Arbeiten als Wissenschaftler:Dozenten zweiter Klasse

Unterbezahlt, voll ausgelastet und alleingelassen: Lehrbeauftragte bilden das Prekariat der Hochschulen.

Georg Etscheit

David James Prickett hat eigentlich einen prima Job. Er ist Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen in und um Berlin. Der promovierte Germanist aus den USA hält Seminare zum Thema Genderforschung und gibt Sprachkurse.

Lehrbeauftragter! Das schmückt die Visitenkarte und macht sich gut im Lebenslauf. Doch die Realität sieht anders aus. Denn trotz der vielen Aufträge kann sich der Wissenschaftler gerade so über Wasser halten. 30 Euro pro Semesterwochenstunde - das ist herzlich wenig. Besonders dann, wenn man die umfangreichen Vor- und Nachbereitungszeiten berücksichtigt, die nicht vergütet werden. "Ich bin schon froh, dass ich überhaupt bezahlt werde", sagt Prickett. Denn viele Lehrbeauftragte können sich nur mit dem guten Ruf eines Hochschullehrers schmücken. Geld bekommen sie nicht für ihre Arbeit.

Eigentlich sollen Lehrbeauftragte hauptberuflich außerhalb der Hochschulen tätig sein und mit ihrem Spezialwissen - nebenberuflich - die Hochschulausbildung bereichern. Es gibt jedoch immer mehr Lehrbeauftragte, die, wie Prickett, mit mehreren, wechselnden Lehraufträgen ihren gesamten Lebensunterhalt bestreiten. Und das oft mehr schlecht als recht. Sie werden miserabel bezahlt, haben keine Sicherheit, weil die Aufträge jeweils nur für ein Semester erteilt werden, sind sozial schlecht abgesichert und haben kein Mitbestimmungsrecht in Hochschulangelegenheiten. Ihre Chancen auf einen festen Job im Wissenschaftsbetrieb sind minimal.

Diese hauptamtlichen Lehrbeauftragten seien schlicht billige und flexibel einsetzbare Arbeitskräfte für die Universitäten, kritisiert Andreas Keller vom Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Er wirft den Hochschulen vor, Lehrangebote, die von hauptamtlichen Kräften geleistet werden sollten, in Lehraufträge umzuwandeln. "Die Arbeit im wissenschaftlichen Bereich wird zunehmend prekär", sagt Keller. Die Leute würden wie hauptamtliche Kräfte beschäftigt, allerdings auf Honorarbasis und nicht selten mit Kettenverträgen. "De facto ist das eine Form von Scheinselbständigkeit."

Erhebungen des statistischen Bundesamtes bestätigen den Trend. Demnach ist die Zahl der Professoren seit 1995 trotz steigender Studentenzahlen zu-rückgegangen. Dafür war beim neben-beruflichen Personal ein deutlicher Anstieg zu beobachten. An Universitäten wuchs die Zahl der Lehrbeauftragten von 21453 im Jahr 1995 auf 26242 im Jahr 2004. Ähnlich sieht es an den Fachhochschulen aus, wo 1995 noch 14104 Lehrbeauftragte gezählt wurden gegenüber 19076 im Jahr 2004.

In Berlin stellen Lehrbeauftragte nach Angaben der GEW Berlin mit etwa 4000 Personen zahlenmäßig die dritt-größte Gruppe innerhalb des wissen-schaftlichen und künstlerischen Perso-nals. Sie erbringen an den Berliner Unis durchschnittlich zehn Prozent des regulären Lehrangebotes, an den künstlerischen Hochschulen und Fachhochschulen sollen es laut Gewerkschaft sogar bis zu 50 Prozent sein. Ohne sie, das kann man folgern, würde der Lehrbetrieb nur sehr eingeschränkt funktionieren.

Dozenten zweiter Klasse

Eine (nicht repräsentative) Umfrage der GEW unter Berliner Lehrbeauftragten aus dem letzten Jahr ergab, dass etwa drei Viertel der Befragten Lehraufträge erfüllen, die zu den Pflicht- und Wahlpflichtveranstaltungen gehören. Fast die Hälfte gab an, dass die Lehraufträge ihre Haupterwerbsquelle darstellen. Mit einem Drittel der Befragten war der Anteil jener Lehrbeauftragten, für die der Unijob lediglich ein Zubrot ist, deutlich kleiner.

Wenig überraschend auch die Angaben zur finanziellen Situation der Lehrbeauftragten. 60 Prozent gaben ein persönliches monatliches Netto-Einkommen von bis zu 1000 Euro an, 23 Prozent müssen sich gar mit 600 Euro begnügen. Pro Lehrveranstaltungsstunde erhielten die meisten Befragten ein Honorar in Höhe von gerade mal 30 Euro. Kein Wunder, dass die überwältigende Mehrheit den Lohn für ihre Leistungen als "eher" oder "völlig unangemessen" bewertete.

Zum Nulltarif

Geregelt wird die Entlohnung von Lehrbeauftragten durch Richtlinien der Bundesländer. In Bayern liegt die Vergütung beispielsweise zwischen 21 Euro für einfache Lehrbeauftragte und 50,50 Euro für "Lehrbeauftragte, deren Veranstaltungen eine besondere Bedeutung haben oder mit einer besonderen Belastung verbunden sind".

Die Fakultäten der Hochschulen haben bei der Ausgestaltung der "Lehrauftrags- und Lehrvergütungsvorschriften" erheblichen Spielraum. An der Technischen Universität München, eine der sogenannten Elitehochschulen, bewegen sich die Vergütungen, wie Unisprecher Dieter Heinrichsen bestätigt, konsequent an der untersten Grenze der Länder-Richtlinie, nämlich bei 20 Euro. Falls für die Dozenten überhaupt etwas herausspringt. Bei den Maschinenbauern etwa arbeiten Lehrbeauftragte grundsätzlich zum Nulltarif. Als Trostpflaster können sich viele Dozenten, zumindest theoretisch, Hoffnungen auf eine Honorarprofessur machen. Aber auch Honorarprofessoren erhalten in der Regel kein Geld für ihre Lehrtätigkeit.

In Berlin wurde das Salär der Lehrbeauftragten 2002 nach 14 Jahren Stillstand um etwa 30 Prozent angehoben. Praktisch hätten die Hochschulen, so die GEW, allerdings kaum Gebrauch von den höheren Stundensätzen gemacht, da sie nur in der niedrigsten Vergütungsgruppe dazu verpflichtet worden seien, sagt Matthias Jähne, Hochschulreferent der GEW Berlin. Auch auf die Forderung, den Lehrbeauftragten, wie bei manchen Berliner Volkshochschuldozenten, einen Zuschuss zur Kranken- und Rentenversicherung zu gewähren, stieß bislang, so Jähne, auf taube Ohren.

Obwohl sie eine Stütze des Wissenschaftsbetriebs sind, werden Lehrbeauftragte nicht nur kärglich entlohnt, sondern oft auch schlecht behandelt. "Man stört im akademischen Betrieb", klagt Prickett. "Hauptsache, die Kurse werden abgehalten, die Examen gemacht, und die Studenten bekommen ihre Scheine." Seine Aussage deckt sich mit den Ergebnissen der GEW-Umfrage, wonach die Mehrzahl der Lehrbeauftragten deutlich schlechter integriert ist, als hauptberuflich Beschäftigte.

Prickett ärgert besonders, dass er von seinen Studenten für einen hauptamtlichen Dozenten gehalten werde. "Die kommen zu mir, weil sie ein Zeugnis wollen, oder mit ihren Stipendienanträgen. Sie erwarten Dienstleistungen, für die ich gar nicht bezahlt werde."

Dass die Lage vieler Lehrbeauftragter unbefriedigend ist, sieht auch der Deutsche Hochschulverband, die Standesorganisation der Universitätsprofessoren. Verbandssprecher Matthias Jaroch kritisiert, dass anstelle einer Lehrstuhlvertretung zuweilen nur Lehraufträge erteilt würden, um Kosten zu sparen. Für "inakzeptabel" hält es Jaroch, die Lehrverpflichtungen von Privatdozenten mit einem unvergüteten Lehrauftrag zu versehen und in das Pflichtangebot der Uni einzubauen. Privatdozenten sind bereits habilitiert und müssen, um ihre Lehrbefugnis - die Venia Legendi - zu behalten, ein bestimmtes Lehrpensum vorweisen.

Auch Carsten Dose vom Wissenschaftsrat warnt davor, die Qualität der Lehre durch "Billiglösungen" zu gefährden. Der Wissenschaftsrat fordert ein "erneuertes System attraktiv bezahlter Lehraufträge". Dazu müssten die entsprechenden Länderverordnungen aufgehoben und die Bezahlung der Lehrbeauftragten den Unis überlassen werden. Im Gegenzug sollten diese "mehr Verantwortung für die Lehrbeauftragten übernehmen". David James Prickett wird davon vielleicht nichts mehr haben. Er hat sich in den USA um eine wissenschaftliche Stelle beworben. "In Deutschland sehe ich schwarz für mich", sagt er.

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