Arbeitgeber und psychische Erkrankungen:Raus aus der Buhmann-Rolle

Psychostress im Job soll verantwortlich sein für die steigende Zahl seelischer Erkrankungen. Bayerische Unternehmer wehren sich jetzt gegen diesen Kausalzusammenhang. Die Arbeitgeber wollen mit einer Studie beweisen, dass nicht sie allein Auslöser von Burnout und Co. sind.

Von Ralf Scharnitzky

Arbeitslose kommen nach einer Studie der Betriebskrankenkassen im Jahr auf mehr Krankheitstage wegen psychischer Störungen als Arbeitnehmer. Also: Arbeit macht gesund! "Das geht natürlich so nicht", sagt Florian Holsboer, Direktor des Max-Planck-Institutes (MPI) für Psychiatrie in München. Eine solche Schlussfolgerung aus der von der Wirtschaft in Auftrag gegeben BKK-Studie wäre aber nur eine von vielen Unklarheiten und Ungereimtheiten auf diesem Gebiet.

Bayerns Unternehmen sehen sich an den Pranger gestellt, weil häufig ein "einseitiger Zusammenhang" zwischen psychischen Erkrankungen und der veränderten Arbeitswelt hergestellt werde, so Bertram Brossardt von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie am Montag in München. Belegt sei dies nämlich nicht. Das soll sich jetzt ändern. 1,7 Millionen Euro investieren Bayme VBM in ein Aktionsprogramm. Einer der wesentlichen Punkte: eine Studie des MPI, die das Verhältnis zwischen psychischen Erkrankungen und Belastungen im Job ergründen soll. Die Erhebung, so der Psychiatrie-Professor, wäre weltweit einmalig.

Gesundheitsmanagement, bei viele Firmen inzwischen Alltag - aber das Motto in der Regel: Tu Deinem Körper was Gutes. Seele und Gehirn werden zumeist vernachlässigt. Holsboer: "Der Stress wirkt sich heute eher nicht mehr auf den Körper, sondern auf das Gehirn aus."

Außer bei einigen Betriebs- und Personalräten spielt die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz in vielen Firmen noch keine große Rolle. "Es wird in einigen Betrieben zwar mehr geguckt - aber das ist mini", beklagte vor einiger Zeit Bayerns DGB-Vize Christiane Berger. Meist wird die psychische Gesundheit der Arbeitnehmer erst dann zum Thema im Unternehmen, wenn bei Kollegen Körper und Seele ihr Recht einklagen und den Dienst verweigern. Und auch dann wissen viele Führungskräfte in den Betrieben oft nicht, wie sie damit umgehen sollen.

Psychologen sollen telefonisch Ersthilfe leisten

Die Metall- und Elektroarbeitgeber wollen ihren Mitgliedern deshalb künftig im Rahmen ihres Projektes "gesund(me)" verstärkt auch beim Umgang mit den seelischen Erkrankungen helfen. So werden von Herbst an Workshops zur Weiterbildung von Führungskräften und Betriebsärzten angeboten. Zudem haben die Arbeitgeberverbände zwei Psychologen eingestellt, die von September an über eine Hotline erreichbar sein werden. Sie sollen Ersthilfe für Mitarbeiter und Führungskräfte anbieten und versuchen, Lösungen zu erarbeiten. Außerdem sollen sie externe Ansprechpartner nennen. Derzeit wird ein entsprechendes Netzwerk aufgebaut.

Für viele sind die Auslöser von seelischen Erkrankungen einfach auszumachen: schnellere Arbeitsprozesse, steigende Anforderung, höhere Eigenverantwortung, berufliche Unsicherheit, Psychostress am Arbeitsplatz und die Vermischung von Beruf und Privatleben. Die psychischen Erkrankungen würden zwar zunehmen, meint dagegen der Hauptgeschäftsführer von Bayme VBM, aber es sei falsch, dafür vor allem die Arbeitswelt verantwortlich zu machen.

Brossardt: "Die Gründe für den Anstieg psychischer Erkrankungen sind vielfältig und psychische Erkrankungen fast nie auf eine Ursache zurückzuführen." In der Öffentlichkeit werde oft ein Zerrbild gezeichnet, Burnout scheine zu einem Modethema geworden zu sein. "Trotzdem und obwohl die Verantwortung für die eigene Gesundheit bei jedem Einzelnen liegt, wollen sich die Unternehmen dieser gesellschaftlichen Herausforderung stellen", so Brossardt.

Um das Thema zu versachlichen, hat der Wirtschaftsfunktionär einen der renommiertesten Experten gewonnen, der - wen wundert's - seine Meinung teilt. Holsboer: "Psychische Erkrankungen haben viele Ursachen, die von der Veranlagung bis zur Überlastung in Arbeits- und Privatleben reichen."

"Überall spricht man einfach von Depression"

Der MPI-Direktor kann für die in Auftrag gegebene Studie auf Erhebungen seines Instituts seit 1995 zurückgreifen. Damals wurden 14- bis 24-Jährige rekrutiert, um sie einige Jahre wissenschaftlich zu begleiten. "Die sind jetzt 32 bis 42 Jahre alt und stehen im Berufsleben. Jetzt können wir klären, wie sich die Arbeit auf deren Psyche auswirkt."

Bisher sei nicht einmal erwiesen, ob die psychischen Erkrankungen wirklich zunehmen: "Wir haben weltweit keine Untersuchungen von vor fünf, zehn oder 20 Jahren, um zu vergleichen." Zudem seien früher häufig Ausweich-Diagnosen gestellt worden: "Denn erst jetzt ist die Gesellschaft so weit, dass man zu psychischen Erkrankungen stehen kann." Allerdings immer unter dem Modewort Burnout: "Ein Begriff, der nur in Deutschland verwendet wird. Überall woanders spricht man einfach von Depression."

Die Studie des MPI soll im Sommer 2014 Aufschluss darüber geben, wie depressiv Arbeit machen kann.

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