Arbeitsrecht 2004:Der Schutz vor willkürlichen Entlassungen bleibt

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Für Betriebe mit weniger als 10,5 Beschäftigten gilt das Kündigungsschutzgesetz nicht mehr.

Von Rolf Winkel

Beim Arbeitsrecht gibt es seit dem 1. Januar 2004 eine Reihe von Änderungen. Wichtig vor allem: Rund fünf Millionen Arbeitnehmer werden künftig nicht unter dem Schutz des Kündigungsschutzgesetzes stehen.

Für wen gilt künftig das Kündigungsschutzgesetz?

Das Gesetz gilt seit dem 1. Januar 2004 für Betriebe mit mehr als zehn (bis Ende 2003: fünf) vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern. Ob die Arbeitsverträge befristet oder unbefristet sind, spielt dabei keine Rolle. Teilzeitbeschäftigte werden allerdings nach den Regeln des Gesetzes auch nur teilweise mitgezählt. Wer nur bis zu 20 Stunden wöchentlich arbeitet, wird nur mit dem Wert 0,5 berücksichtigt, wer bis zu 30 Stunden tätig ist, mit dem Wert 0,75.

Beispiel: Ein Betrieb hat fünf Arbeitnehmer mit voller und zehn mit halber Stelle. Er kommt nach der Zählweise des Kündigungsschutzgesetzes insgesamt auf genau zehn Arbeitnehmer. Das ist nach den neuen Regelungen zu wenig. Damit stehen die Beschäftigten nicht unter dem Schutz des Gesetzes. Azubis zählen nach dem Gesetz übrigens nicht mit, der Chef ebenfalls nicht und auch nicht seine ohne "normalen" Arbeitsvertrag mitarbeitende Ehefrau wird nicht als Arbeitnehmerin erfasst.

Hat die Gesetzesänderung auch Folgen für bestehende Arbeitsverhältnisse?

Nein. Beschäftigungsverhältnisse, die bereits 2003 oder früher begründet wurden, sind von der Neuregelung nicht betroffen. Hier bleibt alles beim Alten. Im gleichen Betrieb kann es deshalb künftig zwei Klassen von Beschäftigten geben. Beispiel: Eine Schreinerei hatte Ende 2003 lediglich sechs (Vollzeit-)Beschäftigte. Für diese gilt auch künftig das Kündigungsschutzgesetz. Für die nächsten vier Vollzeitbeschäftigten (oder acht Beschäftigten mit halber Stelle), die der Betrieb einstellt, gilt das Gesetz jedoch nicht. Sobald die Schreinerei 10,5 oder mehr Beschäftigte hat, stehen alle (wieder) unter dem Schutz des Gesetzes.

Gilt das Kündigungsschutzgesetz vom ersten Arbeitstag an?

Egal wie viele Beschäftigte der Betrieb hat: Neu Eingestellte können sich erst dann auf das Kündigungsschutzgesetz berufen, wenn das Arbeitsverhältnis mindestens sechs Monate besteht. Daran hat sich nichts geändert.

Welche Vorteile haben Arbeitnehmer, wenn das Kündigungsschutzgesetz gilt?

Das Gesetz macht es Arbeitgebern etwas schwieriger, Arbeitnehmer zu entlassen. Wenn betriebliche Gründe - etwa ein deutlicher Auftragsrückgang - Entlassungen erforderlich machen, regelt es vor allem, dass eine Sozialauswahl stattfinden muss. Wer dem Betrieb erst kurze Zeit angehört, kann danach beispielsweise eher entlassen werden als altgediente Beschäftigte. Verstößt ein Unternehmen gegen diese Regel, kann der Arbeitnehmer mit guten Chancen eine Kündigungsschutzklage erheben. Dadurch wird zwar in der Regel nicht der Arbeitsplatz gesichert, aber der Betroffene kann meist wenigstens eine Abfindung erstreiten. Kündigungen können für Arbeitgeber somit "teuer" werden. Die Angst vor solchen Folgekosten soll Arbeitgeber wiederum von sozial ungerechtfertigten Kündigungen abhalten.

Kann in Kleinbetrieben mündlich gekündigt werden?

Nein, die Schriftform ist bei einer Kündigung immer vorgeschrieben, egal wie groß der Betrieb ist. Wenn der Chef mündlich kündigt, ist das Arbeitsverhältnis nicht beendet.

Können Arbeitnehmer in Kleinbetrieben jederzeit entlassen werden?

"Nein, auch in Betrieben, für die das Kündigungsschutzgesetz nicht gilt, herrschen keine Verhältnisse wie im Wilden Westen - oder sollen zumindest nicht herrschen", erläutert Rechtsanwalt Michael Felser aus dem rheinischen Brühl. Auch dort gelten Kündigungsfristen - und zwar die gleichen wie in größeren Betrieben. Wer einem Betrieb beispielsweise länger als zwölf Jahre angehört, kann nach dem Gesetz nur unter Einhaltung einer fünfmonatigen Kündigungsfrist entlassen werden. In Tarif- oder Arbeitsverträgen können allerdings auch andere Regelungen getroffen werden. Wichtig für Arbeitnehmer: Wird die Kündigungsfrist nicht eingehalten, so ist die Kündigung damit keineswegs unwirksam. Das Arbeitsverhältnis besteht vielmehr lediglich so lange fort, wie es bei Einhaltung der Kündigungsfrist bestanden hätte. Dazu muss allerdings Klage erhoben werden und zwar neuerdings auch in diesem Fall innerhalb von drei Wochen.

Ist auch in Kleinbetrieben bei Entlassungen eine "Sozialauswahl" vorgeschrieben"?

Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in seinem Beschluss vom 27. Januar 1998 einige Regeln aufgestellt: Danach hat der Arbeitgeber in einem Kleinbetrieb zwar ein (weitergehendes) Kündigungsrecht. Arbeitnehmer sind aber vor einer "sitten- oder treuwidrigen Ausübung dieses Rechts" geschützt. "Sie sind vor allem vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen geschützt", erklärt Rechtsanwalt Felser. "Das würde beispielsweise gelten, wenn ein Arbeitgeber seinen ältesten Gesellen entlässt, weil dieser bei einer Auseinandersetzung zwischen dem Chef und seiner Ehefrau Partei für die Letztere ergriffen hat." Eine solche Kündigung wäre willkürlich und unwirksam. Auch Diskriminierungen von Beschäftigten wegen ihrer Abstammung, ihres Geschlechts oder ihrer Religion darf es nicht geben. Das regelt schon das Grundgesetz.

Darüber hinaus kann auch von einem Kleinunternehmen ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme erwartet werden. Anwalt Felser: "Der altgediente Geselle kann kaum entlassen werden, während der frisch eingestellte Auszubildende bleibt - jedenfalls dann nicht, wenn beide etwa gleich qualifiziert sind."

Können Beschäftigte aus Kleinbetrieben gegen eine Kündigung klagen?

Das ist natürlich möglich. Die Betroffenen können beim Arbeitsgericht auf Unwirksamkeit der Kündigung klagen - und sie können hierbei unter Umständen auch gewerkschaftlichen Rechtsschutz erhalten. Die Chancen, die Klage zu gewinnen, sind allerdings nicht gut. Besser seien die Chancen, wenn es in dem Betrieb einen Betriebsobmann gibt - so nennt sich der Betriebsrat in einem Kleinbetrieb - und wenn dieser nicht oder nicht ordnungsgemäß zu der Kündigung gehört worden ist, erklärt Anwalt Felser. Egal ob das Kündigungsschutzgesetz gilt oder nicht: Bei der Klage muss eine Drei-Wochen-Frist eingehalten werden. Innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung muss die Klage spätestens beim Arbeitsgericht eingegangen sein.

Können Gekündigte aus Kleinbetrieben eine Abfindung erhalten?

Theoretisch ja. "Sie haben allerdings schlechte Karten", stellt Felser fest. Da der Unternehmer meist davon ausgehen könne, dass er bei einer möglichen Klage gewinnen wird, gibt es für ihn auch kaum einen Grund, um eine Abfindung zu zahlen.

© SZ vom 7.1.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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