Antrittsvorlesung:Margot Käßmann, die angespannte Professorin

Die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann hält ihre erste Vorlesung als Gastprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum. Zwischenrufe gibt es keine - außer beim Frühstück.

Matthias Drobinski

Ein in Beton gegossenes Zelt ist das Audimax der Ruhr-Universität Bochum, ein oktogonal himmelstrebender Raum mit mächtiger Orgel an der Stirnseite; die Holztäfelung, das Parkett, die orange bezogenen Stühle machen ihn warm. Eine dunkelhaarige Frau steht am Pult im Lichtkreis, klein und zerbrechlich vor dem Gebirge der Ränge, gefüllt mit 1800 Menschen, älter als das durchschnittliche Universitätspublikum. Margot Käßmann ist wieder da, die ehemalige Bischöfin von Hannover und Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), ein knappes Jahr nach dem Rücktritt. 2011 ist sie Gastprofessorin, sie hält ihre Antrittsvorlesung über die "Multikulturelle Gesellschaft".

Käßmann Gastprofessorin

Margot Käßmann steht im Audimax der Ruhr-Universität in Bochum, bevor sie ihre erste Vorlesung hält.

(Foto: dpa)

Sie hat schon in Berlin gepredigt, wo sie jetzt wohnt, sie war bei der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth, wo Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg sie zum Truppenbesuch eingeladen hat, weil sie doch vor einem Jahr gesagt hat, nichts sei gut in Afghanistan. Dem jetzigen EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider nötigte das die Klarstellung ab, er werde als erster nach Afghanistan reisen, woraufhin Käßmann Guttenbergs Angebot ausgeschlagen hat - es ist nicht ganz einfach, wenn die strahlende Frau des Protestantismus nach einem halben Jahr Amerika zurückkommt. In Bochum aber freuen sie sich, dass da jemand der oft unterschätzten Uni Glanz bringt. Die Studenten haben ihr Kuchen gebacken, Uni-Präsident Elmar Weiler ist stolz, die evangelische Dekanin Isolde Karle auch.

Über die multikulturelle Gesellschaft liest Margot Käßmann also, am Anfang zu schnell und mit hochgezogenen Schultern, was ihre Anspannung verrät. Die Migration, sagt sie, sei ein "urbiblisches Motiv", das Buch der Bücher voller Geschichten von Flucht und Aufbruch und Wanderung. Sie sagt, ohne Migration, ohne die Völkerwanderung, sei das christliche Abendland "gar nicht erst entstanden". Und zitiert den Philosophen Immanuel Levinas, wonach man aushalten müsse, dass der Fremde fremd sei; der Versuch, ihn zu verstehen, ihn einzuordnen, sei der Versuch, von ihm Besitz zu ergreifen. Religiöse und kulturelle Differenzen sollten weder eingeebnet noch zur Ausgrenzung des Anderen verwendet werden, das ist ihr Plädoyer.

Dann mäandert die Vorlesung noch ein bisschen durch die Statistiken, die belegen, dass Migranten zwar Probleme haben und manchmal auch machen, sie aber insgesamt kein Problem sind; Margot Käßmann erzählt von dem Franzosen, der Greenpeace, Weihnachten und Edeka liebt, der Iranerin, deren Kinder in den evangelischen Kindergarten gehen, den Deutschen in den USA, die hingebungsvoll Oktoberfest feiern - wer ist da wie deutsch, multikulturell, integriert? Die Deutschen sollten stolz auf ihre Integrationsleistungen sein, findet sie. Statt "Probleme und Konfrontationen klein zu reden" gehe es nun darum, "konstruktive Konzepte eines Miteinanders der Verschiedenen zu entwerfen".

Da mag keiner empört dazwischenrufen, überhaupt fehlt die direkte Kritik an der Regierung oder sonstwem; der einzige Sarrazin, den sie zitiert, heißt Manuel und ist Bundestagsabgeordneter der Grünen. Es springt auch der Funke nicht so über wie beim ökumenischen Kirchentag in München, aber es sitzt ja schließlich kein Kirchentagspublikum im Audimax. Die Zuhörer jedenfalls danken mit warmem Applaus, es setzt sich der Medizinprofessor Hans-Joachim Trappe an die Orgel, Bachs Toccata bläst mächtig und mit kleinen Fehlern aus den Pfeifen.

Dann steht sie draußen, die Leute drängen sich um sie und erzählen ihre Geschichten und können kaum aufhören damit, sie lächelt, hört zu. Am Morgen im Hotel, ist schon beim Frühstück einer der Geschäftsreisenden aufgesprungen, als sie kam, und hat gesagt: Ihretwegen bin ich noch in der evangelischen Kirche. Sie ist zurück, Margot Käßmann.

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