Arbeiten im Alter:Für immer Chef

Billionaire financier and Berkshire Hathaway CEO Warren Buffet greets shareholders during the Berkshire Hathaway Annual Shareholders meeting in Omaha

US-Investor Warren Buffett ist 85 Jahre alt und steht noch immer an der Spitze seines Unternehmens Berkshire Hathaway.

(Foto: REUTERS)
  • Zahlreiche Aufsichtsräte und Unternehmens-Patriarchen haben ein hohes Alter.
  • Sollte es eine Altersgrenze für Menschen in so verantwortungsvollen Führungspositionen geben? Darüber wird gestritten.

Von Karl-Heinz Büschemann

Der Mann feierte gerade seinen 93. Geburtstag, aber Sumner Redstone, eine der buntesten Figuren der amerikanischen Medienindustrie, hat noch immer Lust am Spiel mit den Milliarden. Gerade kämpft der alte Mann um seine Ehre. Ein paar leitende Herren aus dem Viacom-Konzern, zu dem etwa die TV-Kette CBS oder die Paramount Filmstudios gehören, halten den Alten für nicht mehr bei Sinnen. Der Viacom-Gründer und -Mehrheitsaktionär, der aus dem Hintergrund noch immer das entscheidende Wort in seiner Gruppe hat, sei "im Griff einer neurologischen Krankheit", er leide an Demenz, verminderter Wahrnehmungsfähigkeit und Gedächtnisverlust, stellten die Manager in ihrer Klage fest.

Schon zum zweiten Mal muss sich ein amerikanisches Gericht nun mit der Gesundheit des Milliardärs befassen. Erst vor wenigen Wochen hat ein Richter in Los Angeles die Klage einer Ex-Geliebten von Redstone verhandelt. Die hatte behauptet, ihr früherer Liebhaber sei geistig nicht mehr auf der Höhe und verlangte 70 Millionen Dollar, weil er sie nicht mehr um sich haben will. Der Richter hat die Klage abgeschmettert. Der bizarre Streit wirft die Frage auf, bis zu welchem Alter Senioren die Fäden in großen Unternehmen in der Hand behalten dürfen. Sie wird immer drängender, denn auch Manager werden älter, die Lebenserwartung und die Leistungsfähigkeit der Menschen nimmt ohnehin stetig zu, und das gilt natürlich auch für die Wirtschaft.

Mit fast hundert Jahren noch handlungsfähig

Auch Bertold Beitz, der Thyssen-Krupp-Patriarch, stand im hohen Alter zunehmend im Verdacht, dem Essener Stahlhersteller und Maschinenbauer mehr zu schaden als zu nutzen. Er regierte unerbittlich aus dem Hintergrund, bis er 2013 im Alter von 99 Jahren starb. Kurz davor aber traf er noch eine Entscheidung, die ihm kaum noch jemand zugetraut hatte: Er feuerte Gerhard Cromme, den Aufsichtsratsvorsitzenden von Thyssen-Krupp, und machte nach langem Zögern den Weg frei für eine überfällige Neuordnung des Krisenkonzerns. Beitz war also auch mit fast hundert Jahren noch handlungsfähig und hat damit seinen Ruf als Legende eher gefestigt. Als er zu Grabe getragen wurde, kam der Bundespräsident nach Essen.

Berthold Beitz erhält Verdienstorden

Der 99-jährige Berthold Beitz im November 2012: Er verwaltete das Erbe der Krupps und hielt bis zu seinem Tod im Jahr 2013 die Fäden beim Thyssen-Krupp-Konzern in der Hand.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Es kommt oft vor, dass in Unternehmen Menschen das Sagen haben, die das offizielle Rentenalter weit hinter sich gelassen haben. Bei VW trat der langjährige Konzernpatriarch Ferdinand Piëch im vergangenen Jahr erst unter Zwang vom Posten des Aufsichtsratschefs zurück, da war er 78 Jahre alt. Der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn versuchte, noch mit 72 Jahren als Chef der Berliner Flughafengesellschaft der Hauptstadt endlich einen neuen Airport zu geben. Der aus Ungarn stammende New Yorker Großinvestor George Soros ist mit seinen inzwischen 85 Jahren auf den Beinen ein wenig langsam geworden, doch noch immer erklärt er den Politikern Europas glasklar, was sie in der Euro-Krise oder bei den Flüchtlingsheeren falsch machen.

Wie lange können Menschen Schaltstellen besetzen?

Die Wirtschaft gilt als Treibhaus des Jugendwahns. In großen Industrieunternehmen oder Banken sind über 60-jährige Mitarbeiter kaum noch vorhanden, Fachleute rechnen eifrig vor, dass die deutschen Dax-Aufsichtsräte mit einem Altersdurchschnitt von fast 70 Jahren ungünstig besetzt sind. Trotzdem kann Warren Buffett zum Kultunternehmer werden. Der US-Investor aus dem wenig glamourösen US-Bundesstaat Nebraska ist 85 Jahre alt und steht noch immer an der Spitze seines Unternehmens Berkshire Hathaway. Er gehört zu den Reichsten dieser Welt. Und die britische Queen Elizabeth führt ihre "Firma", wie sie das Königshaus Windsor nennt, noch mit 90 Jahren - ohne Anzeichen irgendeiner Müdigkeit.

60 Jahre alt

sollten Topmanager beim Münchner Autobauer BMW höchstens sein. Dann müssen sie in der Regel aus dem aktiven Dienst ausscheiden, so ist es Brauch. Norbert Reithofer, 60, hat im vergangenen Jahr den Vorstandsvorsitz abgegeben und ist nun an die Spitze des Aufsichtsrats gewechselt.

Wie lange können Menschen Schaltstellen besetzen? Sollten Sie mit den traditionell üblichen 65 Jahren gehen oder schon mit 60, wie es der erfolgreiche BMW-Konzern für seine oberen Führungskräfte vorschreibt? Oder sollen sie erst gehen, wenn sie keine Lust mehr haben oder keiner sie mehr haben will?

Schwer zu sagen, sagt Jürgen Deller, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Universität Lüneburg. "Der eine", so sagt Deller, "ist mit achtzig noch leistungsfähig, der andere ist schon mit 50 vergreist." Wie lange ein Mensch erfolgreich bleiben kann, sei individuell sehr verschieden: "Ich bin gegen eine starre Altersgrenze, und plädiere für eine individuelle Prüfung."

Damit ist der Professor weit von der Praxis entfernt. Im Arbeitsleben sind individuelle Tests nicht vorgesehen. "Das ist ein Fehler", sagt der Lüneburger Professor, der damit an einem wichtigen Prinzip des Rechtsstaates rüttelt: der Gleichbehandlung. "Wir behandeln alle gleich", kritisiert er, "obwohl sich die Menschen ungleich entwickeln". Menschen seien heute auch jenseits der 65 und 70 noch leistungsfähig. Sogar mehr als früher.

Personalexperten reden vom "Sepp-Blatter-Effekt"

Die Frage, wann Schluss sein sollte mit der beruflichen Tätigkeit, bewegt die ganze Gesellschaft, sie treibt Politiker um und Unternehmen. Eine klare Antwort gibt es nicht, dafür umso mehr Streit. Gerade hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), selbst 73, vorgeschlagen, das Rentenalter in Deutschland über die bisher geplante Grenze von 67 Jahren hinaus zu verschieben. Man müsse die Altersgrenze "stärker flexibilisieren". Prompt kam Kontra vom Koalitionspartner SPD. Arbeitsministerin Andrea Nahles, 45, schimpfte: "Wenn mir einer mit Rente mit 70 kommt, werde ich sauer."

Diese Erregung kann der Schweizer Soziologe und Altersforscher François Höpflinger nicht verstehen: "Für die meisten Leute sind die Bedingungen gegeben, das Rentenalter zu erhöhen", sagt der Professor aus Zürich. Er spricht von einer soziokulturellen Verjüngung der Gesellschaft und behauptet, 70-Jährige fühlten sich heute so wie früher die 50-Jährigen.

Bei Top-Managern gebe es aber ein Sonderproblem. Sie blieben zu lange auf demselben Posten, das lasse sie bald an Leistungsgrenzen stoßen. Irgendwann seien sie nur noch damit beschäftigt, ihre Macht zu festigen, damit entfernten sie sich Schritt für Schritt von der Realität. Mancher verstehe nicht mehr, warum er irgendwann für den Posten nicht mehr geeignet sei. Höpflinger nennt dieses Phänomen in Anlehnung an den langjährigen Weltfußball-Präsidenten den "Sepp-Blatter-Effekt". Der ist gerade seinen Job losgeworden, im Alter von 80 Jahren.

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