Arbeitslosigkeit bei Fachkräften:Mär vom Ingenieurmangel

Junge Männer und Frauen strömen in die Ingenieurstudiengänge - mit der Hoffnung auf einen sicheren Job und ein gutes Gehalt. Doch immer mehr Absolventen landen bei Leiharbeitsfirmen. Experten warnen den Nachwuchs vor einer Kampagne der Arbeitgeber.

Von Kevin Schrein

Schenkt man Politik und Wirtschaft Glauben, dann ist er einer der begehrtesten Männer Deutschlands - beruflich gesehen. Personalchefs müssten bei ihm Schlange stehen, womöglich sogar Headhunter auf ihn ansetzen und zusätzlich zum Vertrag noch einen Kugelschreiber in den Briefumschlag legen. Doch nachdem Peter Müller sein Ingenieurstudium beendet hatte, ging er zum Jobcenter und meldete sich arbeitslos. Müller, der wie die anderen Betroffenen in diesem Text nicht mit seinem wirklichen Namen genannt werden möchte, hat Luft- und Raumfahrt studiert und mit einer guten Note abgeschlossen. In der Forschungsabteilung eines deutschen Autobauers schrieb er seine Diplomarbeit, alles sah nach einem Selbstläufer aus. Doch schon vor Beginn der Abschlussarbeit machte ihm die Firma klar: Einen festen Job gibt es hier nicht für ihn.

Eigentlich müsste Müller ein Einzelfall sein. Laut dem Verein Deutscher Ingenieure fehlen der Industrie 63 700 Ingenieure - bei 30 000 arbeitslosen Ingenieuren. Hans-Peter Klös, Geschäftsführer des Instituts für Wirtschaft in Köln, beklagt einen Ingenieurmangel und warnt sogar vor einer "Bedrohung des Geschäftsmodells Deutschlands". Und die Rufe nach Ingenieuren auch in den Medien zeigen offenbar Wirkung. In Scharen stürmen Abiturienten Studiengänge wie Elektrotechnik und Mechatronik. Seit 2000 hat sich bundesweit die Zahl der Ingenieurabsolventen auf mehr als 50 000 pro Jahr fast verdoppelt.

Ein Heer gut Ausgebildeter steht zur Auswahl

Die jungen Männer - und zunehmend auch Frauen - locken Versprechungen von einem sicheren Job und üppigen Gehalt. Auch Müller vertraute bei der Wahl seines Studienfachs darauf. Sein Vater sagte einst zu ihm: "Junge, werd' doch Ingenieur, dann kriegst du einen guten Job." Heute macht sich der Vater Vorwürfe, fragt sich, ob sein Ratschlag richtig war. Denn mit dem Diplomzeugnis in der Hand schrieb Müller eine Bewerbung nach der anderen.

Enttäuschungen folgten. "Entweder schreiben Ingenieurdienstleister Stellen aus, oder die Firmen wollen Leute mit Minimum drei Jahren Berufserfahrung", sagt der Absolvent. Weil er eine Festanstellung wollte, mied er Dienstleister und bewarb sich bei klassischen Firmen. Auch bei den Stellen, für die Berufserfahrung eingefordert wurde, versuchte er es. Immer nur Absagen. Später probierte er es noch mit Initiativbewerbungen. 50 Stück, so erzählt der Mittzwanziger, habe er geschrieben, fünf Unternehmen luden ihn nur zum Gespräch. Sein Bewerbungscoach vom Arbeitsamt sagte: "Ein super Schnitt!"

Für Gerd Bosbach, Statistikprofessor an der Hochschule Koblenz, sprechen solche Fälle gegen einen Ingenieurmangel: "Die Arbeitgeber machen eine Kampagne, um mehr Leute ins Studium zu locken, damit sie anschließend aus einem Heer gut Ausgebildeter wählen können." Bei einem Ingenieurmangel, so der Wissenschaftler, wäre Berufserfahrung zweitrangig. "Weiterbildung müsste blühen, da Unternehmen auf vielleicht nicht ganz passende Bewerber angewiesen wären." Einen Trend zur Fortbildung kann Bosbach nicht erkennen.

Familiengründung wegen Unsicherheit aufgeschoben

Nach den Absagen blieb Müller nichts anderes übrig, als doch bei Dienstleistern anzuheuern. Diese schließen mit Ingenieuren Arbeitsverträge und leihen sie dann an Firmen aus. Oder der Dienstleister realisiert im Auftrag des Unternehmens bei sich Projekte. Vorteil für das Unternehmen: Es zahlt dem Dienstleister zwar Geld für den Ingenieur oder das Projekt, muss die Fachkraft etwa bei einer Konjunkturflaute aber nicht durchfüttern. Das Problem für den Ingenieur: Braucht das Unternehmen ihn nicht mehr und findet der Dienstleister keinen neuen Job für ihn, steht er auf der Straße. Zu einem Dienstleister wollte Müller eigentlich nicht. Aber bei all den Absagen blieb ihm nichts anderes übrig, als sich dort zu bewerben. Auch mit Rückschlägen, aber am Ende erfolgreich.

Thomas Meier ist ebenfalls seit wenigen Monaten bei einem Dienstleister angestellt, der Projekte für den Autobauer BMW realisiert. Seinen richtigen Namen möchte auch er nicht nennen, aus Angst, seinen Job zu verlieren. Meier hat Maschinenbau an der Technischen Universität in München studiert und während des Studiums schon Erfahrung in dem Konzern gesammelt. Einen Job bot ihm der Autobauer trotzdem nicht an. "Auf eine feste Stelle bei BMW bewerben sich mehrere Hundert Ingenieure", behauptet Meier.

"Dienstleister sind ein klares Indiz"

Ein Konzernsprecher sagte auf SZ-Anfrage, dass gerade im klassischen Maschinenbau die Bewerberzahlen sehr hoch seien und trotz vieler Einstellungen damit auch die Konkurrenz. Dienstleister nehme man deshalb in Anspruch, weil bestimmte Arbeiten eben nur projektbezogen anfallen. Vor seinem Job beim Dienstleister hat Meier es mit klassischen Beschäftigungsverhältnissen probiert, schrieb Bewerbungen, ohne Erfolg. Über einen Freund landete er bei dem Dienstleister. Er fühlt sich wohl dort. Eine Familie zu gründen, sei wegen der "Unsicherheit" seines Jobs aber erst mal aufgeschoben.

Für Karl Brenke, Volkswirt am Deutschen Institut für Wirtschaft, sind Dienstleister Teil der künftigen Arbeitswelt. Glücklich ist er darüber nicht, aber für Firmen sei es so einfacher, bei schlechter Konjunktur Kosten zu sparen. "Außerdem sind sie ein klares Indiz dafür, dass es keinen Ingenieurmangel gibt. Gäbe es ihn, würden Unternehmen mit aller Macht versuchen, Ingenieure fest bei sich anzustellen."

Nach fünf Monaten Jobsuche ist der Bewerbungsmarathon für den Luft- und Raumfahrtingenieur Peter Müller zu Ende gegangen, er steht eben in Diensten eines Dienstleisters. Er arbeitet jetzt doch für jenen Konzern, bei dem er einst seine Diplomarbeit geschrieben hat. Natürlich nur: als Leiharbeiter.

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