Arbeitgeber Online-Shops:Fliegende Händler

Das Logistikzentrum von AMAZON in Graben, 2012

Trotz des harten Wettbewerbs wächst der E-Commerce-Arbeitsmarkt weiter.

(Foto: Johannes Simon)

Im E-Commerce arbeiten nicht nur Packer und Lageristen. Die Firmen überbieten sich im Kampf um Big-Data-Experten, Programmierer und Bestellmanager. Doch die Akademisierung der Branche könnte zum Problem werden.

Von Miriam Hoffmeyer

Im Diamanten-Shop Yorxs werden auch erfahrene Internet-Käufer zu Zauderern. Die meisten Kunden schauen monatelang immer wieder auf die Website, bevor sie auf den Bestell-Button klicken. "Die Leute trauen sich nicht gleich, sie kaufen ja nicht täglich Diamanten", sagt Casimir Graf Maltzan. Der Edelstein-Fachmann hat Yorxs vor drei Jahren zusammen mit einem Start-up-Experten gegründet.

"Unser wichtigstes Ziel war von Anfang an, Vertrauen aufzubauen", sagt Maltzan. Deshalb bietet die Website in ruhigem Design besonders viel Information: über Diamanten an sich, den Ablauf von Bestellung und Bezahlung, die Geschäftsidee und die Personen dahinter. Kunden können sich per Telefon und Live-Chat beraten lassen und noch nach hundert Tagen den Kauf widerrufen. Diese Strategie geht offenbar auf: Yorxs hat sich in seiner Marktnische gut eingerichtet und beschäftigt heute 16 Mitarbeiter, doppelt so viele wie 2011.

Der E-Commerce-Markt ist weitgehend aufgeteilt

In den USA konnte man schon lange vorher Diamanten günstig online kaufen. Ein funktionierendes E-Commerce-Modell aus dem Ausland nach Deutschland zu importieren, hat bereits einige Male zum Erfolg geführt. Das bekannteste Beispiel ist der Schuh- und Modehandel Zalando der Gebrüder Samwer. Mit massiver Fernsehwerbung wurde das 2008 gegründete Unternehmen rasch bekannt, heute ist es der drittgrößte deutsche Online-Shop.

Kein Newcomer hat seither einen solchen Aufstieg geschafft. Das wird auch immer schwerer, denn der E-Commerce-Markt ist heute weitgehend aufgeteilt. Nach einer Studie des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI machten die tausend größten Onlineshops in Deutschland 2013 etwa 30 Milliarden Euro Umsatz mit physischen Konsumgütern; der Handel mit digitalen Medien, Reisen oder Tickets wurde nicht erfasst. 37 Prozent des Gesamtumsatzes erwirtschafteten die ersten zehn Händler in der Rangliste, die von Amazon mit riesigem Abstand vor Otto angeführt wird.

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Zum ersten Mal schwächte sich das Wachstum auf dem E-Commerce-Markt ab. Auch Onlinehändler bekommen langsam zu spüren, dass das Einkaufsbudget der Kunden begrenzt ist. "Das Geschäft ist härter geworden", sagt Lars Hofacker vom EHI. Die Kosten für Werbung seien gestiegen, "und die Kunden haben viel höhere Ansprüche an den Service als früher."

Niemand weiß, wie viele Leute in dem Bereich arbeiten

Zugleich verschwimmen die Grenzen zwischen Onlinehandel und klassischen Ladengeschäften immer mehr. "In beiden Welten gibt es derzeit viele Veränderungen", erklärt Hofacker. Mehr als die Hälfte der tausend größten Onlinehändler sind auch im stationären Handel tätig: Immer mehr Fachgeschäfte vertreiben ihre Waren auch im Internet. Kaufhäuser und Elektronikmärkte bieten ihren Kunden die Möglichkeit, Produkte online zu bestellen und in die nächstgelegene Filiale liefern zu lassen. Und reine Internetgründungen wie der Müsli-Versender "Mymuesli" eröffnen Flagshops in Innenstädten.

Weil stationärer und Onlinehandel so stark überlappen und ungezählte Kleinstshops nur nebenberuflich betrieben werden, weiß niemand, wie viele Menschen eigentlich im E-Commerce arbeiten. Die großen Händler beschäftigen jedenfalls neben Tausenden Lagerarbeitern und Packern auch Hunderte IT-Experten und Wirtschaftswissenschaftler.

Besonders gesucht seien zurzeit Fachleute für Big Data, sagt Stephan Pfisterer, Arbeitsmarktexperte beim Branchenverband Bitkom. Das sind Menschen, die riesige Datenmengen auswerten können: "Die Händler hoffen, mit besseren Analysen des Kaufverhaltens die hohen Retourenquoten zu senken." Aber auch die Nachfrage nach Programmierern, Marketing- und Bestellmanagern sei sehr hoch. Trotz des harten Wettbewerbs wächst der E-Commerce-Arbeitsmarkt weiter - um etwa fünf Prozent pro Jahr, schätzt Pfisterer.

"Die Einstiegsgehälter sind zum Teil geradezu unanständig"

Dabei stellt die "extreme Akademisierung" in der Branche nach Einschätzung des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH) ein großes Problem dar. "Der Wettbewerb wird auch dadurch entschieden, wer überhaupt noch Personal bekommt", sagt Martin Groß-Albenhausen vom BEVH. "Viele Unternehmen verlegen ihr Online-Unit nach Berlin, um Leute direkt von der Uni wegcasten zu können, die Einstiegsgehälter sind zum Teil geradezu unanständig."

Den kleineren stationären Geschäften, die zusätzlich einen Onlineshop betreiben, fehlen dagegen Mitarbeiter mit Fachkenntnissen. Bisher lernen Auszubildende im Einzelhandel überhaupt nichts über Webdesign oder Online-Bezahlvorgänge. Der BEVH setzt sich deshalb dafür ein, bei der geplanten Neuordnung der Einzelhandels-Ausbildung E-Commerce wenigstens zum Wahlpflichtfach zu machen. Noch besser wäre es aus seiner Sicht, eine eigene E- Commerce-Ausbildung für den Einzelhandel einzuführen: Mittelfristig würden mehrere tausend Azubis pro Jahr gebraucht.

Fachwissen hilft, unabhängig von den Branchenriesen zu werden

Vielleicht könnte mehr Fachwissen auch dabei helfen, kleinere Händler aus ihrer extremen Abhängigkeit von den Marktplätzen zu befreien. Amazon, Ebay, Rakuten und andere bieten zwar Zugang zu einem riesigen Kundenkreis und stellen den Händlern die technische und rechtliche Infrastruktur zur Verfügung. Zugleich verbieten sie ihnen aber, daraus entstandene Geschäftskontakte selbständig weiterzuführen. Und der Preiskampf erlaubt nur sehr geringe Margen.

Daniela Schwarzbach aus Willich war 2007 eine der Pionierinnen auf Dawanda, dem Marktplatz für Selbstgemachtes. Ihr Shop "Der Nähbär" ist einer von Zehntausenden Kleinstbetrieben, die es ohne das Internet nie gegeben hätte. Dawanda bot ihr die Möglichkeit, mit wenig Aufwand auf den Markt zu gehen, "um erst mal zu schauen, wie es läuft". Die 45-jährige Mutter von drei Kindern verkauft ihre Baby-Spieldecken inzwischen bis nach Nordamerika und Australien. "Reich werde ich damit nicht, aber es lohnt sich", sagt sie. In diesem Jahr will sie als Unternehmerin unabhängiger werden: Sie wird sich von Dawanda verabschieden und ihre Produkte über eine eigene Shop-Website anbieten.

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