Arbeitswelt:Eine neue Firmenkultur

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Digitale Arbeiter haben ihren Job immer dabei, egal zu welcher Tageszeit sie gerade unterwegs sind.

(Foto: Gregor Fischer/dpa)

Die Digitalisierung betrifft fast jeden Beruf und alle Ebenen des Unternehmens. Die Veränderungen machen die Arbeit zugleich einfacher und komplexer. Auf welche Abteilungen im Betrieb wirkt sich das am meisten aus?

Von Viola Schenz

Die Digitalisierung verändert unser Leben in einem Maße, wie wir es uns gerade eben noch nicht vorstellen konnten: Berufstätige, deren einziges Handwerkszeug das Smartphone ist. Angestellte, die sich von zu Hause per Video-Konferenz ins Büro klicken. Autos, die ohne Fahrer einparken können. Roboter und Algorithmen, die körperliche und geistige Arbeiten übernehmen, während wir am Badesee liegen und dort übers Tablet einkaufen oder den Kühlschrank, die Kaffeemaschine, Terrassentür und Lampen daheim dirigieren.

Das Internet der Dinge nimmt Gestalt an - im Haus wie im Büro. Informatiker, Soziologen, Historiker sprechen von der zweiten Revolution auf dem Arbeitsmarkt nach der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Es gibt Berufe, die aussterben: Supermarktkassierer, Stromableser, Reisebürobetreiber. Andere entstehen: Big Data Scientist, Blogger, App-Entwickler, IT-Security Manager. Manche können gar nicht genug kriegen von all den Neuerungen, die sich abzeichnen. Andere gruselt es angesichts wegbrechender Gewohnheiten und Abläufe, sie wünschen sich zurück in prädigitale Zeiten und flüchten zum nächsten Mittelalterfestival.

Doch es hilft nichts: Im Büro muss man sich den vielen technischen Modernisierungen fügen. Was aber verändert die Digitalisierung tatsächlich, was ist jetzt schon anders, was soll gleich bleiben, welche Chancen, welche Risiken gehen mit Smartphones, Apps und dem neuesten Software-Update einher? Wie schafft man es, ein Gleichgewicht zu halten zwischen den Resten der alten, analogen Firmenkultur und der modernen, digitalen? Wie lässt sich die Polarisierung der Belegschaft in "digital natives" und "digital immigrants" verhindern? Wen werden die Neuerungen wie betreffen? Hier ein paar Prognosen.

Die Belegschaft

Der Arbeitsalltag wird zugleich einfacher und komplexer. Dass ein Firmen-Handy ständige Erreichbarkeit bedeutet und die Work-Life-Balance aus dem Lot bringen kann, ist inzwischen eine Binsenweisheit. Was anfangs nach Freiheit und Flexibilität klang und begehrt war, weil es Arbeits- und Privatleben scheinbar besser vereinbar machte, wird zunehmend als Belastung empfunden. Und wer gehofft hatte, dass Computer und Smartphone die Arbeit erleichtern, ist auch desillusioniert.

Einzelne Tätigkeiten mögen tatsächlich schrumpfen, aber insgesamt muss schneller, komplexer, akribischer gearbeitet werden und damit in der Summe mehr. Mit neuen Technologien kommen auch neue Anwendungen und neues Wissen und damit der Druck, sein Arbeitsleben lang dazuzulernen. Wer mit den modernen Tools nicht umgehen kann, bleibt irgendwann zurück. "Damit steigt auch der Wettbewerb zwischen den Arbeitnehmern", sagt Isabell Welpe, Professorin für Strategie und Organisation an der Technischen Universität München, die mit ihren Lehrstuhlmitarbeitern die Digitalisierung der Arbeitswelt kürzlich auf einer Konferenz diskutierte. Der Wettbewerb um gut qualifizierte Jobs nimmt so oder so zu.

Weil selbst anspruchsvolle Tätigkeiten, etwa im juristischen oder medizinischen Bereich automatisiert werden, schrumpft insgesamt der Personalbedarf. Akten für einen Prozess vorzusortieren, erledigen eigentlich juristische Assistenten, inzwischen leistet das auch ein Computerprogramm. "Technologien können Arbeit stark erleichtern und Ergebnisse verbessern, aber auch dazu führen, dass der Beitrag des Menschen in der Wertschöpfungskette immer unbedeutender wird", sagt Welpe.

Die Chefetage

Es fing damit an, dass die Vorgesetzten ihren Sekretärinnen keine Briefe mehr diktieren. Die Sekretärinnen heißen jetzt Assistent oder Assistentin und machen Wichtigeres als tippen, und die Briefe heißen jetzt E-Mail oder Whatsapp und werden selber getippt oder per Sprachsoftware erstellt. Bald entgleiten den Chefs auch die Untergebenen: Denn die kommen immer häufiger aus der technologieaffinen Generation Y und erwarten Sachen wie Transparenz, Mitsprache, Gleitzeiten, Freude an der Arbeit, Zeit für Familie und Freunde. Außerdem arbeiten sie immer öfter in interdisziplinären, dynamischen Projektteams, wo man mal diesen, mal jenen, mal gar keinen Chef hat. Die Autorität des Chefs bröckelt also. Es sind nicht mehr so sehr Manager gefragt, sondern Leader, und die haben keine Untergebenen, sondern Follower. Doch halt: "Flache Hierarchien einzuführen, ist schwieriger, als man denkt", sagt Prisca Brosi, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strategie und Organisation an der Technischen Universität München. "Menschen denken in Hierarchien, sie sind es gewohnt, in Hierarchien zu arbeiten, und diesen Hang muss man überwinden."

Die Geschäftsführung

Die Kultur wird sich radikal ändern in Unternehmen, Organisationen, ja, sicherlich auch in Behörden, wahrscheinlich an jedem Ort, an dem Menschen, Computer und Arbeit sich treffen. "Was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert", sagt Harald Schirmer, der beim Reifenhersteller und Automobilzulieferer Continental für die digitale Transformation verantwortlich ist. Anders ausgedrückt: Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit - im Sinne von: Er verschwindet. Das gilt für Unternehmen ebenso wie für Vorgesetzte oder Mitarbeiter.

Digitalisierung macht Vorgänge transparenter und demokratischer, weil sich Rundmails und Netzwerke qua definitionem an alle richten und nicht nur an Vorgesetzte, schon weil heute und künftig alles so viel schneller entschieden werden und vonstattengehen muss. Aber Vorgänge werden dadurch auch komplexer. Um diese Komplexität zu bewältigen, müssen die Menschen autonomer arbeiten dürfen, das wiederum erfordert flache Hierarchien. Da es auch immer mehr in Firmen auf das Wissen der vielen ankommt, müssen Mitarbeiter an strategischen Entscheidungen beteiligt werden. Aber wer sowohl zufriedene Angestellte als auch wirtschaftliche Erfolge ernten will, teilt seine Macht sicherlich gerne.

Und ja, auch über ganz andere Aspekte muss nachgedacht werden, über Architektur etwa. Wer die Kollegen kaum noch persönlich sieht, weil sich so viel mehr virtuell abspielt, muss erst recht für Begegnungsstätten sorgen. Google etwa meidet Wolkenkratzer als Firmensitze, weil das Vertikale die Kommunikation hemmt. Wer das Stockwerk nicht wechseln muss, läuft sich öfter über den Weg, trifft sich immer wieder zu zufälligen Schwätzchen an Kaffeeautomaten oder in der Lounge - ideale Situationen zum Verbreiten von Ideen.

Die Personalabteilung

Sie müssen sich künftig sowohl überlegen, wie sie neue Mitarbeiter bekommen, als auch, wie sie die alten halten. Denn es wachsen nicht nur die Ansprüche des Unternehmens an die Mitarbeiter, sondern die wollen sich den Einsatz, der von ihnen erwartet wird, auch versüßen lassen.

Das verstehen inzwischen einige Arbeitgeber: Der Berliner Elektronik-Dienstleister Alphaboard etwa lässt seine Angestellten freitags Überstunden abbummeln, jeden zweiten Freitag im Monat ist zusätzlich "slack time" angesagt: Man kann nach Laune an sich und seinen Fähigkeiten arbeiten. Für Personaler heißt das, erfinderisch zu sein. Der amerikanische Online-Modehändler Zappos zum Beispiel bietet nach der Probezeit Mitarbeitern 4000 Dollar, wenn sie das Unternehmen wieder verlassen. Folge: Nur die wirklich Überzeugten bleiben. Facebook stellt begabte Mitarbeiter auf Vorrat ein. Irgendwann werden sie schon benötigt, und dann hat man jemanden und muss nicht mühsam nach Experten suchen.

Die Gewerkschaften

Hier stellen sich die meisten Fragen, denn das Arbeitsrecht ist noch immer in analogen Zeiten festgeklemmt. In Deutschland gibt es - von Gewerkschaften über Jahrzehnte erkämpfte - Höchstarbeits- und Ruhezeiten. Doch wer kontrolliert die, wenn Mitarbeiter immer autonomer, immer flexibler, vor allem immer abwesender ihre Dienste schieben? Und was ist mit den Projektteams, wie wird da die Einzelleistung bemessen?

Und dann gibt es ja auch noch solche, die vor 1980 geboren sind, die lebenslange Arbeitsverträge haben und denen all der technologische Wirbelwind Unbehagen bis Angst macht. Wie lassen sich Arbeitnehmer, die noch nicht mal ihre Lebensmitte erreicht haben, die aber mit so viel Wandel nicht mithalten können und wollen, einbinden? Von Arbeitnehmervertretern hört man zu solchen Fragen bisher erstaunlich wenig. Vielleicht ein Grund, warum sie rapide Mitglieder verlieren.

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