Arbeiten in Indien:Mit Tempo durch den Stau

Die boomende Informationstechnologie in Indien braucht dringend Nachwuchs. Eine Chance für Deutsche mit Abenteuerlust.

Christine Demmer

An sein erstes Jahr in Bangalore denkt Wolfgang Messner gar nicht gern zurück. Im Januar 1998 betrat der Diplom-Informatiker erstmals indischen Boden. "Als Deutscher war ich damals ziemlich allein auf weiter Flur", sagt er, "außer ein paar älteren Firmenchefs gab es da niemanden, der die Alster, den Stachus oder die Frankfurter Hauptwache kannte." Just von hier aus hatte ihn die Deutsche Bank, sein erster Arbeitgeber nach dem Examen, nach Indien entsandt. Messner sollte ein Projekt bei einer Software-Tochter leiten. "Nach zweieinhalb Jahren Frankfurt hatte ich große Lust, ins Ausland zu gehen, aber ich dachte dabei eher an London oder New York", sagt er. "Eines Tages fragte mich mein Chef fröhlich: Darf's auch Indien sein? Da konnte ich nicht nein sagen."

Arbeiten in Indien: Wolfgang Messner ist Indien inzwischen nicht nur beruflich verbunden und schon zum zweiten Mal in Indien. Zwei Jahre will er bleiben.

Wolfgang Messner ist Indien inzwischen nicht nur beruflich verbunden und schon zum zweiten Mal in Indien. Zwei Jahre will er bleiben.

(Foto: Foto: privat)

Mühsam tastete sich Messner an die Hitze, das Verkehrschaos, den Lärm und die höfliche Unverbindlichkeit der Inder heran. "Die Kollegen waren zwar nett, aber mir fehlten doch das vertraute Netzwerk und echte Freundschaften." Als privater Höhepunkt ragte nur hier und da eine Rucksackreise quer durch das Land heraus. "Der Rest war das Projekt."

Als sich Messner nach genau 371 Tagen aus Indien verabschiedete, nahm er einen Haufen Email-Adressen von Kollegen und Geschäftspartnern mit, auch die der indischen Elektronik-Ingenieurin Pratibha. Wie so oft hieß es: "Sure, we'll keep in touch." Doch seither kommt Messner nicht mehr los von Indien, was sowohl mit seinem Beruf als auch mit seiner neuen Familie zusammenhängt. Seit 2002 ist er mit Pratibha verheiratet.

Für die weltweite Informations- und Kommunikationsindustrie ist Indien zum gelobten Land der Softwareentwicklung geworden, weit vor China, Brasilien und Russland, weil die dortigen Hochschulen erheblich mehr und dazu englisch sprechende IT-Fachleute ausbilden. Einige hunderttausend Inder arbeiten in den Software-Distrikten von Bangalore, Delhi, Bombay und Hyderabad für Microsoft, IBM, Accenture, Capgemini, SAP und viele andere Konzerne.

Ende Februar ist Messner, inzwischen promoviert und Managing Consultant bei Capgemini, mit seiner Frau, inzwischen Master of Business Administration, erneut nach Indien aufgebrochen. Zwei Jahre will der 36-Jährige diesmal in Bangalore bleiben. "Ich baue einen Pool von Mitarbeitern auf, die für Kunden in Deutschland und in der Schweiz SAP-Projekte durchführen werden", sagt er. "Zu Beginn brauche ich erst einmal 100, aber sicher bald mehr. Unsere Software Factory in Indien wächst unheimlich schnell. Ende 2010 will Capgemini hier 40000 Mitarbeiter haben."

Mit Tempo durch den Stau

Indiens Bedarf an IT-Nachwuchs können die Universitäten im Land nicht decken. Deshalb steigen die Gehälter, deshalb steigen die Entwicklungskosten für die Kunden im Ausland, deshalb rechnen sich Konkurrenten wie China gute Chancen aus, in wenigen Jahren Indien als Dorado des Business Process Outsourcing (BPO) ablösen zu können. Vorteil China: Während ein Programmierer in Schanghai etwa 40 Euro im Monat kostet, gibt sich ein indischer Bachelor kaum mit weniger als 200 Euro zufrieden. Vorteil Indien: Ein Hochschulabsolvent kann deutlich mehr als ein einfacher Programmierer. Und seit 1991, als sich das Land nach Westen zu orientieren begann, liefern indische Hochschulen unablässig neue Bachelors und Masters. Durch stetiges Wachstum können BPO-Anbieter Größenvorteile nutzen und die Entwicklungskosten in Indien konstant halten.

"Ein Master-Studium in Indien ist für Deutsche eine feine Sache", sagt Messner, der für drei Monate als Gastprofessor am Indian Institute of Management in Bangalore tätig war. Auch für junge IT-Professionals aus Deutschland, die das nur nominal geringe Einkommen in Indien als Investition in ihre Zukunft sehen, könnten ein paar Jahre in Bombay oder Hyderabad eine große Chance sein.

Den Arbeitsvertrag müssen sie sich allerdings von zu Hause aus besorgen, denn ohne Employment Contract vergibt Indien nur Touristenvisa (50 Euro für sechs Monate). Die Einkommensteuern drücken genauso wie in Deutschland, die weit unten einsetzende Vermögenssteuer (ab 27.000 Euro geht's los) spricht für die Beibehaltung des heimischen Kontos, dafür sind die Krankenversicherung meist und die Rücklage fürs Alter immer Privatsache. Messner hat bei einer deutschen Versicherung einen Auslandsschutz abgeschlossen, dazu übernimmt der Arbeitgeber die - für Häuser auf westlichem Niveau - oft sehr hohe Miete.

Zum Ausgleich sind die allgemeinen Lebenshaltungskosten in Indien so gering, dass sich, wer will, den Luxus von Hauspersonal leisten kann. "Nicht nur zu uns kommt jeden Tag die Putzfrau, sondern auch zu den indischen Kollegen", sagt der Consultant. "Das muss sein, denn hier liegt ständig Staub in der Luft." Viele Kollegen haben sogar einen Fahrer. Einen Chauffeur? Warum denn das? "Kommen Sie doch mal vorbei", grinst Messner und malt ein Höllenbild von mehrspurigen Fahrbahnen, auseinander fallenden Lastwagen, überladenen Rikschas, vor sich hin holpernden Ochsenkarren, Bettlern, heiligen Kühen und Dauer-Gehupe. Weil es kaum zuverlässige öffentliche Verkehrsmittel gibt, unterhalten große Unternehmen eigene Buslinien, mit denen sie ihre Angestellten morgens zur Arbeit und abends zurück nach Hause fahren lassen. Die Busse muss man sich also noch in das Höllenbild dazudenken. Messner hört gar nicht mehr auf, zu grinsen: "Ein Autostau dient hier der Entspannung."

Deutsche Studenten, Fachkräfte und Manager genießen in Indien hohes Ansehen. Sie stehen außerhalb des hinduistischen Kastensystems, mithin eigentlich unterhalb der niedrigsten Stufe, aber ihrer hellen Hautfarbe wird unterschwellig doch ein aus der Kolonialzeit herrührender Respekt gezollt. Die Metropolen sind längst zum Schmelztiegel aus allen Nationen, Hautfarben und Kulturen geworden. Nur bei einem Abstecher in ein entlegenes Dorf kann es einem Europäer noch passieren, dass ihn ein Greis oder Kind fragt, ob es ihn berühren dürfe. "Aber bei der Arbeit"', sagt Messner, "spielt Exotik natürlich keine Rolle. Hier geht es allein um Leistung."

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