Arbeit für humanitäre Organisationen:Im Notfall

Flüchtlingslager in Russland

Neben Fachpersonal werden auch Menschen gesucht, die sich ohne Ausbildung eine bestimmte Aufgabe zutrauen.

(Foto: Ulf Mauder/dpa)

Flüchtlingsströme, Naturkatastrophen, Epidemien - jedes Elend schafft auch einen Arbeitsmarkt für Helfer aus aller Welt. Was sind das eigentlich für Menschen, die in Krisengebieten arbeiten?

Von Jeannette Goddar

Als am zweiten Weihnachtstag des Jahres 2004 vor der Küste Sumatras die Erde bebte und der Region eine beispiellose Katastrophe bescherte, war Caren Braun gerade mit Sack und Pack zurück bei ihren Eltern. Ihr Job als Aufbauhelferin in Bosnien war zu Ende, sie suchte eine neue Aufgabe. Kurz darauf rief das Deutsche Rote Kreuz bei Caren Braun an, nach Monaten, in denen ihre Bewerbung dort kein Interesse hatte wecken können. Nun war Bedarf, und zwar fix.

Die junge Architektin stellte sich morgens vor, nachmittags war sie eingestellt. Im selben Monat zog sie für zwei Jahre nach Banda Aceh - in eine Stadt, in der Zehntausende Menschen ihr Leben verloren hatten. "Ein bisschen Muffensausen kam erst auf dem Weg zum Flughafen", sagt sie, "vorher hatte ich keine Zeit." Nachher übrigens auch nicht: Ihre neuen Kollegen zeigten ihr das Haus, in dem sie alle auf Matratzen schliefen. Zeit, sich um Betten zu kümmern, hatte niemand.

Arbeit für humanitäre Organisationen: Nach dem Tsunami vor zehn Jahren baute die Münchner Architektin Caren Braun im indonesischen Banda Aceh ganze Dörfer wieder auf.

Nach dem Tsunami vor zehn Jahren baute die Münchner Architektin Caren Braun im indonesischen Banda Aceh ganze Dörfer wieder auf.

(Foto: privat)

Caren Braun machte sich an die Arbeit: Sie schrieb Stellen für Personal aus, besichtigte Grundstücke, Schulen, Krankenhäuser oder das, was von ihnen übrig war. Entwarf Projektanträge, Arbeitsverträge, Ausschreibungen. Später baute sie ganze Dörfer wieder auf. Mit 28 Jahren. Gezweifelt, ob sie das kann, hat sie nie: "Schon in Bosnien habe ich gemerkt, dass das Arbeiten im Ausland unter schwierigen Bedingungen etwas für mich ist." Dazu kam, dass es in Deutschland fast keine Stellenangebote für Architekten gab: "Der Job war schlicht eine Riesenchance". Für sie wie für Tausende andere. Allein in die indonesische Provinz Aceh waren mehr als 600 Hilfsorganisationen im Einsatz.

Jede Krise und jede Katastrophe schafft auch einen Arbeitsmarkt. Nach Erdbeben oder Wirbelstürmen zum Beispiel für Bauingenieure oder Architekten oder, wie zuletzt in der von Ebola betroffenen Region, für medizinisches Personal. Und für Mitarbeiter, die selten in der Öffentlichkeit stehen: Projektmanager, Logistiker und Administratoren zum Beispiel. Unter ihnen sind eine Reihe, die den Beruf nicht von Grund auf gelernt haben, oftmals, weil es gar keine einschlägige Ausbildung gibt.

Das zeichnet den Jobmarkt in der internationalen Zusammenarbeit, von dem Katastropheneinsätze den kleinsten Teil ausmachen, ohnehin aus: Häufig werden dort Menschen gesucht, die sich die Aufgabe zutrauen, und weniger solche, die diesen oder jenen Abschluss haben. Was schließlich sollte man studiert haben, um zivilgesellschaftlichen Organisationen in Burundi zur Seite zu stehen oder Landkonflikte in Kolumbien zu moderieren? Und könnte nicht auch ein Journalist mit Auslandserfahrung und organisatorischem Talent lokale Radiosender in Togo beraten? Oder ist das zu einfach gedacht?

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Wie muss ein Bewerbungsschreiben aussehen? | Darf ich im Lebenslauf schummeln? | Was gilt es im Vorstellungsgespräch zu beachten? | Wie läuft ein Assessmentcenter ab? Der Bewerbungs-Ratgeber von SZ.de gibt Tipps.

Psychologisch begleitete Vorstellungsverfahren

"Nicht unbedingt", sagt Ulrich Heise, Personalverantwortlicher bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), dem deutschlandweit größten Arbeitgeber in diesem Bereich. Etwa 600 neue externe Mitarbeiter starten jährlich in eins von rund 130 Ländern, darunter viele, die üblicherweise mit Stellenangeboten nicht überversorgt werden. "Wirtschafts- und Politikwissenschaftler gehören zu unseren häufigsten Mitarbeitern", sagt Heise, "gefolgt von Umwelt- und Agrarwissenschaftlern und Geografen." Ein Plus ist Verwaltungserfahrung: Die GIZ berät Behörden und Regierungen zu einer ganzen Palette von Themen - von Gesundheit über Lehrerbildung bis zum Steuersystem. "Da liegt die Frage auf der Hand: Wie macht ihr das in Deutschland?", sagt Heise.

So wichtig wie fachliches Wissen sind Sprachkenntnisse und soziale Kompetenzen. Englisch ist in der Regel Bewerbungssprache. Wer Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Arabisch, Chinesisch oder Russisch spricht, verbessert seine Chancen. Komplexer sind die sozialen Anforderungen, die bereits in der Ausschreibung oft als etwas so schwer Fassbares wie "interkulturelle Kompetenz" oder "Ambiguitätstoleranz" daherkommen. Damit gemeint ist vieles, unter anderem die zentrale Notwendigkeit, mit lokalem Personal fair und verständig zu arbeiten.

"Natürlich tickt ein Trupp indonesischer Bauarbeiter anders als ein Trupp deutscher", sagt Caren Braun, "erst recht in einer Lage, in der viele gerade ihre Familie verloren haben." Mit Vorträgen über deutsche Tugenden in den ersten Arbeitstag zu gehen, sei da kaum angezeigt. Sie selbst bekam den wichtigsten Tipp in ihrem Vorbereitungskurs: "Wenn du früh handelst, kannst du früh viel kaputt machen. Schau dich erst einmal um!"

Um herauszufinden, wer sich für den Job in einer anderen Welt eignet, sind die meisten Organisationen zu gründlichen und von Psychologen begleiteten Vorstellungsverfahren übergegangen. Bei internationalen Organisationen finden diese häufig in der Zentrale statt. So schickt die deutsche Sektion der Ärzte der Welt (Médecins du Monde) mit Sitz in München ihre Bewerber zum ganztägigen Assessment nach Paris. Wer beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz arbeiten möchte, reist nach Genf. Dort wird, wer die Vorstellung übersteht, einem mehrwöchigen "Integrationskurs" unterzogen: In beeindruckender Realitätstreue, wie Fernsehdokumentationen beweisen, werden Bewerber im schweizerischen Wald über Tage in vermeintliche Hinterhalte schwer bewaffneter Guerilleros oder Soldaten gelotst. Wer sich nicht bewährt, reist nicht aus.

Vor dem Einsatz

Die GIZ wählt jedes Jahr 20 Bewerber (mindestens mit Bachelor) für ein Trainee-Programm aus, das acht Monate ins Ausland und drei Monate in eine multilaterale Organisation wie die Weltbank führt. Jobangebote finden sich außer auf den Websites der Hilfsorganisationen bei epojobs.de, oneworld.at oder globaljobs.org. Einige Hochschulen bereiten auf Jobs in der internationalen Hilfe vor. Hier eine Auswahl:

- Master Internationale Beziehungen und Entwicklungshilfe, Uni Duisburg-Essen

- Master Humanitäre Hilfe, Ruhr-Universität Bochum

- SLE-Studium, Humboldt-Uni Berlin (für Postgraduierte mit Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit)

- Master International Development Studies, Universität Marburg

- berufsbegleitender Master Entwicklungszusammenarbeit, TU Kaiserslautern

- Master of Science in International Health, Universität Heidelberg

- Master of Disaster Management, Universität Kopenhagen (für Berufserfahrene)

- Master International Migration and Refugee Law, Universität Amsterdam

- Kompetenzzentrum Humanitäre Hilfe an der FH Münster (vermittelt Studenten aller Fachrichtungen Kenntnisse in Nothilfe)

Im Falle des Bestehens gibt es fast immer einen Vertrag auf Zeit. Eine Ausnahme ist die GIZ, die immerhin jeden dritten Auslandsmitarbeiter fest beschäftigt. Ein typischer Lebenslauf sieht dann zum Beispiel so aus: Drei Jahre Daressalam, vier Jahre Eschborn, vier Jahre Hanoi. "Es gibt Phasen, in die Auslandseinsätze gut passen", sagt GIZ-Personaler Ulrich Heise, "und solche, in denen Menschen lieber eine Weile in Deutschland arbeiten."

Auch Caren Braun hat nach Bosnien, Indonesien und später noch Afghanistan wieder ein Zuhause in Deutschland. In Eichenau bei München hat sie eine Familie gegründet und sich als selbständige Bauberaterin auf Kosten- und Terminmanagement spezialisiert - beides Dinge, die sie unterwegs gründlich gelernt hat. Von ihren Auslandseinsätzen mitgebracht habe sie vor allem eines, sagt sie: "Eine anhaltende Demut, wie gut wir es hier haben."

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