten ärztlichen Rat per E-Mail." Oft muss er nachfragen, weil der Patient wichtige Aspekte seiner Krankengeschichte vergessen hat. "Die meisten Anfragen lassen sich nicht mal eben schnell beantworten."

Auch der Chirurg Büchler bekommt pro Tag Dutzende von E-Mails von Patienten. Er antwortet gerne und ausführlich. Ärgerlich ist er aber, wenn er merkt, dass ein Patient offensichtlich gleichzeitig mehrere Ärzte konsultiert hat und ihn mit "Sehr geehrter Herr Professor Müller" anschreibt. Auch wenn jemand eine unheilbare Krankheit habe, würden oft mehrere Ärzte gleichzeitig via Internet konsultiert werden.

"Natürlich möchten Familie und Freunde alles versuchen, um dem Betroffenen zu helfen", sagt Büchler. Für ihn als betreuenden Arzt sei das aber mitunter schwierig, weil die Kollegen aus dem Internet die gesamte Geschichte des Patienten nicht kennten und er die zum Teil ziemlich unterschiedlichen Empfehlungen der Kollegen dem Patienten und seiner Familie vermitteln müsse.

"Man braucht ziemlich viel Fingerspitzengefühl"

"Informationen aus dem Internet muss man immer noch persönlich mit dem Patienten in den richtigen Zusammenhang stellen", sagt der Kardiologe Eberli. So würden manche Patienten beispielsweise vergessen, bei ihrer Anfrage per E-Mail Medikamente oder andere Krankheiten anzugeben. Das kann aber eine ganz andere Behandlung erforderlich machen als die im Internet empfohlene. "Man braucht ziemlich viel Fingerspitzengefühl, um das dem Patienten zu erklären", sagt Eberli.

Angehende Mediziner sollten besser auf das geänderte Arzt-Patienten-Verhältnis vorbereitet werden, fordert der Chirurg Büchler. "Man muss lernen, wie man informierte Patienten auf Augenhöhe beraten kann." Junge Ärzte müssen sich auf neue Entwicklungen vorbereiten, sagt Eberli. "Heutzutage sind viele beruflich oft unterwegs und können nicht mal eben schnell ihren Hausarzt konsultieren - hier kann ein Internet-Arzt wertvolle Dienste leisten."

Noch brauchen Patienten für die Antworten von Büchler und Eberli nichts zu bezahlen. In den USA sei die Beantwortung dagegen häufig kostenpflichtig, sagt Büchler. "In Europa sind die Vergütungssysteme unterentwickelt." Doch auch hierzulande nehmen manche Kliniken Geld, etwa die Uniklinik Zürich. Eberli findet das Modell gut. "Ich sehe nicht ein, warum unser Aufwand nicht gebührenpflichtig sein sollte. Ein Rechtsanwalt gibt auch keine Rechtsauskunft über das Internet, ohne dafür ein Honorar zu fordern."

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