Arbeitslosigkeit:"Das gibt es doch gar nicht, dass du nichts findest"

Die einen freuen sich über einen "Aufschwung XL", die anderen verzweifeln daran. Wer jetzt arbeitslos ist, fühlt sich erst recht schuldig.

Nicola Holzapfel

Es spielt keine Rolle, ob die Frau Andrea Peter oder Sandra Mayer heißt. Sie will ihren Namen sowieso nicht in der Zeitung lesen. Was eine Rolle spielt, ist: Sie verlässt das Haus, in dem sie wohnt, nur noch über die Tiefgarage. Niemand soll Verdacht schöpfen, warum sie plötzlich tagsüber Zeit hat. Niemand soll merken, dass sie arbeitslos ist.

Ein Job fuer einen Tag

Tagelöhner und Kurzzeit-Jobber verfehlen vollen ALG-I-Anspruch.

(Foto: dapd)

Mike Gallen kennt sie und viele andere, die keinen Job haben. Er ist Arbeitslosenseelsorger. 3,2 Millionen Menschen sind in Deutschland zurzeit arbeitslos, trotz der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. 800.000 Menschen haben sich im August erstmals bei den Agenturen gemeldet. "Die Scham ist massiv", sagt er. "Arbeit hat in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert. Die Menschen definieren einander darüber. 'Was machst du?', heißt es doch sofort, sobald man sich kennenlernt."

Auch Melitta Sauer kennt diese Reaktion nur zu gut. Die Psychologin unterstützt ehrenamtlich die Selbsthilfeorganisation Netzwerk Erwerbssuchender Akademiker (nea e. V). "Die größte Schwierigkeit bei Arbeitslosigkeit ist es, seine Würde zu bewahren", sagt Sauer. Das gilt vor allem für jene, die bis zum Jobverlust mit den Anforderungen der Leistungsgesellschaft konform waren, die aus eigenem Antrieb gerne gearbeitet haben. "Scham und Selbstwertgefühl hängen sehr stark zusammen", sagt Gallen. "Oft kommt dazu eine spirituelle Krise: Wer bin ich, wenn ich mich nicht mehr darüber definieren kann, was ich gegen Geld mache?"

Mike Gallen bietet in der Pfarrei Sankt Rupert im Münchner Westend alle zwei Wochen ein Erwerbslosentreffen an. Die Teilnehmer sind aus ganz München, es ist das größte Treffen in Oberbayern. Es ist ein Ort, an dem eine andere Realität herrscht, als sie von Politikern und Ökonomen dieser Tage verkündet wird. Ein Wirtschaftswunder XL? Hier ist davon nichts zu spüren.

Die meisten, die hierher kommen, sind schon lange ohne Job. Am Anfang, direkt nach der Kündigung, suchen die wenigsten Hilfe, es überwiegt noch die Hoffnung, bald eine neue Stelle zu finden. Doch wer seinen Job verliert, beginnt einen Wettlauf gegen die Zeit. Arbeitslosengeld wird maximal zwölf Monate gezahlt - Arbeitslose, die 50 Jahre und älter sind, erhalten es bis zu 24 Monate. Es beträgt 60 Prozent des früheren Einkommens, mit Kind sind es 67 Prozent. Wer innerhalb dieser Zeit keine Stelle findet, kann seit der Arbeitsmarktreform unter der Regierung Schröder, die die frühere Arbeitslosenhilfe abgeschafft hat, nur noch Arbeitslosengeld 2, also Hartz IV beantragen. Wie die OECD berechnet hat, erhält nun ein alleinstehender Durchschnittsverdiener nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit 36 Prozent seines früheren Nettolohns. Im europäischen Vergleich ist das wenig.

"Ich bin seit 13 Jahren in der Arbeitslosenseelsorge", sagt Mike Gallen. "Die Angst hat seither extrem zugenommen. Wer heute gekündigt wird, hat große Angst vor Hartz IV, Angst davor, nicht mehr genug Geld zu haben, und Angst davor, von der Arge abhängig zu sein." Es ist eine Angst, die sich verfestigt hat und unabhängig von den Auf- und Abwärtsbewegungen auf dem Arbeitsmarkt zu sein scheint.

Wettlauf gegen die Zeit

Ein Jahr klingt nach viel Zeit, aber es kann schnell vorbei sein, wenn es mit der Jobsuche nicht optimal läuft. Bei Susanne Maurer ist es nicht optimal gelaufen. Wie alle hier genannten Betroffenen will sie ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. "Dann bekomme ich erst recht keinen Job mehr", sagen sie. Die Klinik, in der Susanne Maurer lange gearbeitet hatte, hat Konkurs gemacht. "Mir ging es nach der Kündigung sehr schlecht", erzählt sie. "Es nimmt einen sehr mit." Erst war sie enttäuscht und resigniert, dann fiel sie in eine Depression.

Regierung wegen Hartz-IV-Plänen in der Kritik

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat Hartz-IV-Empfängern Anfang des Jahres in einer Studie bescheinigt, dass 90 Prozent sofort einen angebotenen Job annehmen würden.

(Foto: dpa)

Melitta Sauer weiß, dass Menschen eine Kündigung immer persönlich nehmen - selbst dann, wenn sie wie im Fall von Susanne Maurer aus wirtschaftlichen Gründen ausgesprochen wurde. "Sie fühlen sich schuldig, und sie machen sich Vorwürfe, dass es so weit gekommen ist", sagt Sauer. "Gerade Akademiker, die häufig in Berufen arbeiten, die einen gewissen Idealismus erfordern, für die nicht das Geldverdienen im Vordergrund steht, sondern das Engagement. Für sie ist die Enttäuschung besonders groß und auch die Gefahr, dass sie nach der Kündigung Versagensängste aufbauen."

Susanne Maurer hat ihre Depression inzwischen überwunden, aber sie hat ihre Wohnung verloren, weil sie die nicht mehr bezahlen konnte. Sie bezieht jetzt Arbeitslosengeld 2, so wie knapp fünf Millionen Deutsche und so wie Sebastian Tesch, der regelmäßig zu den Treffen in Sankt Rupert geht. Tesch sucht seit drei Jahren einen Job. Er ist Koch und Konditor, hat zwei Meistertitel und kassiert nur Absagen. "Entweder heißt es 'Mit Ihrer Qualifikation finden Sie bestimmt bald eine Stelle' oder 'Sie sind leider überqualifiziert'."

Claudia Borte sucht schon seit zwei Jahren. "Inzwischen werde ich gar nicht mehr zu Vorstellungsgesprächen eingeladen", sagt die Bürokauffrau und sieht ihr Gegenüber fragend an. Zwischendurch hatte sie einen Ein-Euro-Job, der ihr viel Spaß gemacht hat, aber bei der Jobsuche geholfen hat ihr das nicht. Eher hat sie den Eindruck, dass es seither noch aussichtsloser geworden ist. Mike Gallen sagt: "Arbeit ist das halbe Leben. Aber wenn man seine Arbeit verliert, wird es auf einmal das Ganze. Es verfolgt einen Tag und Nacht, wie man es schafft, wieder einen Job zu finden."

Es wird immer schwieriger

Je länger die Jobsuche dauert, umso schwieriger wird es, aus der Arbeitslosigkeit wieder herauszukommen. In Deutschland ist Langzeitarbeitslosigkeit ein großes Problem, kritisierte erst kürzlich die OECD. Im Jahr 2009 waren 45,5 Prozent der deutschen Arbeitslosen schon länger als zwölf Monate ohne Job. In Zeiten einer konjunkturellen Erholung, in der schon wieder vom Fachkräftemangel zu lesen ist, ist es für viele Menschen noch bitterer, zu denen zu gehören, die außen vor bleiben.

Dass sie gerne arbeiten würden, haben Langzeitarbeitslose schwarz auf weiß. So hat etwa das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Hartz-IV-Empfängern Anfang des Jahres in einer Studie bescheinigt, dass 90 Prozent sofort einen angebotenen Job annehmen würden. Trotzdem spüren viele einen Vorwurf. Da ist zum einen die Arge, die Behörde, die die Langzeitarbeitslosen betreut. "Nur Misstrauen" komme ihr von dort entgegen, sagt etwa Marlene Roth, die seit kurzem Hartz IV bezieht. Auch im Privaten wird es schwierig. "Du bist selbst schuld, denken doch alle", sagt Roth. "Ich höre immer nur: Mit deiner Qualifikation und den guten Fremdsprachenkenntnissen - das gibt es doch gar nicht, dass du nichts findest. Andere arbeiten doch auch irgendwo an der Kasse." Sebastian Tesch sagt: "Die Freunde hauen alle ab. Ein, zwei Mal laden sie dich ein, aber dann heißt es: 'Wir arbeiten doch auch.'"

Das fehlende Geld treibt in die Einsamkeit

Es ist das fehlende Geld, das Arbeitslose nach und nach in die Einsamkeit treibt. Sie können nicht mehr mithalten bei Hobbys und anderen Freizeitaktivitäten im Freundeskreis. Mal gemeinsam essen gehen - selbst wenn die Hartz-IV-Sätze stärker steigen würden, wäre das nicht drin.

"Jemand, der nicht arbeitslos ist, kann nur rudimentär ahnen, was das bewirkt. Das Trauma Arbeitslosigkeit ist immer greifbar", sagt Mike Gallen. Er hat nun die Initiative "Ämterpaten" ins Leben gerufen. Wer zur Arge muss, kann sich begleiten lassen. Auch die Zeitung Prekär, in der Betroffene über ihre Situation schreiben, ist im Rahmen des Erwerbslosen-Treffens entstanden. "Es ist wichtig, dass man etwas tut und sich sinnvolle Aufgaben schafft", sagt Melitta Sauer. "Daheim darfst du gar nicht bleiben", sagt Claudia Borte. "Da gehst du kaputt." Bei der Frage, wie es für sie weitergehen soll, wendet sie den Blick ab. "An die Zukunft mag ich lieber nicht denken." Nach einer Pause fügt sie an: "Manchmal kommt es mir, dass ich womöglich nie mehr Arbeit finden werde."

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