Arbeitsmarkt für Germanisten:Geläuterte Geister

Über Germanisten kursieren viele Klischees: Angeblich tragen sie Zeitungen aus - anstatt Artikel für sie zu schreiben. Also setzen Unis auf mehr Praxisbezug im Studium.

J. Osel

Zugegeben, der Witz ist denkbar schlecht, doch angeblich sollen selbst Betroffene zuweilen darüber lachen können. Was sagt ein Germanist zu seinem Professor, wenn er ihn zehn Jahre nach dem Abschluss wieder trifft? Antwort: "Wollen Sie Ketchup oder Majonäse auf Ihre Pommes?"

Arbeitsmarkt für Germanisten: Studium in der Bibliothek: Eine Studie des Hochschulinformationssystems (HIS) attestiert Germanisten Probleme beim Berufseinstieg.

Studium in der Bibliothek: Eine Studie des Hochschulinformationssystems (HIS) attestiert Germanisten Probleme beim Berufseinstieg.

(Foto: Foto: ap)

Wohl kaum eine Akademikergruppe ist so klischeebehaftet wie die der Germanisten; Absolventen arbeiteten in Imbissbuden, als Taxifahrer oder trügen Zeitungen aus - anstatt Artikel für sie zu schreiben. Aber stimmt das tatsächlich? Zumal doch die Hochschulen seit Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge mehr Wert auf den Praxisbezug legen.

Joachim Schultz betreut an der Universität Bayreuth den begleitenden Studiengang "Literaturwissenschaft berufsbezogen". Seit 1988 gibt es diese Qualifikation - also lange, bevor der Berufsbezug der Geisteswissenschaften so lebendig diskutiert wurde wie heute. "Ich versuche, Wege in den Literaturbetrieb zu ebnen", definiert Schultz seine Aufgabe.

Vorbehalte gegen Praxisnähe

Fünf Übungen, davon eine in Jura oder BWL, und ein Praktikum sind von den verbliebenen Magister-Studenten zu erbringen, mittlerweile ist die Qualifikation auch als "Modul" im Bachelor-Studium belegbar. Eine Schreibwerkstatt, Lektoratsübungen und Exkursionen sind im Angebot. Die Studenten dürfen Ausstellungen konzipieren - vom "Faust"- Stoff auf Plakaten bis zum Thema "Afrika in der Jugendbuchliteratur".

Schultz weiß, dass es "eine ganze Reihe von Kollegen" gibt, die Vorbehalte gegen Praxisnähe haben - aus Angst um das Niveau der Fachwissenschaft. Aber: Es sei enorm wichtig zu wissen, wo und wie man in den Beruf einsteigen könne. Gelegentlich beschäftigt er auch Ehemalige als Dozenten für Übungen.

Nicht nur in Bayreuth werden Germanisten praktisch auf den Beruf vorbereitet. In Bamberg läuft gerade das Modell "Diplom-Germanist" aus. Neben den Fachdisziplinen ist ein praktischer Schwerpunkt zu wählen: Literaturvermittlung, Journalistik oder Deutsch als Fremdsprache. Eine Professur für Literaturvermittlung bietet nun auch Bachelor-Germanisten Praxiseinblicke.

Mehr Praxisbezug

Ein Auszug aus dem Lehrverzeichnis des Sommersemesters: Verlags- und Urheberrecht, Kulturmanagement, Lektorat im Publikumsverlag und Regiearbeit am Theater. Bayreuth und Bamberg sind Vorreiter, doch auf mehr Praxisbezug setzen mittlerweile viele Hochschulen. Doch bringt das überhaupt etwas?

Eine Studie des Hochschulinformationssystems (HIS) attestiert Germanisten Probleme beim Berufseinstieg: Oft müssen sie sich mit Übergangsjobs, Werks- und Honorarverträgen oder fachfremden Tätigkeiten zufriedengeben. Die Wissenschaftler sprechen aber auch von einer Polarisierung: Neben den Absolventen, für die der Berufseinstieg schwierig ist, gelingt es etwa einem Drittel schon nach kurzer Zeit, eine passende Stelle zu finden. "Befragte mit einem abgeschlossenen Germanistikstudium", heißt es, "benötigen in überdurchschnittlichem Maße Präsentationsfähigkeiten, während Fachwissen eine geringere Bedeutung als im Mittel der geisteswissenschaftlichen Fächer hat."

Auf der nächsten Seite: Welche Rolle spielt die Eigeninitiative - und verkommt das Fachwissen zur Nebensache?

Bachelor und Master für Germanisten

Pressearbeit im Kernkraftwerk

Wird das Fachwissen so zur Nebensache? Ramona Böhm, 21, studiert in Bayreuth Germanistik - "aus Leidenschaft", sagt sie - und im Nebenfach Jura. Mit Kolleginnen arbeitet sie derzeit an einem Kinderkrimi-Projekt. Durch Interviews mit Autoren wollen sie feststellen, wie Krimis entstehen, welche Konzepte und Rezepte es gibt und welche Verlagsvorgaben. Böhm rechnet mit guten Berufsaussichten, doch dass alleine die Praxis an der Uni ausreicht, bezweifelt sie: Zwischen Bachelor und Master will sie Praktika machen; bei einer Zeitung, bevorzugt im Kulturjournalismus, sowie in einem Lektorat.

Auch ihre Kommilitonin Marita Klamt, 26, meint, dass Eigeninitiative entscheidend ist. Ein Bekannter beispielsweise sei über ein Praktikum an eine feste Stelle gekommen - und erledigt jetzt, fernab der schönen Künste, die Pressearbeit in einem Kernkraftwerk.

"Es kommt hauptsächlich auf die persönlichen Fähigkeiten an", sagt Monika Kolb-Kausch. Sie ist Bildungsdirektorin beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels und kennt die Anforderungen der Branche. Gute Germanisten brächten Sprach- und Medienkompetenz mit, sagt sie, sie könnten Texte verstehen, be- und verwerten. "Wer weiß, was er will, schafft den Berufseinstieg", davon ist Kolb-Kausch überzeugt.

Den Einstieg früh steuern

Meist mangele es Germanisten aber an kaufmännischer Kompetenz. Daher haben die Schulen des Börsenvereins ein Einsteigerprogramm entwickelt, für das es ein Zertifikat der Industrie- und Handelskammer gibt. Bei einem 15-tägigen Crash-Kurs sollen die Teilnehmer Einblick in die Bereiche Verlagsmanagement, Marketing und Vertrieb erhalten. Kolb-Kauschs Tipp für Studenten: Den Einstieg früh steuern, Praktika, vielleicht ein passender Nebenjob und Branchenplätze wie Buchmessen erkunden.

Ähnliches gilt für Stellen in der Öffentlichkeitsarbeit: "Ich kenne keinen literaturwissenschaftlichen Studiengang mit so starkem Praxisbezug, dass die Qualifikation für einen Direkteinstieg in die PR ausreicht", sagt Ulrich Nies, Präsident der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) und Kommunikationschef eines großen Chemiekonzerns. Ein Volontariat, ein Lehrgang oder ein Trainee-Programm seien meist nötig - nicht nur für Germanisten, auch für andere Absolventen. Es gehe darum, Inhalte schnell verstehen, reduzieren und vermitteln zu können, und auch um Teamfähigkeit und Kreativität.

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