Arbeiten im Alter:Unruhestand hält jung

Viele Arbeitnehmer können es gar nicht erwarten, endlich in Ruhestand zu gehen. Doch sobald die Rente durch ist und Enkel, Reisen und Hobbys im Mittelpunkt des Lebens stehen, beginnt das Siechtum.

Dagmar Deckstein

Na, genug gelangweilt im Ödland des sogenannten Zwischendenjahren? Dann kann es ja endlich wieder losgehen! Mit voller Wucht und Lust hineingehüpft in die gute, alte Tretmühle, endlich wieder gebraucht werden und sich wichtig fühlen dürfen. Zumal ja schon unser aller Goethe wusste, dass nichts schwerer zu ertragen ist als eine Reihe von guten, freien Tagen. Was sollen wir da erst sagen, wir unermüdliche Rädchen in einer rasenden Gesellschaft. Zwei Wochen lang auf Entzug gesetzt, schon nistet die grüblerische Frage im Oberstübchen, wozu man eigentlich noch auf der Welt ist.

Solcherart schaffenstriebgesteuert nimmt man dann auch gern das gestirnte Magazin zur Hand, das einem schon auf dem Titel die eigene Bekümmernis hilfreich zu erklären versprach: "Arbeit ist der neue Sex." Wie neu das sein soll, lassen wir mal dahingestellt, ergötzt sich der freudianisch interpretierte Mensch doch schon seit eh und je am hingebungsvollen Werkeln, um dunkle Triebe zu sublimieren.

Apropos dunkle Triebe: Da ja nun auch das Thema Sex im Alter weitgehend enttabuisiert wurde, fällt es schwer, den anhaltenden Bohei um die Rente mit 67 so ganz zu verstehen. Früher klopfte man den etwas greiseren Herrschaften geniert auf die noch rüstigen Finger, wenn sie an Knöpfen der Kleidung auserkorener Geschlechtspartner herumnestelten; heute sorgen sich die üblichen Verdächtigen der fürsorglichen Miserenverwaltung mit ihrem Warngeheul um den "wohlverdienten" und möglichst frühen Ruhestand angeblich erschöpfter Altarbeitnehmerkohorten.

Wenn aber nun Arbeit der neue Sex sein soll, was bitte sehr ist dieser entmündigende Schutzreflex vor angeblichen Zumutungen anderes als der alte moralinsaure Hinweis auf unschickliche Lüste? Er ist immerhin erklärbar in einem Land wie Deutschland, in dem - Achtung: Personalchefs und "Human Relations"-Aktivisten, hingehört! - das Leben mit 40 zwar erst richtig losgeht, aber das Personalmanagement aufhört. Und wenn erst mal die 50 nennenswert überschritten sind (nicht-)handelt nach dem Motto: Da, wo Sie sitzen, kann ich mir auch gut eine Zimmerpalme vorstellen.

Ein kurzer Blick in die Historie schadet nie, um sich noch einmal zu vergewissern, dass es richtig Neues unter der Sonne sowieso kaum gibt. Vor 30 Jahren also tobte der deutsche Politik-Streit um den Vorruhestand versus Wochenarbeitszeitverkürzung. Die Alten jedenfalls sollten endlich und beizeiten Platz machen für die vielen Jungen, die damals noch in Arbeit strebten, von Fachkräftemangel weit und breit noch keine Spur. Schon damals erhoben sich warnende Stimmen, etwa von der Altersforscherin und späteren Bundesministerin Ursula Lehr: "Wenn der Ruhestand da ist, merkt man schnell, dass Ausschlafen, Reisen und Hobbys nicht ausfüllen. Viele Pensionäre suchen verzweifelt nach Arbeit."

Für nicht wenige bedeutet das Ausscheiden aus einer bezahlten Beschäftigung der soziale Tod und der Beginn einer Lebenskrise. Oder, wie es der Bochumer Medizinprofessor Eugen Fritze ausdrückte: "Das lehrt jedenfalls die ärztliche und arbeitsmedizinische Erfahrung, dass viele während der aktiven Berufszeit die Rente und den Ruhestand herbeisehnen, wenn es soweit ist, aber daran hinsiechen." Er schien zu wissen, wovon er sprach. Fritze starb 2010 im Alter von 97 Jahren. Sex hin oder her: Wer länger arbeitet, lebt länger.

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