Arbeiten im Alter:Warum ältere Arbeitnehmer unterschätzt werden

Ab 50 lässt die Gehirnleistung nach. So lautet das Vorurteil, das ältere Mitarbeiter oftmals aufs Abstellgleis befördert. Zu Unrecht, sagt Neurowissenschaftler Martin Korte. Arbeitnehmer über 50 können einiges besser als ihre jungen Kollegen.

Anne-Ev Ustorf

Altersweise, ausgebrannt: Es wird Zeit, den Vorurteilen gegen ältere Arbeitnehmer mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu begegnen. Der Braunschweiger Neurowissenschaftler Martin Korte sagt, älteren Arbeitnehmern werde zu wenig zugetraut. Gerade hat er das Sachbuch "Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden" veröffentlicht (DVA).

SZ: Ein 55 Jahre alter Unternehmensvorstand gilt als Mann in den besten Jahren. Auf dem Arbeitsmarkt allerdings hat man ab diesem Alter zu kämpfen. Warum ist das so?

Martin Korte: Weil unser gängiges Bild des Alterns das eines Verlusts ist. Wir haben uns daran gewöhnt, Erwachsene bis ins mittlere Alter hinein als mental stark und aufstrebend darzustellen und ab 50 den kognitiven Niedergang zu beschwören. Doch das ist so nicht richtig. Mein Ansatz ist, das Alter als Entwicklungsstufe zu begreifen, mit allen Vor- und Nachteilen. Vom 55. Lebensjahr an fällt es Menschen zwar schwerer, komplett neue Konzepte zu erlernen, weil die Geschwindigkeit des Lernens nachlässt. Doch können ältere Mitarbeiter Arbeitsabläufe oft schneller erledigen, weil sie durch ihren enormen Wissens- und Erfahrungsvorsprung neue Informationen in das Vorhandene integrieren. So kommen sie zu Entscheidungen, die eine höhere Validität und eine bessere Berechenbarkeit haben.

Ältere Mitarbeiter werden also zu Unrecht abgewertet?

So ist es. Mit dem Ergebnis, dass sie sich nichts mehr zutrauen. Viel besser wäre eine Unternehmenskultur, die älteren Mitarbeitern das Gefühl vermittelt, sie dürften auch dann noch Fehler machen, wenn sie schon die ersten grauen Haare haben. Wichtig ist zudem, dass Mitarbeiter ein Leben lang trainieren, damit ihre Aufmerksamkeit und die Lernfähigkeit geschult werden. Dann hat die Situation des Neuen nichts Bedrohliches, sondern die Neugierde und die Belohnungssysteme im Gehirn bleiben stets aktiviert. Wenn Ältere nämlich in völlig neue Situationen kommen, die keine Anknüpfungspunkte an vorhandenes Wissen bieten, tappen sie schnell in Routinefallen.

Welche Tätigkeitsfelder bieten sich aus Ihrer Sicht als Hirnforscher denn für diejenigen an, die sich umorientieren wollen?

Ich würde davon abraten, noch mal etwas komplett Neues anzufangen. Das Expertenwissen, das man in 25 Jahren Berufstätigkeit erworben hat, bestimmt weiterhin das Denken mit. Ein Ökonom beispielsweise wird immer in wirtschaftlichen Kategorien denken. Gut für ältere Arbeitnehmer sind daher Beratertätigkeiten, die mit dem alten Job zu tun haben. Denn dort kommen ihre Erfahrungen und Fähigkeiten bestens zur Geltung. Schließlich haben ältere Menschen nachweislich eine höhere emotionale Intelligenz als Jüngere.

Aber was ist mit denen, die aufgrund einer Sinnkrise aus ihrem Job aussteigen wollen oder noch mal ganz neu anfangen müssen?

Die würde ich fragen: Brauchen sie wirklich einen neuen Beruf? Oder eher eine neue Motivation im Beruf? Vielleicht finden sie die ja auch im eigenen Fach. Ausgebrannte, gute Lehrer könnten zum Beispiel ins Direktorium wechseln oder Seminarleiter werden. Veränderungen haben zwar ihren Reiz und sind immer wieder gute Stimuli fürs Gehirn, sie bergen aber auch Gefahren. Läuft alles gut, ist es wunderbar fürs Gehirn. Entwickeln sich die neuen Jobs aber zum Stressfaktor, beschleunigt der Stress den Alterungsprozess des Gehirns.

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