Arbeitsrhythmus:So tickt Ihre innere Uhr

Stellwerk am Münchner Hauptbahnhof, 2010

Stellwerk am Münchner Hauptbahnhof: Ähnlich viele Regler gibt es, die den Biorhythmus anpassen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Ein Chronobiologe erklärt, was sozialer Jetlag ist und wie Arbeitnehmer selbst an ihrem Biorhythmus drehen können.

Interview von Bianca Bär

SZ: Manche Menschen kommen bei der Arbeit erst auf Touren, wenn andere schon Feierabend machen. Warum?

Till Roenneberg: Wir haben eine Biologie in uns, die bestimmt, welche Dinge wir zu welcher Tageszeit machen möchten, sei es essen, schlafen oder arbeiten. Dieser Mechanismus ist bei jeder Person unterschiedlich in den Licht-Dunkel-Wechsel eingebettet. Also nicht die äußere Tageszeit bestimmt, wann ich am besten schlafen kann, sondern die innere Uhr.

Welche Faktoren beeinflussen, auf welche Zeit meine innere Uhr gestellt ist?

Eigentlich richtet sich die innere Uhr nur nach dem Wechsel von Licht und Dunkel. Wenn es hell ist, nimmt sie an, es ist Tag. Sie signalisiert uns, dass wir wach sein müssen. Dunkelheit hält sie für ein Zeichen, dass es Nacht und damit Schlafenszeit ist. Mittlerweile erhält die innere Uhr aber widersprüchliche Signale, denn wir sind tagsüber kaum mehr draußen, sondern zum Beispiel im Büro, wo fast tausend Mal weniger Licht ist als draußen.

Arbeitsrhythmus: Professor Till Roenneberg, 65, ist Chronobiologe an der LMU München. Er erforscht den Einfluss des Lichts auf den Tagesrhythmus des Menschen.

Professor Till Roenneberg, 65, ist Chronobiologe an der LMU München. Er erforscht den Einfluss des Lichts auf den Tagesrhythmus des Menschen.

(Foto: oh)

Wenn die Sonne untergeht, machen wir das Licht an, sitzen also auch nicht im Dunkeln. Das heißt, der Unterschied zwischen Tag und Nacht ist winzig geworden, was die Lichtversorgung betrifft. Deshalb rutschen alle Uhren nach hinten.

Würden wir eine Zeit lang ohne künstliche Lichtquellen im Freien zelten, würden sich unsere inneren Uhren wieder an den äußeren Tag-Nacht-Rhythmus angleichen. Diesen ursprünglich normalen Schlafrhythmus haben heute die wenigsten Menschen, dennoch müssen die meisten am frühen Morgen zur Arbeit.

Wir arbeiten also oft jahrelang entgegen unserer inneren Uhr.

Ja, es entsteht ein sogenannter sozialer Jetlag. Das ist der Unterschied zwischen den Schlafzeiten an Arbeitstagen und denen am Wochenende. Je größer der soziale Jetlag, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man ein metabolisches Problem bekommt, also zu dick wird. Als Folge davon hat man kardiovaskuläre Probleme, das Diabetesrisiko wächst, außerdem die Wahrscheinlichkeit, dass man raucht und Alkohol trinkt. Und natürlich steigt der Koffeinkonsum.

Sollten wir dann nicht die Arbeitszeiten dem inneren Rhythmus anpassen?

Doch. Es ist nicht Faulheit, wenn jemand sagt: Ich würde gerne ab zehn Uhr meine acht Stunden arbeiten und nicht schon ab acht. Im Gegenteil, dieser Mensch möchte gut ausgeschlafen sein Bestes geben, und zwar zu seiner besten inneren Zeit. Arbeitszeiten sollte man flexibel gestalten. Es macht keinen Sinn, wenn wir jedem dieselbe Schuhgröße verschreiben.

Abends schön dunkel und morgens so viel Licht wie möglich tanken

Gibt es schon Arbeitgeber, bei denen diese Botschaft angekommen ist?

Ja, bei den Schichtarbeitern bei ThyssenKrupp hat mein Forscherteam die Belegschaft einer ganzen Halle neu eingeteilt, sodass Spätaufsteher keine Frühschichten mehr machen mussten und die Frühaufsteher keine Nachtschichten. Das Ergebnis: Die Mitarbeiter schliefen unter der Woche pro Tag bis zu eine Stunde länger und an Wochenenden deutlich weniger, weil sie weniger aufholen mussten.

Kann ich auch selbst an meiner inneren Uhr drehen?

Sie können es ausnützen, dass das Licht am Morgen die innere Uhr vorstellt und am Abend nachstellt. Da die meisten von uns eh zu spät dran sind, sollten wir Licht am Abend vermeiden - am besten würde man die Zeit nach Sonnenuntergang in einem dunklen Raum verbringen.

Klingt wenig verlockend.

Stimmt. Aber wir sollten dafür sorgen, dass alle Lampen und Leuchten in unserer Wohnung nach Sonnenuntergang keine Blaulichtanteile mehr haben, sondern warmes Licht aussenden. Es gibt etwa ein kostenloses Programm namens Flux für Computer, Handys und Pads. Es bewirkt, dass der Bildschirm sepiaartig aussieht. Wir können damit trotzdem arbeiten und spielen, aber wir sagen unserer inneren Uhr nicht mehr bis tief in die Nacht: Es ist mitten am Tag.

Außerdem sollten wir am Vormittag so viel Licht tanken wie möglich. Und nicht mit dem Auto, sondern mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren oder zu Fuß gehen. Denn sobald wir ein Dach über dem Kopf haben, kriegen wir nicht mehr genug Licht ab. Draußen haben wir auch bei schlechtem Wetter 10 000 bis 15 000 Lux, an schönen Tagen mehr als 100 000 Lux. Drinnen kriegen wir, wenn wir Glück haben, 400 Lux ab, meistens weniger.

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