Arbeiten im Ausland:Doppelter Gewinn

Arbeitssuchende stehen Schlange am Eingang einer Jobmesse in Hangzhou in der chinesischen Provinz  Zheijang

Ein anwendungsnahes Studium wie an deutschen FHs gibt es in China nicht. Dabei wären solche Absolventen begehrt, etwa auf dieser Jobmesse in Hangzhou.

(Foto: Xinhua/action press)

Die chinesische Industrie sucht technisch versierte Absolventen mit einer praxisnahen Ausbildung. Helfen soll dabei die Chinesisch-Deutsche Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Von Jeannette Goddar

W enn Lu Yuhang seinen Master in der Hand hält, wird er einer von sieben Millionen sein. So viele Menschen beenden jedes Jahr ihr Studium in China. Hinzu kommt fast eine halbe Million junge Chinesen, die im Ausland studieren. Der 24-jährige Lu Yuhang hat sich in China und Deutschland auf den Arbeitsmarkt vorbereitet - mit einem deutsch-chinesischen Doppel-Bachelor in Mechatronik. Nun sattelt er an der Technischen Universität München noch einen Master in Automotive Software Engineering drauf. Bei BMW China hat er ein Praktikum absolviert, ein weiteres in Deutschland soll folgen.

Die chinesische Industrie sucht Fachkräfte mit technischem Sachverstand und anwendungsnahen Fertigkeiten, eine praxisnahe Ausbildung ist in China nicht sehr verbreitet. Von den etwa 5000 deutschen Unternehmen, die eine Niederlassung in China haben, klagt laut einer Umfrage der dortigen deutschen Handelskammer jedes zweite über die schwierige Suche nach Personal. Besonders viele deutsche Unternehmen sind im Maschinenbau und in der Automobilbranche tätig. VW, Audi, BMW, Daimler und Porsche sind jedem bekannt, darüber hinaus produzieren Hunderte Zulieferbetriebe in China.

Für diesen Arbeitsmarkt haben das chinesische und das deutsche Bildungsministerium gemeinsam mit Partnern aus der Industrie vor elf Jahren die Chinesisch-Deutsche Hochschule für Angewandte Wissenschaften (CDHAW) in Schanghai gegründet. Seit 2014 haben dort neben Lu Yuhang etwa 800 chinesische und 150 deutsche Studierende einen Doppel-Bachelor erworben - in Mechatronik, Wirtschaftsingenieurwesen, Fahrzeug- oder Gebäudetechnik.

Angesiedelt ist die CDHAW an der Tongji-Universität in Schanghai, einer der wenigen chinesischen Universitäten mit Weltruf. Gelernt wird nach einem in China wie Deutschland anerkannten Curriculum. Nach drei Jahren absolvieren die chinesischen Studierenden eine Reihe sprachlicher und fachlicher Tests. Wer sie besteht, und das sind vier von fünf, hat die Möglichkeit, das vierte Jahr an einer von 25 Partner-Fachhochschulen in Deutschland zu verbringen. Die Bachelorarbeit wird in einem Unternehmen geschrieben.

5000 deutsche Firmen haben eine Niederlassung in China - jeder zweiten fehlen Bewerber

Im Gegenzug können die Studenten der 25 deutschen Partner-Fachhochschulen ein Jahr lang die CDHAW besuchen und dort ebenfalls einen deutsch-chinesischen Doppelabschluss erwerben. Wer das nicht will, darf trotzdem kommen, ein halbes Jahr an der Tongji-Universität studieren und ein halbjähriges Praktikum in China absolvieren. Nicht wenige bleiben im Anschluss gleich da.

Robert Jungnickel lernte nach dem Bachelor weiter Chinesisch und stellt nun - wie das bei Industriepromotionen üblich ist - seine Doktorarbeit in einer Abteilung der Volkswagen Group China fertig. Mit ihm seien fünf seiner deutschen CDHAW-Kommilitonen noch im Land, erzählt er, alle in der Automobilindustrie.

Die größte Herausforderung bleibt die Sprache. "Arbeitssprachen sind Englisch und Deutsch", sagt Jungnickel. "Aber ich möchte auch mit den Menschen auf der Straße sprechen. Inzwischen kann ich das, doch es hat gedauert." Ihn fasziniert an China vor allem die Geschwindigkeit, mit der sich das Land verändert. "Immer noch sitze ich in der S-Bahn und denke: Standen diese Häuser da gestern schon?" Auch die Zusammenarbeit in deutsch-chinesischen Teams reizt ihn. Chinesen hätten eine andere Art, an Probleme heranzugehen, sagt Jungnickel: "Sie haben häufig schnell den nächsten Schritt im Blick. Wir Deutschen hinterfragen mehr."

Die CDHAW unternimmt große Anstrengungen, damit Absolventen und Arbeitsmarkt in China wie in Deutschland zueinanderfinden. Deutsche Studenten in Schanghai bekommen einen deutschen Mentor aus der Praxis, meist den CEO eines deutschen Unternehmens. Die chinesischen Studenten lernen, wie eine Hausarbeit in Deutschland aussieht, wie ein Gespräch mit einem Professor verläuft und wie man sich auf eine Bewerbung vorbereitet. "Ich habe Probe-Vorstellungsgespräche geführt, meinen Lebenslauf besprochen und Tipps bekommen, wie ich mich präsentiere", sagt Lu Yuhang, "das war sehr hilfreich."

Die Trainings führen meist Personalverantwortliche deutscher Unternehmen in Schanghai und Umgebung durch. Diese, erzählt Vizedirektorin Sabine Porsche, hielten dabei häufig Ausschau nach potenziellen Bewerbern für ihr Unternehmen in China oder Deutschland. Auch komme vor, dass der deutsche Mutterkonzern die Mitarbeiter in China bitte, interessante Kandidaten zu finden und vorzuschlagen. Für viele deutsche Unternehmen mit Sitz in China ist der Weg an die CDHAW nicht weit: Das VW-Werk ist nur zwei Kilometer entfernt, in weniger als einer Stunde ist außer Schanghai die Stadt Taicang mit 200 deutschen Unternehmen zu erreichen.

In Deutschland steht den chinesischen Absolventen der hiesige Arbeitsmarkt offen - vor allem, seit die Aufenthaltsregelungen für Studierende nach ihrem Abschluss gelockert wurden. Yang Ruiting ist bei dem weltweit tätigen Automobilzulieferer Delphi Automotive in Wolfsburg tätig. In enger Zusammenarbeit mit ihren Kollegen in Schanghai arbeitet sie an der Verbindungstechnik, die in China in Autos der Marke VW eingebaut werden. "So komme ich immer wieder auch nach China", sagt Ruiting. Von ihren Ex-Kommilitonen seien viele in China bei VW, Continental oder Audi tätig. Ob es sie selbst wieder nach zu Hause ziehe, sei noch völlig offen.

Zuweilen bräuchte es in Deutschland Überzeugungsarbeit, damit die Firmen chinesische Studierende aufnähmen, sagt Reiner Dudziak, Professor für Mechatronik an der FH Bochum, einer der Partnerhochschulen. "Vor allem klein- und mittelständische Unternehmen sind häufig skeptisch", sagt er. "Sie schrecken vor dem Aufwand zurück."

Auch eine "gewisse interkulturelle Scheu gegenüber dem Unbekannten" hat er beobachtet. Der Professor, der selbst alle zwei Jahre für einige Wochen an der CDHAW lehrt, verweist darauf, dass auch in Deutschland die Zahl chinesischer Unternehmen ständig steigt: 2500 seien es derzeit bundesweit, allein 700 in Nordrhein-Westfalen. Und auch sie sind allesamt potenzielle Arbeitgeber.

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