Angriffe am Arbeitsplatz:Wenn es brenzlig wird

Im Jobcenter, bei der Fahrkartenkontrolle oder auf Polizeistreife: In einigen Berufen müssen Beschäftigte mit Pöbelei oder Gewalt rechnen. Trainings und Verhaltensregeln sollen helfen.

Von Sabine Meuter/dpa

Fahrkartenkontrollen im HVV-Gebiet

Bei der Fahrkartenkontrolle sehen manche Menschen rot. In Deeskalationstrainings lernen die Kontrolleure, mit kritischen Situationen umzugehen.

(Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Höflichkeit und Respekt sind im Job eigentlich Pflicht. Und vor allem im Kontakt mit Kunden. Doch nicht immer zahlt es sich aus: In einigen Berufen haben Beschäftigte ein erhöhtes Risiko, angepöbelt, beleidigt und im schlimmsten Fall sogar körperlich angegriffen zu werden. Hundertprozentige Sicherheit am Arbeitsplatz kann kein Unternehmen seinen Mitarbeitern garantieren. Aber es gibt Vorsichtsmaßnahmen - und oft auch Notfallpläne.

Es war im September 2012, als ein 52-Jähriger im Jobcenter in Neuss mit zwei Messern eine Mitarbeiterin angriff. Die 32-jährige Mutter starb wenig später im Krankenhaus. Die Bluttat löste bundesweit Entsetzen aus - und hatte zur Folge, dass die Sicherheitsvorkehrungen in Jobcentern weiter erhöht wurden.

Mitarbeiter nehmen beispielsweise regelmäßig an speziellen Trainings teil. "Solche Deeskalationsschulungen gibt es bei uns seit jeher, und sie werden auch ständig auf den Prüfstand gestellt", sagt Jürgen Hennigfeld vom Jobcenter Düsseldorf. In einem Rollenspiel üben die Teilnehmer dabei zum Beispiel, in einer emotional aufgeladenen Situation dem Gegenüber zuzuhören, Wertschätzung zu signalisieren und auf das Gesagte gefühlvoll einzugehen. Negative Bewertungen und Vorwürfe müssen dabei außen vor bleiben. Mitarbeiter sollten Bemerkungen vermeiden, die den Redefluss des Kunden hemmen könnten - etwa "Was für ein Unsinn!" oder "Wie konnten Sie bloß?" So kann der Kunde im wahrsten Sinne des Wortes Dampf ablassen. Anschließend sichert der Beschäftigte seinem Gegenüber zu, nach einer Lösung zu suchen.

Karl-Josef Thielen, Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik

"Bei einem Überfall sollte man niemals den Helden spielen."

Neigt ein Jobcenter-Besucher zu Gewalt, hilft das eventuell aber nicht mehr. Für solche Fälle gibt es in vielen Behörden inzwischen Notfallpläne. Dazu gehört etwa, dass der Mitarbeiter von seinem Schreibtisch aus jederzeit schnell durch eine Tür ins Nachbarbüro gelangen kann. An vielen Computern gibt es Knöpfe, über die hausintern ein Alarm ausgelöst wird. Grundsätzlich gilt zudem: In Amtsstuben mit Kundenverkehr sollten gefährliche Gegenstände wie etwa Scheren oder Brieföffner nicht offen herumliegen.

"Jobcenter-Besucher, die gegenüber Beschäftigten körperlich gewalttätig werden, sind zum Glück Einzelfälle", sagt Hennigfeld. Bei der Polizei ist das anders: Die Einsatzkräfte müssen regelmäßig anderen helfen, die in Gefahr sind - und gleichzeitig darauf achten, dass sie nicht selbst zum Opfer werden. "Das situationsgerechte Verhalten wird in taktischen Trainings immer wieder realitätsnah erprobt und ist zentraler Bestandteil der Aus- und Fortbildung von Polizisten", erklärt Victor Ocansey vom Landesamt für Ausbildung der Polizei Nordrhein-Westfalen.

Polizisten sind prinzipiell im Team unterwegs, während des Einsatzes kommunizieren sie durch Blicke und Zeichen miteinander. In einer Gefahrensituation hat es für die Einsatzkräfte Priorität, mögliche Opfer in Sicherheit zu bringen. Dann geht es darum, die Situation zu entschärfen. "Eine direkte Ansprache des Täters oder der Täter ist dabei das A und O", sagt Ocansey. Dabei ist auch die Stimmlage wichtig. Zunächst ist der Tonfall etwa begütigend und dann, wenn es die Situation erfordert, bestimmter.

Auch im öffentlichen Personennahverkehr müssen Fahrer und Fahrkarten-Kontrolleure mit aggressiven Kunden rechnen. "In den Fahrerkabinen vieler Busse und Bahnen gibt es Notfallknöpfe, die bei Bedarf betätigt werden können", sagt Axel Schad von der Nahverkehrsgewerkschaft in Köln. Auch werden für die Beschäftigten Deeskalationskurse angeboten. In den Seminaren trainieren sie die Vorgehensweise in brenzligen Situationen: als Erstes die Polizei rufen, dann eventuell Platzverweise erteilen und vor allem für die Sicherheit von unbeteiligten Fahrgästen sorgen.

Für Mitarbeiter im Kassenbereich von Supermärkten oder Tankstellen kann es ebenfalls gefährlich werden - bei einem Raubüberfall zum Beispiel. Davor schützt unter anderem die Technik: "Oft kann es auf potenzielle Täter schon abschreckend wirken, wenn sie im Eingangsbereich darauf hingewiesen werden, dass das Geschäft videoüberwacht wird", sagt Karl-Josef Thielen von der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik in Bonn.

An vielen Kassen gibt es auch Notfallknöpfe für die Mitarbeiter, über die sie schnell Hilfe holen können. In Schulungen können die Beschäftigten außerdem das Verhalten im Falle eines Falles trainieren. Eine wichtige Botschaft: "Bei einem Überfall niemals den Helden spielen", betont Thielen. Bevor sie verletzt werden, sollten Beschäftigte lieber das Geld herausrücken.

Was die Polizei rät

Beleidigung, Nötigung, Sachbeschädigung oder gar Körperverletzung - an manchen Arbeitsplätzen sind Beschäftigte besonders oft aggressiven Übergriffen ausgesetzt. Ein gesprächsforderndes Verhalten (offene Körperhaltung, Blickkontakt, aktives Zuhören) kann helfen, die Situation zu entspannen. Außerdem empfiehlt es sich zum Beispiel, immer nur eine Person im Büro zu empfangen, beim Besuch schwieriger Kunden Kollegen hinzuzuziehen oder Gegenstände wie Scheren oder Brieföffner, die als Wurfgeschosse eingesetzt werden können, nicht auf dem Tisch liegen zu lassen. Eine Broschüre der Polizei informiert darüber, was in Krisensituationen und im Anschluss daran zu tun ist.

Sie kann kostenlos bestellt und gelesen werden unter www.polizei-beratung.de, "Gewalt am Arbeitsplatz" im Menü eingeben. SZ

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