Arbeitsmarkt:Die magische Grenze

Bis 67 sollen die Deutschen bald arbeiten. Doch in manchen Berufen haben schon 40-Jährige keine Chancen mehr. Sie sind den Arbeitgebern zu alt.

Nicola Holzapfel

Seit 20 Monaten ist Irmgard Schwarz ohne Job. Sie hat sich immer wieder beworben, sie hat sich hin und wieder vorgestellt, aber wirkliches Interesse hat kein Arbeitgeber in dieser langen Zeit an ihr gezeigt. "Das hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich so etwas einmal durchmachen muss", sagt Schwarz. Ihr Lebenslauf ist voller Pluspunkte: gute Ausbildung, gute Arbeitgeber, neue Qualifikationen, langjährige Erfahrung. Aber jede ihrer Bewerbungen erhält eine Zahl, an der sie nichts ändern kann. Irmgard Schwarz ist 53.

Arbeitsagentur, Besucher

Schwerer Gang: Viele Arbeitslose fühlen sich allein gelassen und von der Arbeitsagentur nur gefordert, aber nie gefördert.

(Foto: Foto: dpa)

"50 ist über alle Branchen eine magische Grenze. Danach teilt sich die Arbeitswelt in zwei Hälften - in die, die drin sind und in die, die draußen sind. Wer draußen ist, findet nicht mehr den Weg zurück", sagt Andreas Reichert vom Institut für Gerontologie an der Universität Dortmund. Je nach Branche beginnt die Ausgrenzung früher. Im IT-Bereich tun sich auch 40-Jährige mitunter schwer, einen neuen Job zu finden. "Die Branche begreift sich noch immer als jung", sagt Reichert.

Das Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen hat vergangenes Jahr die Einstellung von Unternehmen gegenüber Bewerbern über 50 untersucht. Jedes zweite würde sie gar nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen einstellen. 15 Prozent der Arbeitgeber sind grundsätzlich nicht bereit, älteren Kandidaten einen Job anzubieten. 31 Prozent der Firmen würden es nur dann in Erwägung ziehen, wenn es dafür staatliche Beihilfen gibt oder keine jüngeren Konkurrenten zur Wahl stehen.

Irmgard Schwarz, die in Wirklichkeit einen anderen Namen hat, wurde nie ins Gesicht gesagt, dass sie zu alt ist. Aber die Diskriminierung beginnt schon bei den Stellenanzeigen. "Wenn jemand für ein junges Team gesucht wird oder jemand mit drei Jahren Berufserfahrung, ist doch niemand mit 50 gemeint", sagt Schwarz.

Es gibt Kampagnen und Initiativen, die versuchen die Vorbehalte der Arbeitgeber gegenüber Älteren abzubauen. Es gibt auch Ausnahmen, Unternehmen, die gezielt Bewerber mit langjähriger Berufserfahrung ansprechen. Das ist öffentlichkeitswirksam und bedeutet für einige Wenige die Chance auf einen neuen Job. Doch der Mehrheit der Betroffen helfen diese Einzelfälle nicht weiter.

Andreas Reichert weiß, wie schwierig es ist, bei den Betrieben einen Bewussteinswandel zu erreichen. Der Wissenschaftler hat an der "Offensive für Ältere" mitgearbeitet, die Arbeitslose wieder in Lohn und Brot bringen sollte. "Es stimmt nicht, dass Ältere per se weniger leistungsfähig und zu teuer sind. Sie haben Potenzial. Sie sind oftmals loyaler, flexibler und haben aus jahrzehntelanger Erwerbstätigkeit und praktischer Lebenserfahrung wertvolle Fähigkeiten", sagt Reichert. Er kam gar nicht so weit, das auch den Personalchefs zu erklären. Denn seine Einladungen zu entsprechenden Informationsveranstaltungen wurden gar nicht erst wahrgenommen. "Die Firmen machen sich zurzeit über alles andere Gedanken, aber nicht darüber, Ältere einzustellen", sagt Reichert. "Dabei wird genau das in einigen Jahren auf sie zukommen, weil dann die Jungen fehlen werden."

Im Rahmen des Projekts wurde versucht, die Teilnehmer über Weiterbildungen und Betriebspraktika an den Arbeitgeber zu bringen. Für Reichert sind bedarfsgerechte Qualifizierungen der Weg aus der Arbeitslosigkeit: "Die Vermittler in den Arbeitsagenturen müssten sich mit den Firmen zusammensetzen und Arbeitslose dann gezielt für die betrieblichen Erfordernisse schulen."

Wer ältere Mitarbeiter einstellt, kann auch heute mit der Unterstützung der Behörde rechnen. So gibt es etwa Einkommensbeihilfen und die Möglichkeit, den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung zu erlassen. "Diese Instrumente haben die richtige Zielrichtung. Aber vor allem muss die Frühverrentung auf Kosten der sozialen Sicherungssysteme aufhören", sagt Reichert. Die Fördermöglichkeiten werden kaum benutzt. Wie eine Umfrage des Instituts für Arbeit und Technik zeigt, sind sie selbst manchen Vermittlern in den Arbeitsagenturen nicht bekannt.

Die magische Grenze

"An den Arbeitsagenturen hängt leider sehr viel. Ältere müssten viel besser betreut werden. Man müsste ihnen Hoffnungen machen anstatt sie zu demotivieren", sagt Reichert. Irmgard Schwarz fühlte sich in den vergangenen 20 Monaten nicht betreut. Es hat ihr auch keiner Hoffnungen gemacht. "Die haben sich nie gekümmert", sagt sie über ihre Erfahrungen mit der Arbeitsagentur. Als sie selbst um einen Termin bat, gab man ihr die falsche Zimmernummer. Es war die der Toilette. So etwas mag ein Missgeschick sein, ein Fehler, wie er jedem mal passieren kann, aber für einen Arbeitslosen passt er ins Bild. "Man wird völlig allein gelassen und hört immer nur das Negative", sagt Schwarz. In den 20 Monaten ihrer Arbeitslosigkeit gab es für sie keine Weiterbildung, kein Jobangebot, keine Hilfe bei den Bewerbungen.

Dabei sind gerade ältere Arbeitslose auf Unterstützung angewiesen. Viele fühlen sich unsicher, mit welcher Strategie ihre Jobsuche Erfolg haben könnte. "Bei einer schriftlichen Bewerbung fliegt man mit seiner Altersangabe schnell aus dem Rennen", sagt Andreas Reichert. Er empfiehlt daher, nicht nur auf Stellenanzeigen zu antworten, sondern auch den direkten Kontakt zu Unternehmen zu suchen. Chancen sieht er eher bei kleinen und mittelständischen Betrieben. "Ältere müssen sich über ihre Qualifikationen und Neigungen klar sein. Sie müssen wissen, was der Markt sucht und das anbieten."

Bei der Initiative, die er wissenschaftlich begleitet hat, ist es einem Drittel der Teilnehmer über Betriebspraktika gelungen, Arbeit zu finden. Allerdings haben nicht alle einen sozialversicherungspflichtigen festen Job ergattert. Einige arbeiten auf 400-Euro-Basis oder auf befristeten Stellen. "Ältere müssen sich von der Vorstellung verabschieden, im gleichen Beruf und auf der gleichen Hierarchiestufe wieder einzusteigen. Sie müssen damit rechnen, dass ihnen nur unsichere Jobs bleiben. Die Vorstellung, bis zur Rente in einem festen Beschäftigungsverhältnis zu arbeiten, ist Geschichte. Das gibt es nur noch für wenige", sagt Reichert.

Irmgard Schwarz will keinen Mini- oder Aushilfsjob. Über das Szenario des Wissenschaftlers schüttelt sie den Kopf: "Es kann doch nicht die Lösung sein, alle über 50 zu verheizen, weil sie als vollwertige Mitarbeiter angeblich nicht mehr zu gebrauchen sind. Davon kann doch keiner leben. Und dann gibt es auf der anderen Seite die Rente mit 67. Das passt doch alles nicht zusammen."

Sie hat sich für einen anderen Weg entschieden. Sie macht sich selbstständig. Nun bietet sie das, was sie kann, als Dienstleistung an. Sie macht Marketing, hilft bei der Messeorganisation oder übernimmt auch Schreibdienste. Sie ist zuversichtlich, dass es klappen könnte. Trotzdem will sie weiter nach einer Festanstellung suchen. "Natürlich hoffe ich, dass ich mit meiner Leistung überzeugen kann und irgendwann einer sagt: 'Bleiben Sie doch.'" Aber jetzt ist sie erst einmal froh, wieder zu arbeiten: "Es wurde auch Zeit, dass ich wieder in Fahrt komme."

Mindestens zwölf Jahre Arbeitsleben hat Irmgard Schwarz noch vor sich. Doch der Gedanke an die Zeit danach, beunruhigt sie schon heute: "Meine Rente ist nachhaltig versaut. Ich habe schon viele Jahre eingezahlt. Aber dabei bleibt es jetzt." Sicher könnte sie auch als Selbstständige für später vorsorgen. Aber das Geld dafür muss sie erst einmal verdienen.

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