Fremdsprache:So werden Sie zum Russischversteher

Fremdsprache: Zu Zeiten Gorbatschows wollten viele Russisch lernen, seither ist das Interesse abgeflaut.

Zu Zeiten Gorbatschows wollten viele Russisch lernen, seither ist das Interesse abgeflaut.

(Foto: Konstantin Trubavin/Mauritius Images)

Russisch zu lernen, ist schwierig, was auch an der kyrillischen Schrift liegt. Doch es lohnt sich, denn schon ein paar Worte wirken in beruflichen Verhandlungen als Eisbrecher.

Von Ingrid Brunner

Warum sollte jemand Russisch lernen? Und ausgerechnet jetzt? Eine Antwort jenseits politischer Aktualität gibt Leo Weschmann, Institutsleiter des Russicums, der Russlandabteilung am renommierten Landesspracheninstitut der Ruhr-Universität Bochum (LSI): "Je nach Zählweise sprechen etwa 250 Millionen Menschen Russisch." Da seien die Sprecher in der Russischen Föderation, in den ehemaligen Sowjetstaaten und auch die in Deutschland lebenden Aussiedler mitgezählt. Eine stattliche Zahl. Ins LSI kommen Diplomaten, Manager und Politiker, um eine seltene Fremdsprache, nicht nur Russisch, schnell zu erlernen. Im Russicum wurden sogar schon europäische Astronauten für ihren Einsatz in der russischen Raumfahrt sprachlich fit gemacht.

Doch das Interesse am Russischen nehme kontinuierlich ab, das sei bedauerlich, sagt Weschmann. "Lediglich in den Jahren der Gorbatschow-Begeisterung gab es einen merklichen Aufschwung, der hat aber nicht angehalten." Nimmt man etwa Italien mit seinen gut 60 Millionen Einwohnern und sieht sich an, wie viele Menschen Italienisch lernen, wird das Missverhältnis noch deutlicher. Nun ist Russland im Gegensatz zu Italien als Reiseziel nicht massentauglich. Wie aber sieht es im Geschäftsleben aus? "In den großen russischen Städten kommt man auch mit Englisch zurecht", sagt Weschmann, "aber in den Regionen, wo das Öl- und Gasgeschäft über die Bühne geht, stößt man schnell an die Grenzen der Kommunikation."

Schon mit ein paar Worten Russisch komme man von der Sachebene auf die persönliche Ebene, das sei in Verhandlungen häufig der Eisbrecher. "Bereits eine Begrüßung oder eine Freundlichkeit wird von den Russen hoch geschätzt", sagt Weschmann. Mit den Russlandtagen am LSI in Bochum am 28. und 29. Oktober soll auch ein wenig das Eis zwischen den Kulturen gebrochen werden. Russische Filme, Literatur, Musik, Workshops und Mini-Sprachkurse dürften viele neugierig machen auf die Nachbarn im Osten Europas.

Vielleicht ist es doch keine schlechte Idee, eine Woche "Russisch am See", so der Name des Kurses der Volkshochschule München, zu buchen. Und klingt das nicht ein wenig nach Tolstoi? Nach einer Kutschfahrt vom Gut zum nächsten birkenumstandenen Gewässer? Nun, ganz lässt sich diese Illusion im Seminarhaus Buchenried am Starnberger See nicht herbeizaubern. Doch immerhin, es ist Sommer, und der See liegt direkt vor der Haustür. Die Anfänger tauchen da gerne erst mal ab, um ihre Sprachlosigkeit noch ein klein wenig zu verbergen. Bei der Vorstellungsrunde ist es dann ein wenig wie beim Schulanfang: Die oberen Klassen können schon so viel, das schüchtert ein, die Beginner halten sich erst mal still. Doch das soll nicht so bleiben. Vier Dozenten, drei Frauen und ein Mann, allesamt Muttersprachler und erfahrene Russisch-Lehrer, nehmen die Teilnehmer unter ihre Fittiche.

Von Schüchternheit will Andzhela Klos-Golovanova nichts hören. Resolut und mit mitreißender Energie lässt die Russin aus St. Petersburg den Anfängern keine Zeit für Selbstzweifel. Los geht das Abenteuer; das kyrillische Alphabet mit seinen Tücken und auch seiner Schönheit will erobert werden. Von den 33 Buchstaben sehen einige aus wie Spiegelschrift, andere sehen leider nur aus wie lateinische Buchstaben, wieder andere sind da, werden aber nicht gesprochen. Das ist viel Stoff, bevor man überhaupt daran denken kann, sich mit Konjugationen und Deklinationen zu befassen. "Russisch mit seinen sechs Fällen gehört nicht zu den leichtesten Sprachen der Welt", räumt die Dozentin ein.

Worte wiederholen, bis die Lehrerin "Harascho" sagt

Nun ist man aber schon mal da, und im Schutz der Kleingruppe haben die vier Teilnehmer keine Scheu, von Anfang an zu sprechen - und auch keine Ausrede. Denn das Tolle und zugleich das Anstrengende an einer kleinen Gruppe ist, dass man sich nicht bequem zurücklehnen und die anderen mal machen lassen kann. Im Durchschnitt kommt man bei vier Leuten eben jedes vierte Mal dran. Das ist sehr intensiv. Den Teilnehmern raucht der Kopf.

"Die Aussprache muss von Anfang an korrekt sein, das ist wichtig", da ist Andzhela unerbittlich, man wiederholt ein Wort, einen schwierigen Laut so oft, bis sie "Harascho!" sagt. Was das wohl heißt, dieses ständige Harascho? Irgendwann fällt der Groschen. Das bedeutet "okay" oder "in Ordnung". Und als man endlich alle kyrillischen Buchstaben zusammenhat, um Harascho in kyrillischer Schrift schreiben zu können, ist man das erste Mal ein bisschen stolz. Doch dann sagt Andhzela: "Das Alphabet, schön und gut." Aber es gebe ja neben der Aussprache noch die Grammatik und den Wortschatz. Damit nicht genug - es gibt auch im Russischen eine Schreibschrift, die der Druckschrift nur wenig ähnelt. In Groß- und Kleinschreibung macht das noch einmal 66 neue Buchstaben. So mühen sich vier Erwachsene wie Erstklässler, russische Vokabeln und kleine Dialoge in Druck- und in "schöner" Schreibschrift zu üben.

Von Anfang an gibt es kleine Grammatik-Lektionen, zum Plural, zum Genitiv, man lernt Ausnahmen zu den Aussprache-Regeln. Eine Menge Stoff, der da zwischen Viertel nach neun und sechs Uhr abends auf einen niederprasselt. Gut, dass das Küchenteam nachmittags frisch gebackenen Kuchen bereitstellt, das motiviert. Und wenn dann doch mal die Luft raus ist, macht die Dozentin einen Exkurs in die russische Landeskunde, erzählt vom Alltag der Menschen in Russland, über das Schulsystem, über Sitten und Traditionen. Ein Sprachkurs ist stets auch eine Einführung in eine andere Kultur, man lernt, die Mentalität der Menschen zu verstehen.

Jede Kursstufe hat ihre eigenen Schwierigkeiten. Eine Frau aus Leipzig, die in der DDR Russisch gelernt hat, erzählt, dass sie mit Wortschatz und Grammatik noch überraschend fit sei. "Aber die Aussprache! Meine Dozentin sagt, die Aussprache stimmt hinten und vorne nicht." Sie bestätigt damit, wie recht Andzhela hat, so auf der richtigen Aussprache zu beharren. Was nützen schon ein toller Wortschatz und die Grammatik, wenn kein Russe das Gesagte versteht? Und es bestätigt auch, wie wichtig es ist, von Muttersprachlern unterrichtet zu werden: Der Lehrer der Leipziger Kursteilnehmerin war ein Deutscher.

Nun wird man in einer Woche weder perfekt Russisch sprechen lernen, noch wird man deshalb gleich zum mittlerweile oft geschmähten "Russlandversteher". Sechs bis sieben Semester an der Volkshochschule wären notwendig, um die Sprache halbwegs zu beherrschen, sagt Andzhela Klos-Golovanova. Immerhin: In fünf Tagen haben die Anfänger den Stoff eines Volkshochschulsemesters durchgenommen. Sie sind nun in der Lage, sich auf Russisch vorzustellen, einfache Fragen zu stellen und Texte auf Plakaten, Schildern, Wegweisern zu entziffern. Darauf lässt sich aufbauen. Der nächste Kurs "Russisch am See" - dieses Mal im Winter - kann kommen.

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