Angela Merkel auf Bildungsreise:Alltag im Mangel

Kanzlerin Merkel ruft die "Bildungsrepublik" aus. Doch es fehlen Erzieherinnen und Lehrer, Migranten und Kinder armer Familien werden in Schulen benachteiligt und Unis fehlt Geld.

Birgit Taffertshofer

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Kanzlerin Angela Merkel will Deutschland zur "Bildungsrepublik" machen. Deshalb startete sie am Donnerstag eine Reise durch Deutschland, um sich über die Arbeit in vorbildlichen Kindergärten, Schulen, Ausbildungsbetrieben und Universitäten zu informieren. Gut ist, dass es solche Vorbilder gibt, doch der Alltag sieht meist anders aus: Es fehlen qualifizierte Erzieherinnen und Lehrer, Migranten und Kinder armer Familien werden in Schulen benachteiligt, Hochschulen fehlt Geld.

Einige Projekte haben Bund und Länder bereits angestoßen, wie zum Beispiel den Ausbau der Kleinkinderbetreuung oder den Ausbildungsbonus für Lehrlinge, die keinen oder einen niedrigen Schulabschluss haben und sich schon lange um eine Stelle bemühen. Doch bisher neigt Deutschland keineswegs zu großen Sprüngen, wenn es um Bildungsausgaben geht. Schon jetzt steht fest, dass die Vereinbarung der EU-Staats- und Regierungschefs von Lissabon, Europa bis zum Jahr 2010 durch Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Forschung zur effektivsten Wirtschaftsregion der Welt zu machen, nicht umgesetzt werden kann. Deutschland wird das Ziel, drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Wissenschaft und Forschung auszugeben, bis 2010 nicht mehr erreichen.

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Die Bundeskanzlerin sieht die Bildung deshalb neuerdings als nationale Aufgabe an. Sie verweist gerne auf den Rückgang des Bildungsanteils am Bruttosozialprodukt von 6,9 auf 6,2 Prozent seit 1995. Was nichts anderes bedeutet, als dass sie die Länder wohl allein für überfordert hält. Ihre Begeisterung für Bildung ist insofern bemerkenswert, weil es vor allem das Ziel der Union war, mit der 2005 von der großen Koalition umgesetzten Föderalismusreform, den Ländern ein nahezu alleiniges Gestaltungsrecht in Bildungsfragen zuzubilligen.

Um so schwieriger gestaltet sich nun der Bildungsgipfel im Oktober in Dresden, bei dem Merkel die Ministerpräsidenten der Länder für eine gemeinsame Bildungsreform mit dem Bund gewinnen will. Im Bereich Forschung und Hochschulen zeichnen sich zwar schon Milliardeninvestitionen ab, doch ansonsten finden sich bisher wenig konkrete Pläne. Und vor allem in der Schulpolitik wollen sich die Länder auf keinen Fall vom Bund hineinreden lassen wollen. Es wird sich also erst beim Bildungsgipfel zeigen, ob sich Merkel mit den Ministerpräsidenten auf echte Reformen einigt oder ob sie ihnen nur bloße Absichtserklärungen abringen kann. Einige fürchten eher eine Showveranstaltung. Dass der Bund aber wichtige Impulse in der Bildungspolitik setzen kann, hat die rot-grüne Bundesregierung 2003 mit einem milliardenschweren Ganztagsschulprogramm bewiesen.

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In Kindertagesstätten hat sich zuletzt einiges getan. Der Anteil der Dreijährigen, die in eine Kita gehen, stieg zwischen 2004 und 2007 um zehn Prozentpunkte auf 90 Prozent in Ostdeutschland und knapp 80 Prozent in Westdeutschland. Zwar plant der Bund den weiteren Ausbau der Kleinkinderbetreuung, doch dafür werden allein für unter Dreijährige bis zu 80.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt.

Diese fehlen, denn die Frühpädagogik ist in Deutschland laut dem Nationalen Bildungsbericht "weder als Profession noch als Disziplin" entwickelt. Gerade Migrantenkindern fällt der Übergang vom Kindergarten in die Schule schwer, deshalb soll die Sprachförderung verstärkt werden. Vielen Erziehern fehlt aber die Ausbildung, um Migrantenkindern Deutsch vermitteln zu können und deren Eltern samt ihrem kulturellen Hintergrund einbeziehen zu können.

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Tausende Schüler scheitern an Barrieren im deutschen Bildungssystem. Fast 80.000 junge Menschen verlassen die Schule jedes Jahr ohne einen Abschluss, das sind fast acht Prozent eines Jahrgangs. Jeder fünfte 15-Jährige kapituliert vor einfachen Lese- und Mathematikaufgaben. Migrantenkinder stehen auf allen Bildungsstufen schlechter da - auch wenn sie gute Leistungen bringen. Schulabbrecher und Hauptschüler haben große Mühe, eine Ausbildung zu beginnen.

Die Länder wollen beim Bildungsgipfel zum wiederholten Mal versprechen, die Zahl der Schulabbrecher zu halbieren und die Durchlässigkeit zwischen den Bildungswegen zu verbessern. Bisher blieb das jedoch folgenlos. Auch ist es nicht gelungen, die Ausbildung der Lehrer bundesweit zu vereinheitlichen und genügend Nachwuchs zu gewinnen. Die Hälfte der Lehrer ist bereits älter als 50 Jahre.

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Lebenslanges Lernen ist wichtig. Es gibt wohl kaum einen Politiker, der dem nicht zustimmen würde. Denn angesichts des raschen Fortschritts kann sich niemand darauf verlassen, dass er den erlernten Beruf ein Leben lang ausüben kann. Berufswechsel nehmen zu. Doch zwischen öffentlicher Rhetorik und tatsächlicher Weiterbildung besteht eine große Diskrepanz. Die Teilnahme stagniert und die Budgets sind zum Teil drastisch gekürzt worden Betriebe engagieren sich wenig.

Obwohl sich die Hochschulen formal für Studenten ohne Abitur geöffnet haben, machen diese nur fünf Prozent der Studierenden aus. In Schweden und Spanien sind es etwa ein Drittel. Der Bund will nun Aufstiegsstipendien für erfolgreiche Berufstätige vergeben. Wenigverdiener sollen Prämien erhalten. Doch an den Hochschulen fehlen Teilzeitstudiengänge und einheitliche Aufnahmebedingungen.

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An den Hochschulen werden die Versäumnisse der Politik besonders deutlich. Zwar haben Bund und Länder einige Projekte auf den Weg gebracht, um das Studium attraktiver zu machen, es gehen aber immer noch kaum mehr als 35 Prozent eines Jahrgangs an eine Hochschule. Im OECD-Schnitt sind es dagegen mehr als 50 Prozent. Schon 2014 könnten in Deutschland bis zu einer halben Million Akademiker fehlen - vor allem Ingenieure, Naturwissenschaftler, Informatiker.

Schon heute gelingt es nicht mehr, ausscheidende Ingenieure durch selbst ausgebildete Nachwuchskräfte zu ersetzen. Jahrelang mussten die Studenten auf eine Bafög-Erhöhung warten, obwohl ihre Unkosten gestiegen sind. Ziel ist nun, den Hochschulpakt für neue Studienplätze fortzusetzen und auch die Lehre zu verbessern. Dafür fordern die Hochschulen aber für die Jahre 2011 bis 2020 jährlich 2,6 Milliarden Euro.

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Die Spitzenforschung muss weiter gestärkt werden, da sind sich Wissenschaftler wie Politiker einig - über das Wie wird aber noch gestritten. Die größten Reformanstrengungen der vergangenen Jahre sind zeitlich befristet. Sie wurden gemeinsam von Bund und Ländern begonnen und sollen nun verlängert werden. Angestrebt wird die Neuauflage der Exzellenzinitiative für Spitzenforschung und Elite-Universitäten.

Die Mittel für den Wettbewerb sollen sich um 20 bis 30 Prozent auf bis zu 2,5 Milliarden Euro erhöhen, verlangt der Wissenschaftsrat, das wichtigste Beratergremium von Bund und Ländern. Außerdem erwarten die Wissenschaftsorganisationen, dass der Pakt für Forschung und Innovation fortgeführt wird. Bis jetzt hat er für die Großorganisationen der Forschung eine jährliche Haushaltssteigerung um drei Prozent bedeutet, in Zukunft sollen es fünf Prozent sein.

Bild: dpa (SZ vom 22.8.2008/gut)

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