Arbeitsmarkt:Der schwere Weg zurück

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Langsam wächst die Einsicht, dass es für viele Langzeit-Arbeitslose keine Jobs gibt, nun sollen sie gemeinnützig arbeiten - auch um sich für bessere Zeiten fit zu halten.

Arne Boecker

Das Reitbahn-Viertel in Neubrandenburg kennt nicht viele schöne Ecken. Wohnsilos aus Waschbeton prägen den Stadtteil. Neben einem pinkfarbenen Schuppen, der gleichzeitig "Spielhalle" und "Videoparadies" zu sein verspricht, dämmert ein Schnäppchenmarkt vor sich hin.

Das wiedervereinigte Deutschland benötigt weniger Arbeitsplätze. (Foto: Foto: dpa)

Er trägt einen Namen, wie er nicht weniger hierher passen könnte: "Miami". Die Agentur für Arbeit erreicht man über die Straße "An der Hürde". Am Eingang des Betonklotzes liegen Flyer der Suchtberatung. Deren Veranstaltungen heißen "Die Jagd nach dem Spiel-Glück" oder "Zwischen Leber und Milz passt immer noch ein Pils".

Ein Zettelchen am Schwarzen Brett verspricht, dass Gott alle Probleme löst, daneben steht: "Maurer sucht Arbeit, Tel.: 0174/..."

In Deutschland gibt es fast eine halbe Million Langzeit-Arbeitslose. Am stärksten von Langzeit-Arbeitslosigkeit geplagt ist Ostdeutschland, hier wiederum Mecklenburg-Vorpommern, hier wiederum die Region um Neubrandenburg.

Wenn Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) im Herbst sein Konzept zur Optimierung der Hartz-Gesetze vorstellt, dürfte darin ein Kapitel zu finden sein, das sich speziell den Langzeit-Arbeitslosen widmet. Wie aus Berlin zu hören ist, könnte Münteferings Konzept eine Fehleinschätzung korrigieren, der Arbeitsmarktexperten lange aufgesessen sind: Dass man nur genug Geld und Grips investieren muss, um Langzeit-Arbeitslose wieder in dauerhafte Beschäftigung zu bringen.

Neubrandenburg, in der Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung (Arge): "Eigene Bemühungen sind vorhanden", sagt Jochen Herrmann (Name von der Redaktion geändert) und zählt auf: "Ich gehe regelmäßig bei Schlossereien vorbei und frage nach Arbeit, außerdem fahre ich an einem Tag pro Woche den Blitz aus."

Der Blitz ist eines der Anzeigenblätter, die in Neubrandenburg verteilt werden. Sein Chef habe ihm sogar Hoffnung auf eine Festanstellung gemacht, sagt Herrmann und will weiterreden, kommt aber nicht dazu. "Sie wissen, dass er für Ihre Anstellung Fördermittel bekommen kann?", fällt ihm Kathrin Mellin ins Wort."

Soll ich unseren Arbeitgeber-Service losschicken, damit er mal mit Ihrem Chef spricht?" Arbeitsvermittlerin Kathrin Mellin sitzt in einem der Büros der Arge, die gemeinsam von der Agentur für Arbeit und der Stadt Neubrandenburg betrieben wird.

Jochen Herrmann ist 49 Jahre alt und gelernter Bauschlosser. Vermittlerin Mellin kann mit einem schnellen Blick in ihren Computer erkennen, dass er 1993 bereits eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme durchlaufen und 1996 eine Ausbildung zum Schweißwerker abgebrochen hat. Seitdem ist Herrmann arbeitslos.

Wenn die Arbeit dem Tag kein Gerüst mehr gibt, greifen viele zur Flasche, vernachlässigen die Körperpflege, verlieren unter Umständen Wohnung und Auto. Welcher Arbeitgeber im Osten soll sie nehmen, wenn er es sich angesichts des Angebots leisten kann, die Allerbesten auszuwählen?

Wenn die Arbeitsvermittlerin Mellin ein derartiges Hemmnis erkennt, schickt sie ihren Kunden nach nebenan, ins Zimmer der Fallmanagerin Tina Schreiber. Derzeit versucht sie 61 Frauen und Männer "zu stabilisieren", wie sie sagt. Die meisten haben weder Schul- noch Berufsabschluss, viele sind Alkoholiker, oft geht die Motivation gegen Null.

Arbeit schaffen - auch jenseits des ersten Arbeitsmarktes. (Foto: Foto: dpa)

"Vor allem frühere Sozialhilfeempfänger können schwierige Fälle sein", sagt Schreiber. "Jahrelang sind sie schlicht und einfach nur verwaltet worden, haben ihr Geld und ihre Zuschüsse bekommen, ohne dass sie jemand groß gefordert hat." Viele verstünden nicht, warum sie jetzt, in Zeiten von Hartz, partout wieder arbeiten sollen, sagt sie: "Sie wollen schlicht zurück zum Sozialamt, weil sie da ihre Ruhe haben."

In Mecklenburg-Vorpommern - wie überhaupt in Ostdeutschland - zählten im vergangenen Jahr 43 Prozent der Arbeitslosen zu den Langzeit-Arbeitslosen. Zum Vergleich: In Westdeutschland liefen nur 35 Prozent unter "Langzeit". Einer der Gründe für den Ost-West-Unterschied: Das wiedervereinigte Deutschland benötigt weitaus weniger Arbeitskräfte, als sie die DDR in Großküchen oder Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften versorgt hat.

Wer lange arbeitslos bleibt, findet schwer ins Berufsleben zurück. Die meisten Langzeit-Arbeitslosen haben unter "Vermittlungshemmnissen" zu leiden. Das schlimmste Hemmnis heißt: Alkoholsucht.

Manche täuschen geistige Verwirrung vor, manche bedrohen Arbeitsvermittler und Fallmanager. Schreiber muss aber natürlich auch mit denen umgehen, die sich kaum etwas sehnlicher wünschen als eine halbwegs vernünftige Arbeit. Langjährige Arbeitslosigkeit hat ihnen jegliches Selbstwertgefühl geraubt. Oft gleiten sie in Depressionen ab.

Schwerin, im JobCenter 50+: Hier ist Britta Becker auch eine von denen, die Menschen aus ihrer Hoffnungslosigkeit reißen sollen. "Aktivieren", heißt der Fachausdruck. In dem Center begleiten acht Mitarbeiter Langzeit-Arbeitslose, die Idee kommt aus dem Bundesarbeitsministerium.

"Wir wollen die Stärken der Arbeitslosen erkennen und ausbauen", sagt Becker. Hier können sie zum Beispiel lernen, sicher aufzutreten und verständlich zu kommunizieren. Auch am Computer werden die Kunden geschult. "Schließlich", sagt Becker, "sehen Bewerbungen heute anders aus als vor zehn Jahren."

Das Schweriner JobCenter 50+ begleitet seit Ende 2005 etwa 250 Arbeitslose. Die Finanzierung ist bis Ende dieses Jahres gesichert, dann soll über eine Weiterführung entschieden werden. Becker kann durchaus erfreuliche Zahlen vorlegen. 24 Arbeitslose aus der Gruppe 50+ ergatterten Vollzeit- und vier Teilzeit-Stellen. 35 weitere vermittelte das Center in Jobs, die bis zu 400 Euro im Monat einbringen.

Schwerin, im Arbeitsministerium: Annegret Steinhäuser arbeitet schon seit 13 Jahren im Arbeitsministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Sie hat verfolgt, wie in den neunziger Jahren "Arbeitslose zu Zehntausenden in Maßnahmen geparkt wurden", die ABM hießen (für: Arbeitsbeschaffungsmaßnahme) oder SAM (für: Strukturanpassungsmaßnahme).

"Das war damals sicher sinnvoll, weil es immer noch die Hoffnung gab, dass bald der Aufschwung kommt und jede Menge Arbeitsplätze entstehen lässt", sagt Steinhäuser. Doch im Arbeitsministerium hat man schon früh erkannt, dass dieser Mechanismus in Mecklenburg-Vorpommern kaum greift.

Großkonzerne meiden das strukturschwache Land an Deutschlands Rand, zudem frisst die Rationalisierung Arbeitsplätze.

Arbeitsminister Helmut Holter propagiert seit langem einen Ausweg, den er "Öffentlicher Beschäftigungs-Sektor" (ÖBS) getauft hat. Das meint vom Staat finanzierte Jobs. Er zielt dabei unter anderem auf die gut ausgebildeten Facharbeiter unter den Langzeit-Arbeitslosen, die nicht durch "Vermittlungshemmnisse" vom Markt ferngehalten werden, sondern weil es schlicht keine Jobs für sie gibt.

"Wir wollen aber nicht so etwas wie eine Edel-ABM auflegen", sagt Steinhäuser. Es müsse klar sein, dass die geleistete Arbeit dem Gemeinwohl diene. Die Instrumente ABM und SAM hatten immer unter dem Verdacht gestanden, Arbeitslose einfach aus der Statistik zu drücken, ohne sinnvolle Tätigkeiten anzubieten.

Im Arbeitsministerium denkt man so: Auf der einen Seite gibt es immer mehr ältere Menschen, auf der anderen Seite stehen viele, viele Arbeitslose. Warum sollen Letztere den Ersteren nicht beim Einkaufen helfen? "Derartige Arbeitsverhältnisse sollten nicht die - in den nächsten Jahren unrealistische - Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zum Ziel haben, sondern ganz im Sinne eines ehrlichen zweiten Arbeitsmarktes Fachkräfte gemeinnützig arbeiten lassen", sagt Steinhäuser.

Im Gegensatz zu Ein-Euro-Jobs sollen sie aber als dauerhafte, sozialversicherungspflichtige Jobs angelegt werden. Der demografischen Entwicklung geschuldet, wird der Druck auf den Arbeitsmarkt von 2009 an abnehmen. Die Arbeitskräfte, die im ÖBS überwintert haben, müssten dann eben nicht wieder aufwändig "aktiviert" werden.

"Für Ordnungspolitiker ist ein öffentlicher Beschäftigungs-Sektor natürlich pure Sünde", räumt Arbeitsminister Holter ein. So hält Jürgen Seidel, der für die CDU in zwei Wochen bei den Landtagswahlen gern Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern werden möchte, denn auch nichts von dem Holter-Modell.

Er propagiert "Unterstützungssysteme, die den Menschen den Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen". Seidel spricht sich für den Kombilohn aus. Der gebe "auch jenen Chancen, die bislang als chancenlos galten".

In der jüngsten Vergangenheit mehren sich jedoch die Anzeichen, dass nach neuen Instrumenten gesucht wird, um die "zunehmende Verfestigung der Arbeitslosigkeit" (Holter) aufzubrechen. Im Dezember erhob Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA), auf einer Konferenz in Schwerin die Forderung: "Wir müssen denen, die arbeiten wollen, die Möglichkeit dazu einräumen - wenn es sein muss auch jenseits des ersten Arbeitsmarktes."

Auch Jürgen Goecke, Chef der unter anderem für Mecklenburg-Vorpommern zuständigen BA-Regionaldirektion Nord, bewertet es positiv, " wenn die Politik einen öffentlichen Beschäftigungssektor für Arbeitslose einrichtet, die aufgrund ihrer persönlichen Situation keine Arbeit finden". Derartige Überlegungen werden derzeit innerhalb der Verwaltung in allen möglichen Arbeitsgruppen hin- und hergewendet.

Auch der Ombudsrat zu Hartz IV, den Sachsens früherer Ministerpräsident Kurt Biedenkopf leitete, hat in seinem Abschlussbericht geschrieben: Es bedürfe "neuer gesellschaftlicher Übereinkünfte", was "Qualität, Art und Umfang öffentlich geförderter Beschäftigung" angehe. Dass die Wohlfahrtsverbände derartigen Modellen viel abgewinnen können, versteht sich von selbst.

Es grummelt bei den Arbeitsmarktexperten

Es grummelt also unter den Arbeitsmarktexperten. Das Problem für die Bundespolitiker: Wenn sie tatsächlich ein ÖBS-ähnliches Konstrukt auflegen, gestehen sie damit ein, dass sich ein Gutteil der Langzeit-Arbeitslosen so weit vom Markt entfernt hat, dass er von ihm nicht wieder aufgesogen werden kann. Nicht mit Geld und nicht mit guten Worten.

© SZ vom 26.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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